Finanzen

Angriff auf den Dollar: China plant ein Projekt, das die Neue Seidenstraße in den Schatten stellt

Lesezeit: 5 min
10.01.2021 09:17
Die Handelsroute, die China mit Europa verbinden soll, ist regelmäßiges Thema, nicht zuletzt bei den DWN. Doch wie Ernst Wolff ausführt, setzt die Volksrepublik derzeit ein Projekt um, das die "Neue Seidenstraße" bei weitem in den Schatten stellt - von dem jedoch kaum niemand Notiz nimmt.
Angriff auf den Dollar: China plant ein Projekt, das die Neue Seidenstraße in den Schatten stellt
Chinas Präsident Xi Jinping zeigt Joe Biden (l), was ein kräftiger Händedruck ist. Doch die starken Arme seines Widerparts dürften für den designierten US-Präsidenten ein weitaus geringeres Problem darstellen als das neue große Projekt, das die Volksrepublik gerade betreibt. (Foto: dpa)

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Die Welt erlebt gegenwärtig den größten Umbruch der Neuzeit. Am härtesten treffen die Veränderungen die Supermacht USA, deren Herrschaftsära unwiderruflich zu Ende geht. Dafür gibt es zwei Gründe: Den Zerfall des globalen Finanzsystems und den unaufhaltsamen Aufstieg des Konkurrenten China.

Das globale Finanzsystem ist ein Dollar-System

Das aktuelle Finanzsystem war von Anfang an auf den US-Dollar zugeschnitten. Er wurde 1944 zu einem festen Kurs an Gold gebunden, alle anderen Währungen wurden an den Dollar gebunden. Auf diese Weise ermöglichten sich die USA nach dem Zweiten Weltkrieg den Zugang zu allen Märkten der Welt und überschwemmten sie mit ihrer Währung. Da nur die US-Zentralbank „Federal Reserve“ (FED) Dollar schaffen durfte, wurden die USA so wirtschaftlich und finanziell immer mächtiger.

Gleichzeitig aber entstand ein Problem, denn die Menge neu geschürften Goldes konnte mit der explodierenden Dollarmenge nicht Schritt halten. Das immer größere Missverhältnis zwischen beiden machte viele Anleger misstrauisch, so dass es zu einem Run auf das Gold kam, den der damalige Präsident Nixon im August 1971 mit der Entkoppelung des Dollars vom Gold beendete.

Exponentielle Beschleunigung der Dollar-Entwertung

Durch diese Entkoppelung begann ein neues Geldzeitalter, denn von nun an gab es bei der Schaffung neuer Dollars kein Halten mehr. Die wichtigste Folge: Der Dollar hat seit 1971 mehr als achtzig Prozent seiner Kaufkraft eingebüßt. Im vergangenen Pandemie-Jahr ist dieser Entwertungsprozess exponentiell beschleunigt worden. Sage und schreibe 21 Prozent aller aktuell weltweit zirkulierenden Dollars wurden 2020, also innerhalb nur eines Jahres, geschaffen und haben die US-Währung innerhalb von zwölf Monaten um mehr als zehn Prozent entwertet. Die Großbank Citigroup erwartet für 2021 einen Wertverlust von bis zu zwanzig Prozent.

Die Dollar-Schwemme hat auch noch ein weiteres Problem erzeugt. Da die FED neu geschöpftes Geld nicht verschenkt, sondern für Gegenleistungen (zum überwiegenden Teil für Anleihen) vergibt, steigt mit der Geldschöpfung aus dem Nichts auch der Grad der Verschuldung. Erschwerend hinzu kommen die Folgen der Pandemiebekämpfung: Rückläufige Steuereinnahmen, billionenschwere „Rettungspakete“ und explodierende Sozialausgaben verschlingen immer höhere Summen aus dem Staatshaushalt. Aus diesen Gründen ist die Verschuldung im vergangenen Jahr komplett aus dem Ruder gelaufen.

