Finanzen

Nach dem EU-Gipfel: Merkel und ihre Freunde suchen Billionen-Summe für den Wiederaufbau

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen haben erste Schritte gegen die dramatische Corona-Wirtschaftskrise beschlossen. Aber eine weit größere Aufgabe wartet noch.
24.04.2020 20:22
Lesezeit: 3 min
Nach dem EU-Gipfel: Merkel und ihre Freunde suchen Billionen-Summe für den Wiederaufbau
Bundeskanzlerin Angela Merkel nimmt an der wöchentlichen Kabinettssitzung teil. (Foto: dpa) Foto: Hannibal Hanschke

Nach dem EU-Gipfel werden unter Hochdruck Wege gesucht, weitere Billionensummen für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Krise aufzubringen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte zwar am Freitag, nach der Zustimmung der Staats- und Regierungschefs zu einem ersten 500-Milliarden-Euro-Paket habe man die notwendige Zeit, eine Lösung zu entwickeln. Nicht nur Italien mahnt aber zur Eile, um das Geld rasch verfügbar zu haben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Staats- und Regierungschefs hatten am Donnerstag ein bereits verabredetes Paket mit Kredithilfen im Umfang von bis zu 540 Milliarden Euro gebilligt und zusätzlich die Gründung eines Wiederaufbaufonds vereinbart, über den noch einmal 1.000 Milliarden Euro oder mehr verteilt werden sollen. Alle Details dieses Fonds sind aber umstritten, darunter Umfang, Finanzierung und Verwendung des Geldes.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll nun ein konsensfähiges Modell ausarbeiten. Ihr Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte am Freitag in einer Veranstaltung der Agentur Bloomberg, die zusätzliche Summe werde eher bei 1,5 als bei einer Billion Euro liegen. Die EU-Kommission plane derzeit, ihre Vorschläge am 6. Mai vorzustellen.

Spaniens Außenministerien María Aránzazu González Laya betonte nach einem Videokongespräch mit Bundesaußenminister Heiko Maas, sie rechne erst ab Juli mit einer Entscheidung über die Einzelheiten des Wiederaufbaufonds, wenn Deutschland in der zweiten Jahreshälfte die EU-Ratspräsidentschaft übernehme. Zugleich bekräftigte sie die Forderung ihres Landes, Hilfen sollten als nicht rückzahlbare Transferleistungen erfolgen. Alles andere führe zu einer Überschuldung der Empfängerländer und gefährde damit den Binnenmarkt.

Von der Leyen hat bereits grob skizziert, wie sie vorgehen will. Sie will für den geplanten «Recovery Fund» die finanziellen Spielräume im EU-Haushaltsrahmen ausweiten. Im Fachjargon: Die sogenannte Eigenmittelobergrenze - eine Art Ausgabendeckel - soll für zwei oder drei Jahre von 1,2 auf 2,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens angehoben werden. Das bedeutet, dass die EU-Staaten zusätzliche Summen zusagen müssten. Das Geld würde aber nicht ausgegeben, sondern als Garantien hinterlegt. Die Änderung müsste in allen 27 Staaten ratifiziert werden, auch vom Bundestag, so die dpa.

So könnte die EU-Kommission Anleihen herausgeben und am Kapitalmarkt Milliarden für die wirtschaftliche Erholung aufnehmen. Ein Teil der Hilfen sollen Zuschüsse für die von der Pandemie besonders betroffenen Länder sein, ein weiterer Kredit. Zwischen beiden Formen der Hilfe müsse die richtige Balance gefunden werden, sagte von der Leyen nach dem Gipfel.

Hierin steckt großes Streitpotenzial: Einige nördliche EU-Staaten wollen, dass nur Kredite vergeben werden, die von den Empfängern zurückgezahlt werden müssen. Einige südlichen Staaten wollen Zuschüsse ohne Rückzahlung. Zuschüsse aus dem EU-Haushalt sind nicht neu: Sie sind das Grundprinzip der EU-Strukturfonds, mit denen wirtschaftliche Unterschiede in der Gemeinschaft ausgeglichen werden sollen. Neu wäre es, wenn über Kredit aufgenommene Gelder als Zuschüsse verteilt würden.

Italiens Außenminister Luigi Di Maio lobte die Grundsatzentscheidung für den Wiederaufbaufonds als Schritt in die richtige Richtung. «Das Match ist noch im Gange. Aber wir können sagen, dass wir ein erstes wichtiges Ergebnis erzielt haben: den Recovery Fund», erklärte er auf Facebook. Er drängte, dass die finanziellen Mittel sofort zur Verfügung stehen müssten, «um italienischen Unternehmen, Arbeitnehmern und Familien zu helfen».

