Politik

Die Spaltung in Privilegierte und Abgehängte ist eine existenzielle Bedrohung für die Staaten des Westens

Der bekannte Ökonom Branko Milanović sieht in der zunehmenden Ungleichheit die größte Gefahr für westliche Demokratien und fordert die Schaffung eines echten Volks-Kapitalismus.
22.11.2020 09:58
Lesezeit: 2 min
Die Spaltung in Privilegierte und Abgehängte ist eine existenzielle Bedrohung für die Staaten des Westens
New York: Ein Mann läuft an einem neuen Luxus-Bauprojekt vorbei. (Foto: dpa) Foto: Justin Lane

Die zunehmende Ungleichheit, die sich in fast allen westlichen Gesellschaften breit macht, gefährdet nach Ansicht von Experten die Demokratie insgesamt und fördert populistische Gegenbewegungen. In den USA ist die Entwicklung nur besonders weit fortgeschritten. Hier erkennt der Ökonom Branko Milanović bereits Ansätze einer Plutokratie («Herrschaft des Geldes»), die den liberalen Kapitalismus und die Demokratie hinwegfegen könnte. Am Ende stünde dann ein System, das dem chinesischen Kapitalismus gar nicht mehr so unähnlich wäre.

Milanović ist einer der weltweit führenden Ökonomen und beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Ungleichheit. Auch in seinem neuen, nun auf Deutsch erschienenem Buch «Kapitalismus global», ist dies ein Schwerpunkt. Vor Jahren sorgte der serbisch-amerikanische Wirtschaftsexperte in einem Bericht für die Weltbank mit seiner «Elefanten-Grafik» für Furore. Sie dokumentierte die Entwicklung der Einkommen seit den 1980er Jahren: In Ländern wie China und Indien konnte die Mittelschicht stark zulegen. Das Gleiche galt für das oberste Prozent in den alten Industrieländern. Doch in der Mittel- und Unterschicht in diesen Ländern stagnierten die Einkommen oder nahmen sogar ab.

Die ökonomisch Abgehängten revoltieren

Der Frust vieler Trump-Anhänger - und auch wütender Wähler anderer westlicher Staaten - hat also durchaus eine sehr reale Grundlage. Grund für die zunehmende Spreizung ist vor allem die Auseinanderentwicklung von Arbeitseinkommen und Kapitaleinkünften. Wer über Aktien und Immobilien verfügt, konnte sein Vermögen in den letzten Jahrzehnten enorm steigern, wer nur sein Arbeitseinkommen hat, tritt auf der Stelle. Die Aussicht, seine Situation zu verbessern, ist gering. Das Ergebnis ist, dass in den USA (als besonders extremes Beispiel) 90 Prozent des Finanzvermögens in der Hand der oberen zehn Prozent der Bevölkerung sind. Zwar kann man es durch ein sehr hohes Arbeitseinkommen immer noch schaffen, in diesen erlauchten Kreis aufzusteigen. Im Großen und Ganzen aber ist es eine mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft.

Milanović zeichnet anhand zahlreicher Daten die Verfestigung einer Oberschicht nach, die an lang verflossene feudale Zeiten erinnert. Denn das wirklich Gravierende ist, dass Reichtum aber auch Armut quasi weitervererbt werden. Es gibt immer weniger Austausch und Durchlässigkeit zwischen den Schichten. Die Reichen sichern sich per Finanzkraft die besten Schulen und Universitäten, die wiederum ihren Absolventen später ein hohes Einkommen garantieren: Kinder aus sehr reichen Familien haben in den USA eine 60 Mal höhere Chance auf ein Studium an einer Elitehochschule als Kinder aus der Mittel- und Unterschicht.

Und Reiche sichern sich - etwa durch das umstrittene System fast unbegrenzter Wahlkampfspenden - enormen Einfluss auf die Politik. So wurde nachgewiesen, dass im US-Kongress besonders häufig über Anliegen debattiert und abgestimmt wurde, die vor allem den Reichen am Herzen liegen, weniger dagegen der Mittel- und Unterschicht (Steuersenkungen). Der «liberale meritokratische Kapitalismus», wie Milanović ihn nennt, zu dem Rechtsstaatlichkeit und Partizipation der Bürger gehört, gerät dadurch in eine gefährliche Schieflage und wird am Ende vielleicht sogar abgeschafft.