All diese Probleme sind im Rahmen des aktuellen Finanzsystems nicht mehr zu lösen. Daher setzen die USA – wie der Rest der Welt – auf eine digitale Zentralbankwährung. Mit ihr wollen sie die Geldmenge gezielt steuern, um so die Verschuldung entweder über eine Inflation oder über eine Währungsreform in den Griff zu bekommen. Dabei stoßen sie allerdings auf ein gewaltiges Problem: China und sein gigantisches Jahrhundertprojekt, die Neue Seidenstraße.

Das größte Wirtschaftsprojekt aller Zeiten - auch digital

In Anlehnung an die historischen Routen zwischen Mittelmeerraum und Ostasien soll die im Jahr 2013 von Staatspräsident Xi Jin Ping ins Leben gerufene „Neue Seidenstraße“ neue Handels- und Verkehrsnetze zwischen den Kontinenten schaffen. Zu diesem Zweck hat China in Asien, Afrika und Europa ein Netz aus neuen Häfen, Eisenbahnlinien, Straßen und Industrieparks finanziert - mit dem offensichtlichen Ziel, Absatzmärkte an sich binden.

Das aber war nur das anfängliche Konzept. Seit 2015 arbeitet China – von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbeachtet – an einem viel bedeutenderen Projekt, nämlich der „Digitalen Neuen Seidenstraße“, bei der es nicht mehr um den Ausbau herkömmlicher Infrastruktur- und Produktionsprojekte geht, sondern um den Ausbau der Kommunikations-Konnektivität mit dem Ziel der Errichtung einer reibungslos funktionierenden "Informations-Seidenstraße". Seit fünf Jahren werden Milliardenbeträge in die digitale Infrastruktur wie 5 G, Cloud, Blockchain und darauf basierende Zahlungssysteme investiert.

Hier nur einige Meilensteine:

Im 13. Fünfjahresplan der Volksrepublik China wurde 2016 der Bau einer China-Arabien-Internet-Seidenstraße ausgerufen. Auf dem ersten Seidenstraßen-Forum 2017 wurden ein Dreijahresaktionsplan zur Entwicklung von Cloud Computing und ein Entwicklungsprogramm für Technologien der nächsten Generation – unter anderem Künstliche Intelligenz, Big Data, Cloud-Computing und Smart Cities – beschlossen.

Auf dem zweiten Forum im April 2019 unterzeichnete China mit 40 Staaten ein gemeinsames Communiqué zum weiteren Ausbau der digitalen Infrastruktur sowie zur Entwicklung von E-Commerce und Smart Cities. Außerdem wurden Gelder für die Entwicklung und Förderung von Plattform-Firmen bereitgestellt.

Heute ist China durch drei internationale Seekabel, zwölf landseitig verlegte internationale Glasfaserkabel sowie wichtige Telekommunikations-Knotenpunkte mit zwölf seiner vierzehn Nachbarstaaten durch Glasfaserkabel verbunden. Das Land ist damit beim grenzüberschreitenden Datenverkehr mit einem Weltanteil von 23 Prozent mit Abstand führend.

Durch diesen gigantischen Aufwand hat China die Grundlagen für das möglicherweise wichtigste Vorhaben seiner modernen Geschichte gelegt: Die Einführung des CBEP (Central Bank Electronic Payment), der chinesischen Variante der CBDC (Central Bank Digital Currency), also der digitalen Zentralbankwährung.

Im Rennen um die digitale Zentralbankwährung liegt China vorn

Während die Europäische Zentralbank (EZB) erst Mitte 2021 über die Einführung eines digitalen Euro entscheiden will und die USA noch auf die Verabschiedung des „Banking for all Act“ warten, der die Grundlagen für den sogenannte „Fedcoin“ (die digitale Variante des US-Dollars) schaffen soll, hat China bereits im Frühjahr 2020 mit der Erprobung des digitalen Yuan begonnen, inzwischen mehrere großflächige Tests durchgeführt und sich damit einen überaus wichtigen Vorsprung gegenüber allen Konkurrenten verschafft.

