Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Durch die Pandemie stehen viele Unternehmen derzeit massiv unter Druck- und zwar in sehr vielen Wirtschaftszweigen. Deshalb ist nicht ausgeschlossen, dass sie früher oder später zahlungsunfähig werden. Können Sie einen kurzen Überblick darüber geben, wie derzeit die rechtliche Lage aussieht?
Robert Buchalik: Wir haben in Deutschland zwei zur Insolvenzantragstellung verpflichtende Gründe: Die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung. Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn die fälligen Verbindlichkeiten die freien liquiden Mittel um mehr als 10% übersteigen. Fällig ist alles, was nach den getroffenen Vereinbarungen als fällig bezeichnet wurde. Meist geschieht das durch Nennung von Zahlungszielen. Freie liquide Mittel sind ausschließlich Cash auf dem Bankkonto und freie Banklinien.
Überschuldung liegt vor, wenn die Verbindlichkeiten das Vermögen (nach Auflösung von stillen Reserven) überschreiten, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (positive Fortführungsprognose). Nach aktueller Gesetzeslage ist das der Fall, wenn das Unternehmen in den nächsten 12 Monaten nicht zahlungsunfähig wird. Wird es voraussichtlich in den nächsten 12 Monaten zahlungsunfähig und besteht keine positive Fortführungsprognose, ist es antragspflichtig.
Nach dem COVID 19 Aussetzungsgesetz war die Insolvenzantragspflicht bis zum 30.09.2020 ausgesetzt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Coronapandemie ab März 2020 beruhte und berechtigte Aussichten bestanden, die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu beseitigen. Ab dem 01.10.2020 besteht nunmehr wieder bei Zahlungsunfähigkeit eine Insolvenzantragspflicht. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei eingetretener Überschuldung wurde bis zum 31.12.2020 verlängert.
Das bedeutet: Unternehmen, die am 01.10.2020 zahlungsunfähig waren oder danach zahlungsunfähig werden, sind verpflichtet einen Insolvenzantrag unverzüglich, spätestens aber 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu stellen.
Sind die Unternehmen aktuell überschuldet, besteht keine Antragspflicht, auch dann nicht, wenn sie möglicherweise in den nächsten 12 Monaten zahlungsunfähig werden. Das ändert sich aber am 01.01.2021, dann ist auch bei Überschuldung ein Insolvenzantrag zu stellen. Selbstverständlich sind die Unternehmen bei heute bestehender Überschuldung berechtigt, einen Insolvenzantrag zu stellen. Es ist keineswegs so - und das war auch bei Zahlungsunfähigkeit vor dem 30.09.2020 nicht der Fall -, dass sie nicht berechtigt gewesen wären oder sind, einen Antrag zu stellen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche Änderungen diskutieren derzeit Politiker, Juristen und andere Fachleute?
Robert Buchalik: Das EU-Parlament hatte im Sommer 2019 eine Restrukturierungs- und Insolvenzrichtlinie über ein strukturiertes außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren („Präventiver Restrukturierungsrahmen“) erlassen, die sämtliche Mitgliedstaaten bis Mitte 2021 jeweils in nationales Recht umzusetzen haben. Dabei diente das deutsche Eigenverwaltungs-/Schutzschirmverfahren („ESUG“) in weiten Zügen als „Blaupause“. In etwa zeitgleich mit diesem Prozess legte ein Expertengremium in Deutschland seinen Evaluierungsbericht über die ersten Erfahrungen mit dem im Jahr 2012 eingeführten ESUG-Verfahren vor, verteilte dabei viel Lob, regte aber auch diverse Änderungen an.
Bedingt durch die Corona-Pandemie sind viele Unternehmen von einer Insolvenz bedroht. Um die Insolvenzwelle zu verhindern, wurde zunächst die Antragspflicht im Falle einer Überschuldung oder einer Zahlungsunfähigkeit bis zum 30.09.2020 ausgesetzt und im Falle der Überschuldung bis zum 31.12.2020 verlängert. Vor diesem Hintergrund und der zusätzlichen Brisanz durch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie versucht der deutsche Gesetzgeber nun mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts“ (SanInsFoG) nahtlos an die Beendigung der Aussetzungsfrist im Falle der Überschuldung anzuknüpfen und damit eine Insolvenzwelle zu verhindern. Die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag hat am 18.11.2020 stattgefunden. Es soll am 01.01.2021 in Kraft treten.
