Politik

Ratlosigkeit und Sorge: US-Abzugspläne überraschen Berlin

Berichte über Truppenreduzierung werden als Wahlkampfmanöver gesehen, sorgen aber in Berlin dennoch für Verunsicherung.
08.06.2020 17:31
Lesezeit: 2 min
Ratlosigkeit und Sorge: US-Abzugspläne überraschen Berlin
Donald Trump, Präsident der USA, im Rosengarten des Weißen Hauses. (Foto: dpa) Foto: Patrick Semansky

Fünf Monate vor der US-Präsidentschaftswahl erreicht der amerikanische Wahlkampf nach Ansicht von Fritz Felgentreu Deutschland: Denn die Berichte, wonach US-Präsident Donald Trump fast ein Drittel der US-Soldaten in Deutschland abziehen will, sieht der verteidigungspolitische Sprecher der SPD vor allem als Versuch, amerikanische Wähler zu beeindrucken. "Es geht offensichtlich nicht um die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA, sondern um ein Signal im Wahlkampf", sagt er zu Reuters - in Anspielung auf Trumps Wahlkampfversprechen 2016, dass er US-Soldaten aus aller Welt zurückbringen wolle.

Dass die nun verbreiteten Pläne eines Abzugs von 9500 Mann so umgesetzt würden, glaubt eigentlich niemand in Berlin - und alle Experten verweisen darauf, dass die Mehrzahl der rund 34.500 US-Soldaten ohnehin vor allem den militärischen Aktivitäten der Supermacht in Afrika oder dem Nahen Osten, nicht aber der Landesverteidigung Deutschlands dienten. "Das Pentagon rauft sich wahrscheinlich die Haare, wie es diese Aufgaben mit 9500 Soldaten weniger leisten sollte", meint Felgentreu. Doch die Brisanz liege ganz woanders, warnen er und eine ganze Garde an CDU-Außen- und Sicherheitspolitikern übereinstimmend: "Allein die Ankündigung eines Abzugs ist von ganz großer Symbolkraft, weil sie Zweifel an der Bündnisverlässlichkeit des wichtigsten Nato-Landes aufkommen lässt", sagt etwa der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung, Peter Beyer (CDU), im Reuters-Interview. Dies schwäche den Westen insgesamt, der sich dummerweise gerade in einem Systemkampf mit dem kommunistischen China befinde.

Mit anderen Worten: Nach den unabgestimmten Abzugspläne für Afghanistan wüssten die Nato-Verbündeten immer weniger, ob sie den USA noch trauen könnten, heißt es in Berlin. Dazu kommt, dass die Bundesregierung den Eindruck hat, wieder einmal von Trump und einigen seiner Vertrauten bewusst vorgeführt worden zu sein. Als Regierungssprecher Steffen Seibert und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am Montag sagten, sie könnten keine "unbestätigten Berichte" kommentieren, beschrieben sie das ganze Dilemma der Bundesregierung. Denn trotz intensivster Gesprächsanfrage in Washington blieb die US-Regierung gegenüber dem engen Verbündeten tagelang stumm. Das wird regierungsintern darauf zurückgeführt, dass die US-Seite nicht sprechfähig sei, weil das Weiße Haus wieder einmal unabgestimmt mit Pentagon, State Department und US-Kongress vorgegangen sei. Nur tröstet das niemanden. CDU-Außenpolitiker wie Jürgen Hardt oder Beyer reagieren eher mit Betroffenheit. Denn schon seit Monaten trübt sich das ohnehin schlechte Verhältnis zur Trump-Regierung weiter ein. Der US-Präsident geht aus Berliner Sicht seinen isolationistischen, nationalistischen Weg immer weiter. Nach dem Auszug aus dem Klimaschutzabkommen, der Kündigung des Iran-Atomabkommens und der Verhängung unilateraler Handelssanktionen hat er jüngst auch noch den Austritt seines Landes aus der Weltgesundheitsorganisation verkündet - mitten in der Corona-Krise, in der kein Land mehr Virus-Tote zu beklagen hat als die USA. Die Bundesregierung verstärkt dagegen ihren Kurs der internationalen Abstimmung, tritt als Co-Gastgeber für eine internationale Impfstoffinitiative auf und erhöht demonstrativ ihre Zahlungen an die WHO.

In Medien wie der "New York Times" oder dem "Guardian" wird Kanzlerin Angela Merkel deshalb immer mehr zur Hauptgegenspielerin Trumps hochstilisiert. Als I-Tüpfelchen wurde empfunden, dass Merkel auf seine Einladung zum G7-Gipfel in Washington Ende Juni zunächst mit dem Verweis reagierte, dass sie wegen der Corona-Pandemie und dem Verweis auf noch geltende Reisebeschränkungen noch nicht zusagen könne. "Donald Trump sieht Angela Merkel und niemand sonst als seine systemische Gegnerin", meint auch Thomas Kleine-Brockhoff, Vizepräsident des German Marshall Funds. Die Konsequenz sei, dass die deutsch-amerikanischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt der letzten 35 Jahre seien.

"Bei einer Scheidung sind wir noch nicht", meint Transatlantik-Koordinator Beyer zwar. "Aber wir sind schon bei einer deutlich schlechteren Qualität des Miteinanders als früher." Möglicherweise werde sich dies erst nach den US-Wahlen im November wieder ändern - egal wer gewinne, heißt es etwas resignierend sowohl in Regierung wie Koalition.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Recruiting Trends: Zeugnisse verlieren bei der Jobsuche an Bedeutung
05.11.2025

Immer mehr Firmen rücken bei der Personalsuche von klassischen Lebensläufen und Abschlüssen ab: Laut einer Stepstone-Befragung wollen 77...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht auf tiefsten Stand seit Juni: Anleger leiden unter Risikoaversion
04.11.2025

Der Bitcoin-Kurs steht unter massivem Druck. Milliardenverluste, Panikverkäufe und makroökonomische Unsicherheiten erschüttern den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Ifo-Studie: Betriebsrat wirkt sich positiv auf die Produktivität aus
04.11.2025

Wie stark kann ein Betriebsrat die Produktivität von Unternehmen wirklich beeinflussen? Eine aktuelle Ifo-Studie liefert überraschende...

DWN
Panorama
Panorama Triage-Regel gekippt: Was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet
04.11.2025

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Triage-Regel gekippt – ein Urteil mit weitreichenden Folgen für Medizin und Politik....

DWN
Politik
Politik Reformen in Europa: Wie der schleppende Fortschritt den Wettbewerb gefährdet
04.11.2025

Europa steht vor wachsenden wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen. Kann die Union unter diesen Bedingungen den Rückstand...

DWN
Finanzen
Finanzen BYD-Aktie unter Druck: Chinas Autobauer mit größtem Umsatzrückgang seit Jahren
04.11.2025

BYD steht unter Druck: Der einstige Überflieger der E-Auto-Branche erlebt den größten Gewinnrückgang seit Jahren. Anleger sind...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Stahlproduktion: Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt vor Milliardenverlusten durch Stahlauslagerung
04.11.2025

Die mögliche Stahlauslagerung deutscher Produktionskapazitäten sorgt für Aufsehen. Eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung warnt...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: So schützen sich Anleger vor einem möglichen KI-Crash an den Finanzmärkten
04.11.2025

Die US-Finanzmärkte sind in Bewegung. Technologiewerte und Entwicklungen rund um künstliche Intelligenz sorgen für Begeisterung und...