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Wirecard-Skandal zeigt es wieder: Deutschland war schon immer ein Land des Börsen-Betrugs

Lesezeit: 2 min
01.08.2020 10:02
Alle regen sich derzeit über Wirecard auf. Dabei vergessen viele, dass Bilanz-Tricksereien und Börsen-Betrug hierzulande eine lange Tradition haben.
Wirecard-Skandal zeigt es wieder: Deutschland war schon immer ein Land des Börsen-Betrugs
Kursstürze, Manipulationen und Bilanztricksereien gab es in Deutschland schon oft. (Foto: dpa)
Foto: Boris Roessler

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Vor etwa 20 Jahren büßte der damalige Neue Markt in nur 31 Monaten etwa 95 Prozent seines Wertes ein und vernichtete 200 Milliarden Euro. Das entsprach in etwa zehn Prozent des damaligen deutschen Bruttosozialprodukts. Begleitet wurde der historisch beispiellose Abwärtstrend von Bilanz-Skandalen, die heute noch Kopfschütteln hervorrufen.

Größer als Disney

Besonders eng mit dem Neuen Markt war die Aktie des Filmrechtehändlers EM.TV verbunden, der als absoluter Topstar dieses Börsensegmentes galt. Die beiden Brüder Thomas und Florian Haffa wollten Ende der Neunziger Jahre ihr Unternehmen größer machen als den Disneykonzern – und zwar überwiegend durch Zukäufe. Zum Vergleich: Der US-Unterhaltungsgigant generierte zu diesem Zeitpunkt jährliche Umsätze von umgerechnet 20 Milliarden Euro. Der deutsche Händler hatte anfangs Erlöse erzielt, die in Euro-Preisen weit unter 100 Millionen gelegen hatten - also nur ein Bruchteil von Disney.

Dabei prägten Luxus-Partys, teure Yachten und ständige Auftritte in den Medien das Leben der beiden Jung-Manager, die für viele Deutschen zum Vorbild wurden. Dies spiegelte sich am Aktienkurs wider, der 1997 beim Börsengang bei 35 Cent gelegen hatte. In den Folgemonaten explodierte das Papier auf Werte von rund 120 Euro.

Allerdings war es nur eine Scheinwelt, die beide aufgebaut hatten: Denn in Wirklichkeit liefen die Geschäfte überhaupt nicht. So kaufte EM-TV seine Sendungen meistens zu überhöhten Preisen – und zwar oft nur auf Pump. Darunter befanden sich keine geringeren als die Sesamstraße, die Muppet Show und eine 50prozentige Beteiligung an der Formel eins.

Statt lukrativer Gewinne erwirtschaftete EM-TV schließlich Verluste in Milliarden-Höhe. Später wurden die Manager zu Geldstrafen verurteilt, weil sie die Investoren getäuscht und während der Haltefrist Aktienpakete verkauft hatten. Thomas musste 1,2 Millionen Euro zahlen, während Florian mit 240.000 Euro davonkam. Tausende Kleinanleger zogen ebenfalls vor Gericht, wobei die meisten von ihnen leer ausgingen. „Ich bin fassungslos“, sagte Thomas Haffa dem Fachdienst Vereinigte Wirtschaftsdienste VWD. „Einen Freispruch hätte ich als gerecht empfunden“, so der Manager.

Scheinfirma in Hongkong

Das bayrische Telematik-Unternehmen "Comroad AG" sorgte für einen Fall, der nicht weniger spektakulär war: Eine Journalistin fand heraus, dass etwa 95 Prozent der jährlichen Umsätze im zweistelligen Millionen-Euro-Bereich frei erfunden waren. Das Management um den damaligen Vorstandsvorsitzenden Bodo Schnabel verkündete zwischen 1998 und 2002 insgesamt 17 Umsatzsteigerungen. Das Problem: Diese Erlöse waren nur durch eine Scheinfirma in Hongkong zustande gekommen und existierten in Wirklichkeit gar nicht. Beispielsweise hatte es im Jahr 2000 tatsächlich nur einen Erlös von knapp einer Million gegeben. In die Bilanz schrieb Schnabel allerdings 44 Millionen Euro. Die Kursgewinne führten zu einer Überbewertung von einer Milliarde Euro. Der Kurs hatte zu seinen besten Zeiten Höchststände von 65 Euro ausgewiesen. Als der Skandal aufflog, verringerte sich die Aktie auf Werte von einigen Cent.

Die Wirtschaftsprüfung KPMG legte ihr Mandat nieder, und Schnabel wurde im April 2002 in Untersuchungshaft genommen. Das Ergebnis: Das Landgericht München verurteilte den Manager wegen Kursbetrugs, Insiderhandels und gewerbsmäßigen Betrugs zu sieben Jahren Haft. Seine damalige Ehefrau Ingrid Schnabel erhielt wegen Beihilfe eine Strafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.

"Größter Deal der Unternehmensgeschichte"

Das Ausburger Software-Unternehmen "Infomatec" fälschte Anfang des Jahrtausends eine Adhoc-Meldung über den angeblich "größten Deal der Unternehmensgeschichte" und musste deswegen sogar einem privaten Anleger 100.000 Mark (rund 50.000 Euro zahlen), der einen Verlust erlitten hatte. Angeblich werde Informatec dem Büdelsdorfer Unternehmen "Mobilcom" Produkte im Wert von 55 Millionen Mark (27 Millionen Euro) liefern. Der Vertragspartner galt damals als eine der erfolgreichsten Firmen am Neuen Markt. Später stellte sich heraus, dass der Kontrakt nie zustande gekommen war. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Unternehmen aus diesem Börsensegment einem Kleinanleger Schadenersatz leisten musste.


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