Kernbestandteil dieses Gesetzes (SanInsFoG) ist das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG). Das geltende Recht sieht derzeit keine Möglichkeit vor, außerhalb eines Insolvenzverfahrens Restrukturierungen der Passivseite der Bilanz, insbesondere Einschränkung von Verbindlichkeiten, gegen den Willen der Gläubiger durchzusetzen. Ziel des StaRUG ist eine Verständigung zwischen Gläubigern und Schuldnern - notfalls mit gerichtlicher Hilfe aber ohne Insolvenzantrag herbeizuführen - , insbesondere wenn sich einzelne Gläubiger weigern, einen von einer ¾ Mehrheit getragenen Sanierungsweg mitzugehen. So können z.B. Vermieter gezwungen werden Mietreduktionen zuzustimmen, Mietverträge oder auch andere Verträge können vor Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist beendet werden, oder Banken können gezwungen werden, Kreditlinien aufrecht zu erhalten, ohne von der Möglichkeit Kreditlinien zu kündigen Gebrauch machen zu können.
Mit der neuen gesetzlichen Regelung wird es aber auch zu einer deutlichen Haftungsverschärfung für Geschäftsführer und Vorstände eines Unternehmens kommen. Insbesondere sind sie verpflichtet, bei Eintritt in ein solches Verfahren aber auch schon bei drohender Zahlungsunfähigkeit -zur Vermeidung persönlicher Haftung - die Gläubigerinteressen vorrangig zu berücksichtigen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie beurteilen Sie das COVID-19-Aussetzungsgesetz vom März, das die Folgen der Pandemie milden soll, als besondere politische Maßnahme der Bundesregierung?
Robert Buchalik: Ziel des Gesetzes war, eine massive Insolvenzwelle zu verhindern. Herr Wirtschaftsminister Altmaier hatte zu Beginn der Pandemie versprochen, dass kein Arbeitsplatz wegen der Pandemie verloren gehen wird. Flankiert wurde die gesetzliche Regelung durch eine Vielzahl von finanziellen Hilfen, die sich aktuell beim Lockdown light fortsetzen. Durch eine großzügige Regelung der Kurzarbeit konnten in der Tat die Arbeitsplätze auch bei gefährdeten Unternehmen weitüberwiegend erhalten werden. Das Ziel, eine Insolvenzwelle zu vermeiden, wurde erreicht, die massive Insolvenzwelle ist ausgeblieben. Im Gegenteil, die Insolvenzen sind deutlich im Verhältnis zum Vorjahr zurückgegangen. Dies liegt in erster Linie aber nicht daran, dass die Antragspflicht ausgesetzt worden ist, sondern vor allem an den finanziellen Hilfen.
Die Unternehmen haben ausreichend Liquidität vom Staat erhalten, um die schwierige Zeit zu überbrücken. Man muss der Bundesregierung wieder einmal bescheinigen, dass sie vorbildlich - wie schon in der Finanzkrise- und vorrausschauend gehandelt hat. Dies war insbesondere Vorbild für viele andere Länder in der EU. Sicherlich sind dabei auch Unternehmen gestützt worden, die ohne Pandemie einen Insolvenzantrag gestellt hätten. Man spricht hier auch von „Zombieunternehmen.“ Das musste aber im Interesse des angepeilten Ziels in Kauf genommen werden. Über die Belastung der Wirtschaft in der Zukunft kann man geteilter Meinung sein. Ich bin jedenfalls der Ansicht, dass es weitgehend gelungen ist, die wirtschaftlich nachteiligen Folgen der Pandemie abzufedern, ohne unsere Zukunft aufs Spiel zu setzen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Rechnen Sie mit einer Pleitewelle durch die Pandemie?
Robert Buchalik: Nach den Vorhersagen der Experten sollte die Pleitewelle schon nach Beendigung der Aussetzungsfrist bei Zahlungsunfähigkeit am 30.09.2020 eintreten. Das Gegenteil war der Fall. Ich rechne zwar in 2021 vermehrt mit Insolvenzanträgen, aber nicht mit einer Welle. Dazu werden die Möglichkeiten des StaRUG beitragen, aber auch die zahlreichen Hilfen des Staates, die während der Pandemie gewährt wurden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Buchalik, herzlichen Dank für das Gespräch.
Robert Buchalik ist seit 1983 Rechtsanwalt und konzentriert sich unter anderem auf die Themengebiete "Insolvenzrecht und Sanierung".