Finanzen

Die nächste Schulden-Falle: Boom bei Konsumenten-Krediten

Lesezeit: 5 min
26.05.2018 01:00
Der Anstieg der Konsum-Kredite scheint auf den ersten Blick gut für die Wirtschaft. Doch sie sind nur ein Schachzug der Banker, um Zinserträge zu generieren.

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Die europäischen Banken haben die „kleinen Leute“ entdeckt: Überall prangen Anzeigen, die die Erfüllung der längst gehegten Wünsche verheißen. 1.000 Euro? Sofort. 5.000, 10.000 ebenfalls prompt. Und wenn es um den Kauf einer Wohnung geht, werden auch mehrere 100.000 Euro locker gemacht. Die Zuwachsrate der Konsumten-Kredite liegt bei 6 Prozent im Schnitt, in Spanien und Italien gab es sogar phasenweise einen Boom und in letzter Zeit schwenken diese Länder ebenfalls auf das allgemein zu beobachtende Wachstum von etwa 6 Prozent im Jahr ein.

Der Konsumkredit erschließt den Banken notwendige Zinserträge

Nachdem auch „nur“ einige tausend Euro zwar schnell kassiert werden, aber doch eine Menge Geld darstellen, werden lange, sehr lange Zahlungsfristen angeboten, damit die Schuldner durch relativ kleine Monatsbeträge nicht allzu sehr belastet werden. Dass aber letztlich monatlich 100 oder 200 Euro auch schmerzen, wenn man Jahre daran zahlt, tritt am Tag der Geldabholung oder der Kontogutschrift in den Hintergrund – ganz zu schweigen von den monatlichen Belastungen einer Wohnungsfinanzierung.

Wieso explodiert der Konsumkredit? Sind die Banken tatsächlich so stark am breiten Publikum interessiert? Nein. Die Banker sind sich der Problematik sehr wohl bewusst. Die Konsumenten-Kredite mit kleinen Beträgen eröffnen für die Institute aber einen praktischen Ausweg:

Die Regularien der EU machen die traditionelle Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft schwer bis unmöglich. Die Banken brauchen aber Zinserträge und sind auf die Vergabe von Krediten angewiesen. Die „kleinen Leute“ bieten aus mehreren Gründen einen Ausweg:

  • Es geht meist um kleine Summen, also ist die von den Aufsichtsbehörden verlangte Unterlegung mit Eigenkapital leichter darstellbar.
  • Und nicht zuletzt: Dem Durchschnittskunden können die Banken höhere Zinsen verrechnen, die aber derzeit immer noch billig wirken.

Die Aufseher merken nicht, dass sie groteske Situationen auslösen

Die Situation ist aus mehreren Gründen grotesk und für die Kreditnehmer gefährlich.

Groteske Nummer 1: Der Konsumkredit wird von der Europäischen Zentralbank nicht gesondert ausgewiesen. Man feiert die neue Kreditexpansion in ihrer Gesamtheit und vermittelt den Eindruck, dass der ohnehin von wackeligen Beinen getragene Aufschwung breit und nachhaltig sei. Und der Politik der Geldschwemme und der niedrigen Zinsen zu verdanken wäre. Die Banque de France und die Deutsche Bundesbank zeigen dankenswerterweise in ihren Statistiken den Boom der Konsumkredite.

Groteske Nummer 2: Die Regulierung belastet die mittelständischen Unternehmen, die das Rückgrat der europäischen Volkswirtschaften bilden, und treibt die Banken in die Finanzierung der kleinen Leute, die aus mehreren Gründen gefährlich ist.

Groteske Nummer 3: Die Aufseher sind mit erhobenem Zeigefinger unterwegs und mahnen die Banken, doch die Konsumenten nicht zu überfordern. Dass dieselben Aufseher das Kreditgeschäft der Institute schwer bis unmöglich machen, wird übersehen. Woher sollen, nach den Vorstellungen der Aufseher, die Erträge der Banken kommen? Aus den gefährlichen Spekulationen, die großzügig erlaubt sind? Oder aus dem Wertpapiergeschäft, das durch die MiFID-Regeln gebremst wird?

Gefahren drohen den privaten Haushalten, aber auch vielen Banken

Gefahr Nummer 1: Zu beachten ist die schon erwähnte, ganz und gar banale, aber nicht zu unterschätzende Gefahr einer Überforderung des Monatsbudgets der privaten Haushalte.

Gefahr Nummer 2: Die Zinsen sind derzeit relativ günstig. Es ist unwahrscheinlich, dass die aktuellen Bedingungen auf Dauer anhalten. Dann steigen die Zinsen und folglich die monatlichen Belastungen der Kreditnehmer dramatisch und die Zahl der Privatkonkurse explodiert.

Gefahr Nummer 3: Viele Kunden haben Kredite mit fixen Zinsen, sind also gegen eine Zinserhöhung gefeit. Die Banken, die fixe Zinsen zugesagt haben, geraten unweigerlich in Schwierigkeiten: Bei einem Anstieg der Zinsen werden die Refinanzierungskosten teurer. Dies gilt jedenfalls für die Einlagen, die kaum Fixzinsvereinbarungen aufweisen. Bei den Anleihen und Pfandbriefen ändert sich zwar der Zinssatz nicht, neu begebene Papiere sind aber höher zu verzinsen. Nicht wenige Institute werden Verluste erleiden.

Der aktuelle Boom der Konsumkredite enthält die Gefahr einer Überforderung der Privathaushalte durch hohe Raten und durch steigende Zinsen. Und die Gefahr einer Überforderung der Banken. Dass sich Unternehmen freuen, wenn die Kunden das Kreditgeld in die Läden bringen, ist selbstverständlich. In letzter Konsequenz leiden aber alle, wenn die negativen Folgen eintreten.

