Deutschland

Parteien und Unternehmen laufen Sturm gegen Altmaiers Industriestrategie

Die Mehrheit der Parteien und Unternehmerverbände sind gegen die „Nationale Industriestrategie 2030” von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Doch der DBG stärkt Altmaier den Rücken.
08.09.2019 17:09
Aktualisiert: 08.09.2019 17:12
Lesezeit: 5 min

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier plant, deutsche Großkonzerne staatlich zu unterstützen, damit diese ihren Konkurrenten aus China und aus den USA standhalten und wettbewerbsfähig bleiben können. Als Folge dieser „Nationalen Industriestrategie 2030” sollen nationale und europäische Champions entstehen, die es mit Apple, Google und weiteren Unternehmen aus Asien aufnehmen können.

Die „Nationale Industriestrategie 2030” definiert, in welchen Fällen ein Tätigwerden des Staates ausnahmsweise gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden.”

In manchen Fällen stellt die Bundesregierung fest, dass die Summe der betriebswirtschaftlichen Einzelentscheidungen der Unternehmen eines Landes nicht ausreichen würden, um globale Kräfte- und Wohlstandsverschiebungen auszugleichen oder zu verhindern. Denn ein Unternehmen habe sein Fortkommen im Blick, nicht das des gesamten Landes. In diesen Fällen – und nur in diesen – hätte eine aktivierende, fördernde und schützende Industriepolitik ihre Berechtigung. Es sei die Aufgabe und Verantwortung des Staates, die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft aufrechtzuerhalten, führt Altmaier im Vorwort des Papiers zur Industriestrategie aus.

„Ein Ziel ist dabei der schrittweise Ausbau des Anteils der Industrie an der Bruttowertschöpfung auf 25 Prozent in Deutschland und 20 Prozent in der Europäischen Union bis zum Jahr 2030”, heißt es in dem Papier.

Zu den industriellen Schlüsselbereichen, in denen Deutschland weltweit führend ist, gehören die Stahl-, Kupfer- und Aluminium-Industrie, die Chemieindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, die Automobilindustrie, die optische Industrie, die Medizingeräteindustrie, der GreenTech-Sektor, die Rüstungsindustrie, die Luft- und Raumfahrtindustrie sowie und die additive Fertigung (3D-Druck). Im Rahmen der „Nationalen Industriestrategie 2030” stuft die Bundesregierung diese Bereiche als besonders schützenswert ein. Auch andere Länder zögen hier mit, z.B. die USA.

In den USA werde die technologische Entwicklung vor allem durch große Technologiekonzerne wie Apple, Amazon, Google, Microsoft und General Electric vorangetrieben. „Diese investieren insgesamt dreistellige Milliardenbeträge in Forschung und Entwicklung für KI, Digitalisierung, Autonomes Fahren und Biotechnologie. Jedenfalls durch die vorgehende US-Administration wurde diese Entwicklung umfassend begleitet und unterstützt”, so die Bundesregierung. Die US-Regierung sei bestrebt, durch eine Politik des „America First” traditionelle Industriesparten wie Stahl, Aluminium, Automobilwirtschaft und Landwirtschaft „durch höhere Zölle und bilaterale Vereinbarungen zu revitalisieren und zu schützen und bereits verlorene Wertschöpfungsanteile wieder in die USA zurück zu verlagern.”

Als weitere Länder, in denen staatliche Instanzen Maßnahmen vollziehen, um ihre heimischen Industrien und damit die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften aufrechtzuerhalten, werden Japan und China genannt.

Um nationale und europäische Champions zu schaffen, sei vor allem die Größe eines Unternehmens entscheidend. „Große Verkehrsflugzeuge werden nur von Unternehmen ab einer bestimmten Größe gebaut. Die Schaffung und Modernisierung von Eisenbahnsystemen führt zu Großprojekten von 30 Milliarden US-Dollar und mehr. Große Internetplattformen, die auf dem Weltmarkt erfolgreich sind, brauchen eine enorme Menge an Kapital. Ebenso ist es im Anlagenbau, dem internationalen Finanz- und Bankwesen und bei vielen anderen Aufgaben: Sie verlangen große und starke Akteure, die mit Wettbewerbern aus den USA oder China auf Augenhöhe sind”, so die Bundesregierung in dem Papier.

BDI und Mittelstand gegen Altmaier

Trotz der scheinbar positiven Ansätze, die im Papier der Bundesregierung vorzufinden sind, hat ausgerechnet der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Einwände vorzubringen. Aus einer Mitteilung des BDI geht hervor, dass „viele Unternehmen enttäuscht” seien. „Denn Bundesminister Peter Altmaier und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie übersehen bislang die Bedeutung des Mittelstands für den Standort Deutschland. Dabei beruht der Erfolg des deutschen Wirtschaftssystems seit Wirtschaftswunderzeiten nicht zuletzt auf dem Zusammenspiel von kleinen und mittleren, auch international erfolgreichen Unternehmen mit großen Konzernen”, so der BDI.

Vielmehr sei es wichtig, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, „hausgemachte Schwächen”, von denen der „standorttreue Mittelstand” betroffen ist, zu beheben. Dazu zählen dem Industrieverband zufolge zu hohe und weiter steigende Energiepreise, zu hohe Steuerbelastung, allzu dichte und weiterwachsende Bürokratie, zu geringer Auf- und Ausbau sowie schleppende Erneuerung von Infrastruktur, mangelhafte Förderung ländlicher Regionen und fehlende Fachkräfte.