Zusammen mit der durch die digitale Seidenstraße geschaffenen Infrastruktur könnte der digitale Yuan somit sehr schnell über die Grenzen Chinas hinaus eingeführt werden. Das wiederum würde eine historische Herausforderung für das dollar-basierte SWIFT-System („Society für Worldwide Financial Telecommunication“) bedeuten, die bis heute wichtigste internationale digitale Zahlungsplattform.

Zusätzlich kämen zwei weitere für die USA äußerst bedenkliche Faktoren hinzu: Zum einen ist China inzwischen wichtigster Handelspartner von mehr als 130 Ländern (bei den USA sind es nur halb so viel) und hat so ein Druckmittel in der Hand, mit dem es die Akzeptanz des Digitalyuan jenseits der eigenen Grenzen notfalls erzwingen kann.

Zum anderen hat China seine Goldvorräte in den vergangenen Jahren gewaltig aufgestockt und sich damit die Möglichkeit geschaffen, den digitalen Yuan in einen „Stable Coin“ zu verwandeln, ein digitales Zahlungsmittel, das durch einen Sachwert gedeckt ist.

Ein solcher Schritt würde mit absoluter Sicherheit das Ende des US-Dollars als globaler Leitwährung bedeuten. Wie sehr die USA diesen Fall fürchten, haben sie bereits 2011 durch den Krieg gegen Libyen bewiesen, der eine Antwort auf Staatschef Gaddafis Plan war, einen goldgedeckten nordafrikanischen Dinar einzuführen.

Wie wahrscheinlich ist ein Krieg?

Für die USA bedeutet die digitale Seidenstraße also eine existentielle Bedrohung ihrer globalen Hegemonialstellung, die mit jedem Tag größer wird. Kann es deshalb zu einem begrenzten Krieg kommen, der sich voraussichtlich im Südchinesischen Meer abspielen würde?

Bisher gab es vor allem zwei Faktoren, die die Regierung in Washington zögern ließen: Zum einen die Tatsache, dass sich China in den vergangenen Jahrzehnten zur Werkbank eines großen Teils der US-Technologie-Branche entwickelt hat und man sich damit durch einen Krieg ins eigene Fleisch schneiden würde. Zum anderen ist China größter Halter amerikanischer Staatsanleihen und könnte den Vereinigten Staaten durch einen Blitz-Abverkauf erheblich schaden.

Da die USA dem eigenen wirtschaftlichen Untergang aber aller Wahrscheinlichkeit nach nicht tatenlos zusehen werden, wäre statt einer direkten Konfrontation auch ein anderes Szenario möglich: Ein Stellvertreterkrieg gegen den Iran, der in der Seidenstraße eine geographische Schlüsselstellung einnimmt und auch schon Ziel mehrerer Cyber-Attacken der USA gewesen ist. Im Finden von Kriegsvorwänden sind die USA seit Jahrzehnten geübt, und ein Schlag gegen den Iran hätte den Nebeneffekt, die schwer notleidende US-Fracking-Industrie wegen der im Kriegsfall zu erwartenden Erhöhung des Ölpreises wieder in die Gewinnzone zu bringen.

Angesichts der höchst dramatischen Lage in Washington besteht zurzeit auch die Möglichkeit, dass Noch-Präsident Trump in den letzten Tagen seiner Amtszeit so sehr in die Enge gedrängt wird, dass er sein Heil in einem Schlag gegen den Iran sucht und seinem Nachfolger Biden auf diese Weise den Teppich für einen Krieg ausrollt, der im Grunde nichts anderes als einen verzweifelten Versuch darstellen würde, das unvermeidliche Ende des amerikanischen Zeitalters um eine kurze historische Frist hinauszuzögern.

                                                                            ***

Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft.


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