Bundesfinanzminister Scholz sagte dagegen im Deutschlandfunk, das 500-Milliarden-Paket sei bereits «ein ziemlich schneller Schritt, auf dem wir jetzt erstmal für die nächste Zeit aufbauen können». Vor allem im Vergleich zur Finanzkrise vor zehn Jahren werde schnell gehandelt. «Wir haben jetzt die notwendige Zeit, das zu entwickeln, was notwendig ist, wenn der Lockdown zu Ende geht, es mit dem Wiederaufbau beginnt», sagte der SPD-Politiker. Zuerst müsse festgestellt werden, was überhaupt gebraucht werde. Auch das soll von der Leyen analysieren.

Auch die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, mahnt jedoch zur Eile. Im schlechtesten von drei Szenarien könnte das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone dieses Jahr um 15 Prozent schrumpfen, sagte Lagarde nach Angaben von Teilnehmern beim Gipfel. Sie warnte vor einer zu kleinen und zu langsamen Reaktion. Die Antwort müsse vielmehr schnell, entschlossen und flexibel ausfallen.

Vor diesem Hintergrund kam heftige Kritik an den Gipfelergebnissen. Die Staats- und Regierungschefs hätten mutlos agiert, sagte der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Der Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament, Philippe Lamberts, beklagte, das Problem werde nur aufgeschoben. Der FDP-Europaexperten Alexander Graf Lambsdorff sprach im NDR von einem viel zu langsamen Vorgehen und von einem enttäuschenden Gipfel.

Der Linken-Politiker Fabio De Masi warb noch einmal für echte Corona-Bonds, also Gemeinschaftsanleihen mit voller gemeinsamer Haftung. Denen hat Bundeskanzlerin Merkel aber eine klare Absage erteilt. Zu deutlich höheren Beiträgen an den EU-Haushalt erklärte sich Deutschland hingegen bereit. Weder Merkel noch Scholz nannten bisher aber eine Größenordnung.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Das Zeitalter des intelligenten passiven Einkommens: Bitcoin-Mining mit BlackchainMining

In der heutigen, sich rasant entwickelnden digitalen Wirtschaft sind Kryptowährungen wie Bitcoin nicht nur Vermögenswerte, sondern auch...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Voith: Maschinenbauer streicht 2.500 Stellen
09.12.2025

Der Maschinenbauer Voith plant in Deutschland den Abbau von bis zu 2.500 Stellen. Grund sind strukturelle Probleme wie hohe Energie- und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Feiertage killen fürs BIP: Ist das wirklich eine gute Idee?
09.12.2025

Mehr Arbeitstage, mehr Wachstum – so lautet das einfache Versprechen für 2026. Doch die Debatte über einen möglichen Wegfall eines...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Exporte: USA- und China-Geschäft bricht im Oktober ein
09.12.2025

Die deutschen Exporte geraten in ihren wichtigsten Absatzmärkten ins Rutschen, und die Zahlen aus den USA und China zeichnen ein klares...

DWN
Finanzen
Finanzen Neues Silberpreis-Rekordhoch: Engpässe treiben Aufwärtsrallye – warum Anleger jetzt wachsam sein müssen
09.12.2025

Der Silberpreis jagt von Rekord zu Rekord und übertrifft selbst den Hype um Gold, folgerichtig gibt es am Dienstag ein neues...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Arbeitsmarkt: Sieben Wege wie Unternehmen Fachkräfte finden und halten
09.12.2025

Qualifizierte Fachkräfte werden knapp – das spüren Unternehmen bei der Personalsuche immer deutlicher. Die Folgen: Engpässe,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Milan Nedeljkovic BMW: Er folgt auf Oliver Zipse
09.12.2025

BMW bekommt einen neuen Chef: Milan Nedeljkovic übernimmt das Ruder von Oliver Zipse. Der Produktionsvorstand bringt Erfahrung aus fast...

DWN
Finanzen
Finanzen Allianz-Aktie im Fokus: Allianz-Kooperation mit Oaktree – was der Syndikat-Pakt für Anleger bedeutet
09.12.2025

Ein neuer Deal in London, ein bestätigtes Top-Rating und höhere Gewinnziele treiben die Allianz-Aktie bis an das Jahreshoch. Doch hinter...

DWN
Politik
Politik Merz fordert Abschaffung: EU-Lieferkettengesetz wird deutlich gelockert
09.12.2025

Das EU-Lieferkettengesetz sollte Unternehmen weltweit verpflichten, Menschenrechte zu achten. Doch bevor es überhaupt greift, haben sich...