Politik

Flughafen-Desaster in Berlin: Aufsichtsrat will von nichts gewußt haben

Die Verschiebung der Eröffnung des neuen Berliner Flughafens ist ein Lehrstück, was passiert, wenn der Staat ohne jede Kontrolle in Mega-Projekte einsteigt. Die Kosten werden vom Steuerzahler übernommen, Haftung für Versagen bei den Verantwortlichen ist nicht vorgesehen.
08.05.2012 23:31
Lesezeit: 3 min

Riesenchaos in Berlin: Die für Anfang Juni geplante Eröffnung des neuen Hauptstadtflughafens Berlin-Brandenburg Willy Brandt (BER) in Schönefeld findet nicht statt. Alle Umzugsvorbereitungen werden mit sofortiger Wirkung gestoppt. Der Zeitplan lasse sich nicht halten, sagte Flughafenchef Rainer Schwarz bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz in Berlin-Schönefeld sichtlich betroffen. Der Betrieb könne nicht wie bis zuletzt geplant am 3. Juni aufgenommen werden.

Es ist eine peinliche Schlappe, auch für die Politiker Klaus Wowereit und Matthias Platzeck. Beide waren große Protagonisten des Flughafens und müssen nun mit geballter Faust in der Tasche zugeben: Wie bei fast allen Mega-Projekten wird auch der Flughafen Schönefeld nicht rechtzeitig fertig. Die Politiker beeilten sich nach Bekanntwerden des Desasters, der Flughafenbetrieber-Gesellschaft den schwarzen Peter zuzuschieben. Nun ist deren Leistung mit Sicherheit alles andere als rühmlich. Bürgermeister Klaus Wowereit deutete sogar Regress-Überlegungen an.

Allerdings ist die viel wichtigere Frage, warum eigentlich der Aufsichtsrat seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen hat. Der Flughafen ist zu 100% im Staatsbesitz - man muss bei einem Projekt, welches in seinem Größenwahn sogar den Transrapid in den Schatten stellt, nun die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Umgang mit Steuergeldern stellen. Im Aufsichtsrat werden die Eigentümer - der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg - vertreten durch: Klaus Wowereit, Finanz-Staatssekretärin Margaretha Sudhof, Innensenator Frank Henkel, der Hotelmanager Michael Zehden; Matthias Platzel, Wirtschaftsminister Ralf Christoffers, Helmuth Markov und von der Kreditbank der Vorstandsvorsitzende Günther Troppmann; schließlich für den Bund die Staatssekretäre Rainer Bomba und Werner Gatzer aus dem Verkehrsministerium sowie die üblichen Gewerkschaftsvertreter.

Es ist grotesk, dass sie alle von nichts gewußt haben wollen, und von der Verschiebung überrascht wurden, als wäre sie eine Naturkatastrophe. Man muss sich fragen, wie die Vertreter von Bund und Land ihre Aufsichtspflicht wahrgenommen haben. Dass nun irgendwer aus ihrem Kreis zur Verantwortung gezogen wird, ist zu bezweifeln. Denn das  Projekt konnte von Anfang an den Verdacht nicht zerstreuen, dass es sich hier vor allem um ein politisches Prestigeobjekt handelt. Schon bei der Planung im Jahr 1995 kritisierte der Rechnungshof die viel zu hohen Kosten. Unabhängige Gutachter meldeten Zweifel an, dass die prognostizierten Passagierzahlen jemals erreicht werden könnten. Die politischen Betreiber - übrigens gleichermaßen von CDU, SPD und FDP - wischten alle Bedenken vom Tisch. Besonders aktiv als Befürworter der Wachstums-Hysterie war der heutige Euro-Gegner Hans Olaf Henkel.

Zahlreiche Pannen begleiteten den Bau. So musst im Jahr 2011 der Online-Checkin gestoppt werden, weil die Passagiere die vertraulichen Daten der Mitreisenden abrufen konnten.

[caption id="attachment_42402" align="alignleft" width="300" caption="BER - Berlin Brandenburg International: Die Hauptsadt träumt weiter vom schönen neuen Flughafen."][/caption]

Der Grund für die Verschiebung ist ähnlich profan und im Grunde unfassbar: Der Flughafen hat keine Betriebsgenehmigungen wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen bekommen. Flughafen-Co-Geschäftsführer Manfred Körtgen erklärte in einer eilig einberufenen Pressekonferenz, die Sicherheitsanlagen und deren Zusammenspiel untereinander hätten noch nicht den "nötigen Reifegrad" und könnten deshalb vom TÜV nicht abgenommen werden. Die Anlagen zum Brandschutz seien zwar baulich installiert, aber die notwendigen Tests könnten bis zum ursprünglichen Eröffnungstermin nicht abgeschlossen werden, sagte Schwarz. Die "Schutzziele" könnten bis 3. Juni nicht mehr erreicht werden.

Die Flughafenbetreiber erklären die Pleite so: "Der neue Flughafen Berlin Brandenburg wird später eröffnen als bislang geplant. Zu diesem Schluss kommt die Flughafengesellschaft angesichts der Erkenntnisse der vergangenen Tage. Bis zuletzt waren die Projektbeteiligten davon überzeugt, dass auch die für die Inbetriebnahme notwendigen sicherheitstechnischen Voraussetzungen bis zur Eröffnung des Flughafens am 03. Juni 2012 zu realisieren sein werden. Nach mehreren Krisensitzungen übers Wochenende kamen die Projektverantwortlichen zu der Erkenntnis, dass Fertigstellung und anschließende bauliche Abnahme der sicherheitstechnischen Anlagen bis zum geplanten Eröffnungstermin nicht mehr zu realisieren ist. Die Flughafengesellschaft musste daher angesichts möglicher Sicherheitsdefizite 27 Tage vor der geplanten Eröffnung umsteuern."

Was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben bleibt ihr Geheimnis: Die Sicherheit ist das Herzstück jedes Flughafens. Dass es übehaupt zu Krisensitzungen kommen musste, ist bemerkenswert. Offenkundig haben sich die Betreiber mehr um die Gastronomie und die Einkaufsstraßen gekümmert als um die Substanz des Flughafens.

In Berlin und Brandenburg herrschte nach der kurzfristigen Bekanntgabe der Verschiebung Aufregung und Empörung: Offenbar hatten die Betreiber noch bis zuletzt versucht, den Termin zu halten. Die Lufthansa warnte vor einem Chaos: Es müsse den neuen Standort geben. Wie sich das Desaster auf die Reisenden auswirkt, ist noch unklar: Vorerst werden Tegel und Schönefeld parallel weitergeführt. Die Airlinese versuchen gerade, in Tegel weitere Slots zu bekommen, um die zusätzlichen Flüge durchführen zu können.

Nun muss nachjustiert werden. Die zusätzlichen Kosten durch den Doppelbetrieb belaufen sich auf 15 Millionen Euro pro Monat. Das ist sehr viel Geld für die bankrotte Stadt Berlin, in der heute in vielen Bereichen der Schulbetrieb nur noch notdürftig aufrecht erhalten werden kann, weil es an allen Ecken und Enden an Mitteln fehlt. Dasselbe gilt für das Gesundheitswesen und die Kultur.

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