Was also ist zu tun? Milanović spricht sich für eine Art «Volkskapitalismus» oder «egalitären Kapitalismus» aus: Einerseits hohe Erbschaftssteuern gegen die weitere Konzentration von Kapital, andererseits ein starker Sozialstaat mit einem leistungsfähigen öffentlichen Schul- und Gesundheitssystem, um das Zweiklassensystem aufzubrechen. Schließlich will er die privaten Zuwendungen für US-Wahlkampagnen stark reglementieren und so den Einfluss der Superreichen auf die Politik beschneiden. Ohne solche Eingriffe sorgten in der Regel «Kriege, Revolutionen und in einigen Fällen eine unerwartete Hyperinflation» für eine Korrektur extremer Ungleichheit. Das zeige die Geschichte.

Lesen Sie dazu auch:

Geisterstadt New York: Wirtschaft bricht ein, soziale Konflikte eskalieren, die Reichen flüchten

Aktuelle Studie: Große Mehrheit der Deutschen erwartet sinkenden Lebensstandard

UN an Tech-Milliardäre: „Es ist an der Zeit, dass Sie den Hungernden dieser Welt helfen“

Reiche als Krisenprofiteure: Vermögen wachsen in Corona-Krise ins Unermessliche

Wenn der Staat zum Raubritter wird: Die Großen haben Offshore-Konten, die Kleinen haben nur ihr Bargeld

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Wie schützt man seine Krypto-Wallet? CLS Mining ermöglicht Nutzern eine stabile tägliche Rendite von 6.300 €.

Der Kryptowährungsmarkt erholte sich heute umfassend, die Stimmung verbesserte sich deutlich. Meme-Coins führten den Markt erneut an....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Abwanderung deutscher Arbeitsplätze: Unternehmen verlagern Zehntausende Jobs ins Ausland
20.11.2025

Niedrigere Lohn- und Energiekosten, weniger Bürokratie und attraktivere Wettbewerbsbedingungen: Deutsche Unternehmen haben in den...

DWN
Politik
Politik Russland im Krieg: Journalistin enthüllt seltene Einblicke in die Gesellschaft
20.11.2025

In Zeiten, in denen Russland für viele Beobachter ein verschlossenes Land geworden ist, wagt eine Journalistin den Blick hinter die...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie steigt kräftig: Chipgigant begeistert Anleger – Nvidia-Zahlen schlagen Erwartungen
19.11.2025

Die neuesten Nvidia-Zahlen haben die Finanzmärkte erneut aufhorchen lassen. Der Chipriese übertrifft die Erwartungen deutlich und...

DWN
Politik
Politik EU plant Anpassungen an der DSGVO: Mehr Spielraum für KI zu Lasten des Datenschutzes?
19.11.2025

Die Europäische Union plant umfassende Änderungen ihrer Digital- und Datenschutzregeln, um Innovationen im Bereich künstlicher...

DWN
Finanzen
Finanzen Verbraucherumfrage: Debitkarten und Smartphones verdrängen Bargeld in Deutschland
19.11.2025

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass in Deutschland das Bezahlen mit Debitkarte und Smartphone zunehmend das Bargeld verdrängt. Fast die...

DWN
Politik
Politik Russisches Geld soll nach Kiew fließen - trotz Korruptionsskandals: Von der Leyen schreibt Merz & Co.
19.11.2025

Für die Nutzung der russischen Gelder werben insbesondere Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und von der Leyen. Ihr Plan sieht vor, der...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie rutscht ab: Friedenspläne der USA zum Ukraine-Krieg belasten den Rheinmetall-Aktienkurs
19.11.2025

Die Rheinmetall-Aktie gerät nach frischen US-Friedenssignalen erneut in turbulentes Fahrwasser. Analysten bleiben optimistisch, doch die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen im Fokus: Anleger reagieren auf überhitzte KI-Aktien und reduzieren ihre Positionen
19.11.2025

Investoren an den US-Börsen beobachten derzeit starke Bewegungen im KI-Sektor, während große Akteure gleichzeitig ihr Portfolio neu...