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Iran will über Syrien Korridor ans Mittelmeer schaffen

Lesezeit: 5 min
19.05.2017 03:06
Iran will über Syrien Korridor ans Mittelmeer schaffen. Der jüngste Angriff der US-Koalition auf einen schiitischen Konvoi in Syrien könnte in Zusammenhang mit der iranischen Strategie stehen.
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Der Iran will die Route seines Landkorridors über sein Territorium und Syrien bis ans Mittelmeer verlegen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung Teherans ist die erhöhte US-Militärpräsenz im Nordosten von Syrien, die die geplante Route der Iraner blockiert.

Der neue Korridor soll nun 140 Meilen südlich versetzt werden, um die US-Truppen im Nordosten von Syrien zu umgehen. Dreh- und Angelpunkt soll die Stadt Mayadin werden, die aktuell von ISIS besetzt gehalten wird. Zuvor hatten die Iraner die Kurdengebiete im Norden Syriens als potenziellen entscheidenden Korridor gefeiert und die Kurden unterstützt. Doch dieser sogenannte "kurdische Korridor" zum Mittelmeer wird mittlerweile von US-amerikanischen, russischen und türkischen Truppen gehalten. Die Verschiebung des Korridors vom Nordosten Syriens in den Süden wurde vom Kommandeur der Al-Quds-Brigaden, Qassem Suleimani, und Haidar al-Ameri, Kommandeur der schiitisch-irakischen Haschd al-Schabi-Milizen (PMU), angeordnet. Seit Beginn des internationalen Kampfs gegen die Terror-Miliz ISIS versucht der Iran, seinen Einfluss im Irak und Syrien auszuweiten. Zu diesem Zweck unterstützt der Iran zahlreiche Milizen im Nahen Osten - einschließlich der schiitischen Hisbollah.

Doch das entstandene Chaos in Syrien und die unübersichtliche Gefechtslage macht es zunehmend schwierig für den Iran, einen sicheren Korridor bis ans Mittelmeer zu ziehen. Für die Regierungen Teherans und des Iraks steht fest, dass das Truppenaufgebot der USA in Syrien und ihre Kooperation mit den Kurden dazu dient, die Iraner abzuschrecken und ihre Ambitionen zu vereiteln. "Als Antwort darauf versuchen sie alles in ihrer Macht Befindliche zu tun, um den Korridor so schnell wie möglich zu schaffen. Das bedeutet, Ba'aj, Mayadin und Deir Ezzor so schnell wie möglich von ISIS zu befreien. Das soll geschehen, bevor die Amerikaner es tun", sagte ein hochrangiger irakischer Beamter dem Guardian.

Die irakische Stadt Ba'aj ist besonders wichtig für die Schaffung des iranischen Korridors, weil sie den Anknüpfungspunkt zwischen dem Irak und Syrien bildet. Am vergangenen Wochenende haben schiitische pro-iranische Milizen damit begonnen, auf Ba'aj vorzurücken. In den vergangenen sieben Monaten waren diese Milizen in der Stadt Tal Afar stationiert. Da ISIS im Irak immer weiter an Präsenz verliert und zurückgeschlagen wird, richtet sich das Interesse der Konfliktparteien in der Region auf die syrische Deir Ezzor und Rakka. Wenn die Amerikaner gemeinsam mit den Kurden-Milizen der PYD Deir Ezzor vor den Iranern und ihren Milizen erobern sollten, würden die Amerikaner dem geplanten iranischen Korridor zum Mittelmeer einen entscheidenden Schlag versetzen.

Zu Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 gab es zwei potenzielle Korridor-Routen. Die Hauptroute beginnt in Teheran und verläuft von da aus nach Bakuba, Schirkat, Tal Afar, Mayadin, Deir Ezzor, Damaskus, Homs und Latakia.

Als zweite Alternative wäre eine Abzweigung bei Tal Afar möglich. Von da aus wäre es nach Sindschar, Rabia, Qamischli, Kobani, Aleppo, Idlib, Homs und dann nach Latakia gegangen. Diese Alternative war aus iranischer Sicht die Route des "kurdischen Korridors", die nicht mehr umzusetzen ist.