Die niedrigen Zinsen sind eine indirekte Vermögensteuer

Es ist nicht die erste Attacke auf die „kleinen Leute“. Die lange von der Europäischen Zentralbank erzwungenen niedrigen Zinsen sind in erster Linie den überschuldeten Staaten zugutegekommen. Natürlich auch den Kreditnehmern, doch bei den Unternehmen und den Privaten verhinderten die Regularien ein kräftiges Wachstum der Ausleihungen. Für die Sparer führte und führt diese Politik immer noch zu einer Enteignung. Man muss zusehen, wie der Wert der Einlagen sinkt. Im Endeffekt ergibt die Zinspolitik eine Vermögensteuer, nur mit dem Unterschied, dass Vermögensteuern als solche bezeichnet werden und meist auch Freibeträge vorsehen. Die Niedrig- und Nullzinsen treffen alle.

Wenn die Zinsen steigen, wird das Interesse für Immobilien sinken

Damit ist es aber nicht getan. Die minimale bis inexistente Verzinsung von Einlagen und Anleihen macht naturgemäß andere Veranlagungen interessant und treibt deren Preise in die Höhe. In Europa generell, aber besonders in Deutschland und Österreich ist das Interesse an Aktien gering, während Immobilien in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert genießen. Nachvollziehbar, dass die Preise für Grundstücke, Wohnungen und Häuser in die Höhe geschnellt sind. Umgekehrt sollte man sich nicht wundern, dass, wenn die Zinsen steigen, das Interesse für Immobilien sinken wird und manches Objekt nicht mehr zum hohen Einstandspreis wieder verkauft werden kann.

Nur: Nicht wenige haben Wohnungen zu hohen Preisen mit Kredit gekauft. Und zwar nicht immer Wohnungen für den eigenen Bedarf, sondern zur Vorsorge für das Alter oder schlechte Zeiten. In der Überzeugung, dass die Preise hoch bleiben und sogar kräftig steigen. Das mag für manche Kostbarkeiten in Spitzenlagen auch stimmen, eine Pariser Dachwohnung mit Terrasse zur Seine stellt vermutlich kein Risiko dar, doch über derartige Juwelen verfügen wenige. Sehr viele Objekte wird man nicht leicht zu guten Bedingungen verkaufen können. Bei unbelasteten Immobilien ist dies unangenehm, aber meist verkraftbar, wenn jedoch ein Kredit drückt und der Erlös aus dem Verkauf vielleicht sogar unter der noch offenen Kreditsumme bleibt, dann ergeben sich für Privathaushalte dramatische Folgen.

Für junge Interessenten ist der Kauf einer Eigentumswohnung unerschwinglich

Eigentumsobjekte für den eigenen Bedarf sind vor allem für junge Interessenten oft unerschwinglich. Nachdem aber der Wunsch nach der eigenen Wohnung, am eigenen Haus stark ausgeprägt ist, werden doch alle Mittel genutzt, um trotz der hohen Preise die Anschaffung zu realisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Hürden der Wohnimmobilienrichtlinie 2016 überwunden werden, die die Vergabe von Darlehen nur gestattet, wenn die Kreditwerber selbst die Raten aus dem laufenden Einkommen decken können. Haftungen der Eltern oder andere Absicherungen dürfen nicht berücksichtigt werden. In Deutschland wurde im Sommer 2017 eine Entschärfung beschlossen, deren Auswirkungen noch nicht abschätzbar sind.

Auch hier ist die Politik der Aufseher und der Währungshüter zu hinterfragen: Auf der einen Seite werden mit den niedrigen Zinsen bei Anleihen und Spareinlagen auf dem Markt die Preise für Wohnungen in die Höhe getrieben. Und auf der anderen Seite versucht die Aufsicht die Konsumenten vor Schaden zu schützen. Man sorgt also nicht für leistbare Wohnungen, sondern verhindert die Finanzierung des Wohnungskaufs. Über die Konsequenzen wird nicht nachgedacht. Diese lauten nämlich – die jungen Leute müssen lange bei ihren Eltern oder doch zur Miete wohnen, statt die Wohnkosten mit dem Aufbau eines Vermögenswerts zu verbinden.

Der Schlüssel liegt in der Kapitalmarktpolitik, die die Probleme nicht löst

In der Realität des Alltags der geschilderten Probleme treten die grundsätzlichen Strukturfehler in den Hintergrund:

  • Warum finanzieren sich nur wenige Unternehmen über die Börse? Ein größeres Angebot an Aktien würde den Anlegern zusätzliche Möglichkeiten bieten.
  • Warum interessieren sich kaum Anleger für den Aktienmarkt? Die hohen Kursschwankungen verschrecken das Publikum, das Stabilität sucht. Die Volatilität wäre bei einem größeren, breit gestreuten Angebot geringer.
  • Wieso ist die Währungspolitik bereit, niedrige und Null-Zinsen durchzusetzen, um die Defizite der Staaten zu verringern? Die Idee war, den Staaten Spielraum für die Sanierung der Budgets zu geben. Davon ist in fast allen europäischen Staaten nicht die Rede, aber die Zinspolitik hat zu enormen Verwerfungen auf dem Kapitalmarkt geführt.

Fazit: Die Wirtschaftspolitik muss dringend für einen funktionierenden Kapitalmarkt im Bereich der Unternehmensfinanzierung über Aktien sorgen und den Grundsatz verankern, dass Staaten Schuldner wie andere sind und nicht von der EZB zu Lasten aller mit Zinsen und Finanzierungen versorgt werden dürfen, die wie Morphium wirken.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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