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) teilt die Kritik des BDI. In einer Erklärung führt BVMW-Chef Mario Ohoven aus: „Die Nationale Industriestrategie 2030 von Bundesminister Altmaier hofiert Großkonzerne und vernachlässigt den Mittelstand. Dabei erwirtschaften die Klein- und Mittelbetriebe mehr als jeden zweiten Euro der Nettowertschöpfung und schaffen fast 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze. Weit über 90 Prozent der Patentanmeldungen kommen aus dem Mittelstand. Damit ist der Mittelstand der Motor der deutschen Wirtschaft, doch diesem Status wird das Papier nicht gerecht. Auf 22 Seiten findet sich lediglich einmal das Wort ‚Mittelstand‘.”

Gemischte Gefühle bei den Parteien

Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke interpretiert die „Nationale Industriestrategie 2030” sogar als „Kampfansage gegen Wettbewerbsrecht und Kleinunternehmertum”. „Altmaiers Strategie besteht im Kern darin, die Konditionen für deutsche Großkonzerne – namentlich Siemens, BASF, ThyssenKrupp, die Deutsche Bank und die Autokonzerne – so zu verbessern, dass sie noch größer werden und die Konkurrenz aus dem Reich der Mitte preislich unterbieten und ihrerseits verdrängen können. Angedacht sind etwa Steuervorteile, günstige Bedingungen bei den Sozialabgaben und eine Schleifung des Wettbewerbsrechts, damit die Großen einfacher die Kleinen schlucken und so noch größer werden können”, so der industriepolitische Sprecher der Links-Partei, Alexander Ulrich, in einer Mitteilung.

Die AfD-Bundestagsfraktion wirft Altmaier eine gezielte „Mittelstandsfeindlichkeit” vor. „Die Kritik am Bundeswirtschaftsminister ist gerechtfertigt. Seine sogenannte ‚nationale Industriestrategie 2030‘ ist alles andere als national. Sie richtet sich nämlich gegen die Interessen traditioneller deutscher Wirtschaftszweige und Erfolgsmodelle, zu denen gerade auch die ‚Hidden Champions‘, die kleineren und mittleren Unternehmen gehören. Viele dieser Unternehmen haben sich sogar auf dem Weltmarkt etabliert. Die CDU steht heute für den Kampf gegen den Mittelstand im Interesse globaler Konzerne”, meint der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Tino Chrupalla.

Die SPD unterstützt zwar Altmaiers Strategie zur Schaffung von „deutschen Champions”. Doch SPD-Fraktionsvize Sören Bartol warnt davor, Industrie und Mittelstand gegeneinander auszuspielen. „Gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind innovativ und international wettbewerbsfähig”, so Bartol in einer Stellungnahme.

Die Bundestagsfraktion der Grünen meint hingegen, Altmaier habe in seinem Papier die falschen Antworten „auf die Herausforderungen Digitalisierung, Klimakrise und die aggressiven Strategien Chinas und der USA” gegeben. Deshalb haben die Grünen in Windeseile ein eigenes Papier zur Industriestrategie Deutschlands entworfen. Die Grünen kritisieren, dass Altmaier mit seiner Strategie eine „Bestandswahrung” vornehmen würde, um bereits bestehende Unternehmen staatlich zu stützen. Aus einem Antrag der Grünen geht hervor, dass es nicht darauf ankomme, bereits starke Großkonzerne noch weiter zu stärken, sondern in Zukunftstechnologien zu investieren. Nach eigenen Angaben orientiert sich der Antrag der Grünen an Innovation, Klimaschutz und am Multilateralismus.

Die FDP richtet sich gegen die geplante Industriestrategie der Bundesregierung, weil diese eine Wettbewerbsverzerrung verursachen könnte. FDP-Vizevorsitzende Nicola Beer sagt: „Als Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sein Papier zur ,Nationalen Industriestrategie’ im Februar vorgestellt hat, nannte er einen Namen besonders häufig: Ludwig Erhard. Doch mit seinen ,etatistischen‘ Plänen auf Kosten des Wettbewerbs hat Altmaier eindeutig bewiesen, dass er kein Erbe Erhards ist’. Der gesamte Mittelstand lehne eine „gelenkte Wirtschaftspolitik ab”, zitiert die Pressestelle der FDP-Bundestagsfraktion Beer. FDP-Chef Christian Lindner meint sogar, Altmaier würde das Modell der „chinesischen Planwirtschaft” übernehmen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) unterstützt die „Nationale Industriestrategie 2030”. „Der Staat hat sich in den letzten Jahren stark aus dem Wirtschaftsgeschehen zurückgezogen. Die Sicherung der Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und insbesondere die Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation erfordern jedoch einen wirtschaftspolitisch starken und aktiven Staat. Der industriepolitische Entwurf von Peter Altmaier hat diese Zeichen der Zeit erkannt”, heißt es in einer Mitteilung.Der Staat müsse im Interesse der Bürger und Arbeitnehmer nicht nur die Angebots- sondern auch die Nachfrageseite positiv beeinflussen. „Das Altmaier-Papier geht richtigerweise von der Idee aus, dass freie Märkte in einigen Bereichen (Entwicklung neuer Technologien, Unternehmensentscheidungen, chinesische Investitionen etc.) nicht ausreichen und auch fehlbar sein können. Die Pfadabhängigkeit ist ein Beispiel für Marktversagen: Private Investoren schrecken zu lange vor Investitionen in Zukunftstechnologien zurück, weil diese unsicher sind und sich möglicherweise erst nach vielen Jahren refinanzieren”, so der DGB in einem Thesenpapier.

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