In diesem Zusammenhang dienen alle Gruppen – Die PYD/YPG, die schiitischen Milizen, die Hisbollah, die PKK und die Söldner – den Konfliktparteien als Instrumente, um entweder einen Korridor ans Mittelmeer zu schaffen oder einen Konkurrenz-Korridor zu verhindern.

Nach Angaben von irakischen Regierungsbeamten soll sich der neue iranische Korridor von Deir Ezzor nach Sukhna und Palmyra und von da aus weiter nach Damaskus bis an die libanesische Grenze erstrecken. An der libanesischen Grenze dürfte dann die Hisbollah erneut eine entscheidende Rolle spielen, um einen Weg zum Mittelmeer zu schaffen. Als Alternative würde sich auch ein Weg von Damaskus nach Latakia anbieten, was zur Schaffung einer iranischen Versorgungslinie zum Meer führen würde. Teheran könnte dann den instabilen Persischen Golf als Versorgungslinie umgehen.

Der türkische Analyst und Journalist Faik Bulut erläuterte bereits im Jahr 2003 in einem Interview mit Bianet das Ziel der USA in der Region:  "Syrien und der Libanon sind zwei Länder, die sich unter europäischen Einfluss befinden und mit Russland enge Beziehungen pflegen. Die USA haben den Irak unter ihre Kontrolle gebracht und müssen nun einen Weg zu Mittelmeer finden. Dies ist möglich, indem Syrien als Land disqualifiziert wird. Wenn die Amerikaner auch das Mittelmeer unter ihre Kontrolle bringen sollten, werden sie vom Mittelmeer über Syrien bis in den Iran hinein einen Korridor errichten. Wenn die Pläne der USA umgesetzt werden, könnten auch die Europäer aus der Region isoliert werden."

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Kämpfe zwischen Söldnern und Regierungstruppen in Syrien finden nur dort statt, wo wichtige unter anderem Pipelines verlaufen oder geplant sind. Russland, die West-Mächte und die Golfstaaten kämpfen um die beste Ausgangsposition für Gas- und Öl-Lieferungen für den europäischen Markt. Genau aus dieser Perspektive gesehen ist jede Konfliktpartei daran interessiert, einen Korridor ans Mittelmeer zu schaffen, um die Energieträger der Region kontrolliert auf den Weltmarkt zu bringen. Für die europäische Energieversorgung würde die beste Option darin  bestehen, wenn der Iran einen Korridor ans Mittelmeer schafft. Denn dann hätten die EU-Staaten die Möglichkeit, eine Symbiose zwischen iranischen Energieträgern und europäischer Technologie und Investitionen zu schaffen. Daraus würde sich ein Bündnis ergeben.

Die EU-Außenvertreterin Federica Mogherini sagte der iranischen Nachrichtenagentur Tasnim am 16. April 2016 auf ihrem Besuch in Teheran: „Wir sind diejenigen, die früher der erste Partner des Iran in den Bereichen der Wirtschaft, des Handels und der Investitionen gewesen sind, und wir wollen wieder dabei sein (…). Da wir unsere Handels- und Investitions-Zusammenarbeit mit dem Iran ausbauen, brauchen wir als Europäer auch unsere Banken, um diese Entwicklungen zu begleiten. Nicht nur auf der iranischen, sondern auch auf der europäischen Seite wird dies als ein sehr wichtiges Thema wahrgenommen und als Priorität eingestuft.“

Ein ehemaliger hochrangiger iranischer Diplomat, der unter der Bedingung der Anonymität Ende Mai 2016 mit Al-Monitor sprach, sagte, dass die Entwicklung der Beziehungen eine „Notwendigkeit“ für Teheran und die EU geworden sei. „Die wirtschaftliche Verflechtung mit Europa ist für den Iran im Hinblick auf die Entwicklung von Vorteil und sie wirft [weniger] Fragen als die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten auf“, so der Diplomat. Die Beziehungen der EU mit dem Iran hätten vor allem mit der Energiesicherheit Europas zu tun. Europa habe keine bessere Wahl, als seine Energiesicherheit durch iranische Öl- und Gasressourcen zu garantieren. Zudem sagte der Diplomat, dass der Zugang zu europäischen Märkten und der Einsatz europäischer fortschrittlicher Technologie historische Wurzeln hätten und eine wirtschaftliche Option seien.

In diesem Zusammenhang könnte auch ein Angriff der US-Koalition stehen: Die Luftwaffe der von den USA angeführten internationalen Militärallianz hat am Donnerstag in Syrien einen Konvoi regierungstreuer Kräfte bombardiert. Die Spitze des Konvois sei getroffen worden, sagte ein Vertreter des US-Militärs in Washington. Nach den Worten von US-Verteidigungsminister Jim Mattis bedeutet der Luftangriff keine Ausweitung der US-Militäraktionen in Syrien; er habe lediglich der "Verteidigung" gedient.

Der Angriff habe sich nahe der Grenze zu Jordanien ereignet, sagte der Vertreter des US-Militärs weiter. Es sei "nicht sicher", welche Kräfte sich in dem Konvoi befanden, aber es sei eindeutig gewesen, dass diese mit der syrischen Regierung zusammenarbeiteten. Der Konvoi habe sich dem von der Koalition genutzten Stützpunkt At Tanf gefährlich genähert.

Alle Versuche, den sehr großen Konvoi an seiner Weiterfahrt zu hindern, seien vergeblich gewesen. Die Koalition habe die mit den syrischen Regierungstruppen verbündeten russischen Streitkräfte kontaktiert, Warnschüsse abgegeben und im Luftraum Stärke demonstriert - der Konvoi habe dennoch nicht reagiert und seine Fahrt fortgesetzt.

Daraufhin sei schließlich der Angriff erfolgt, sagte der Beamte. Dies bedeute allerdings keinen Strategiewechsel in Syrien: Weiterhin sei das Ziel der internationalen Militärallianz die Bekämpfung des Islamischer Staats (IS). Allerdings fand am Donnerstag auch ein Angriff des IS gegen mehrere syrische Dörfer statt, der laut Time 52 Todesopfer gefordert hat.

Dies betonte auch Pentagon-Chef Mattis: "Wir weiten unsere Rolle im syrischen Bürgerkrieg nicht aus, aber wir werden unsere Soldaten verteidigen", sagte er in Washington. Die US-Armee werde sich gegen "aggressive Schritte" wehren. Senator Lindsey Graham begrüßte den Angriff auf Fox ausdrücklich. Graham sagte, US-Präsident Donald Trump habe mit der Genehmigung des Angriffs bewiesen, dass er ein fähiger Oberbefehlshaber sei. Für Trump ist die Unterstützung der Senatoren Graham und John McCain in seinem Kampf gegen die Demokraten und jene Teile der Geheimdienste, die Trump einen erbitterten Machtkampf liefern, äußerst wichtig.

Nach Angaben eines weiteren US-Vertreters, der laut AFP anonym bleiben wollte, handelte es sich bei dem getroffenen Konvoi "wahrscheinlich" um schiitische Milizen. Damit ist in der Regel die Hisbollah gemeint, die eng mit dem Iran verbunden ist und die gemeinsam mit Russland und iranischen Spezialkräften in Syrien kämpft.

Der abgelegene Stützpunkt At Tanf wird von Eliteeinheiten der britischen und US-Streitkräfte genutzt und war in den vergangenen Monaten mehrfach angegriffen worden, unter anderem von IS-Kämpfern.

Russland hat den US-Angriff als inakzeptabel kritisiert. Der Angriff, bei dem auch Zivilisten getroffen worden seien, habe die syrische Souveränität verletzt, sagte der stellvertretende Außenminister Gennadi Gatilow am Freitag mehreren russischen Nachrichtenagenturen zufolge in Genf. Dadurch würden Bemühungen um eine politische Lösung des Konflikts behindert.

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