Die zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan bedecken eine Fläche von über vier Millionen Quadratkilometern. In Usbekistan finden sich einige Perlen der historischen Seidenstraße, über die Jahrhunderte lang Waren von China nach Europa flossen: Taschkent, Samarkand, Chiwa. Diese Route machte den zentralasiatischen Raum, speziell seinen südlichen Teil, zu einer Schnittstelle der Weltgeschichte, zu einem Zentrum des kulturellen Austauschs. Im 19. Jahrhundert geriet die Region dann unter den Einfluss der russischen Zaren, die mit dem britischen Empire um Einfluss in Asien rangen. Und noch heute spielt er bei den geostrategischen Überlegungen der großen und mittelgroßen Mächte eine herausragende Rolle. Man könnte auch sagen: Zentralasien ist das „Zentrum des Schachbretts“. Eine Analyse.
Das "Große Spiel"
"Wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt“: Dieser Überzeugung sind viele Geostrategen. Ihre Ansicht geht auf die Idee des britischen Geographen Halford Mackinder zurück, der im Jahr 1904 seine "Heartland-Theorie" entwickelte: Im Kampf um die Ressourcen der Welt stünde die Seemacht Großbritannien in Konkurrenz zu den aufstrebenden Landmächten Russland und Deutschland, die - sollten sie sich verbünden - Britanniens Vormachtstellung in der Welt gefährden. Der Erste Weltkrieg warf seine Schatten voraus.
Schon damals ging es also nicht allein um Europa, sondern auch um die Kontrolle der eurasischen Landmasse. Der Begriff des „Great Game“, des Großen Spiels, der durch Rudyard Kiplings Roman „Kim“ einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, beschreibt den Kampf zwischen dem britischen Weltreich und dem Zarenreich um die Vorherrschaft in Zentralasien. Es war ein Kampf, der diese Region das gesamte 19. Jahrhundert über prägte: Während Russland von einem Vorstoß bis an den Indischen Ozean und damit von einem Warmwasser-Hafen träumte, wollten die Briten ihr „Kronjuwel“ Indien vor einem möglichen Zugriff durch die Russen schützen und versuchten daher, die russische Expansion weit nördlich der indischen Grenze einzudämmen.
Nach dem Großen Krieg von 1914 bis 1918 begann die alte Ordnung zu zerfallen: Die Fäden des Weltgeschehens liefen nicht länger in Europa zusammen, die USA stiegen zur größten Wirtschafts- und Industriemacht auf. Der Sowjetunion fiel das Erbe des Zarenreiches zu, darunter auch die Gebiete Zentralasiens, die als Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien den Status von Sowjetrepubliken erhielten. Die Grenzen zwischen ihnen wurden auf Veranlassung Stalins teilweise neu gezogen, mitunter quer durch die Siedlungsgebiete verschiedener ethnischer Gruppen. So hoffte der Diktator, etwaige aufkommende Unabhängigkeitsbewegungen besser kontrollieren und einen Zerfall des Sowjetreiches an seiner südlichen Peripherie verhindern zu können. Heute stellen diese Grenzen eine Hypothek für die diplomatischen Beziehungen einiger zentralasiatischer Republiken untereinander dar, insbesondere für die zwischen Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien.
Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion findet das „Great Game“ seine Fortsetzung, allerdings unter Mitwirkung neuer Spieler: Neben den Russen, die über die letzten Jahrzehnte immer am Spieltisch gesessen haben, sind dies vor allem die beiden Supermächte China und USA.
Der ehemalige nationale Sicherheitsberater der USA, Zbigniew Brzeziński, hatte bereits in seinem 1997 erschienen Buch „The Grand Chessboard“ (Deutsche Ausgabe: „Die einzige Weltmacht“) betont, dass es keiner einzelnen fremden Macht gelingen dürfe, die Kontrolle über große Teile der asiatischen Landmasse zu gewinnen, wenn die amerikanische Weltordnung Bestand haben soll. Eine Schlüsselrolle fällt bei diesen Überlegungen Zentralasien zu, das laut Brzeziński nach der Auflösung der Sowjetunion zu einem geopolitischen Schwarzen Loch implodiert war.
Schach, Patt, Matt: Das Ringen der Supermächte
Dabei hat die amerikanische Politik der letzten Jahre dazu geführt, dass sich Russland und China strategisch und politisch einander angenähert haben – und das, obwohl durchaus Konfliktpotential zwischen den beiden Riesenreichen besteht. Neben der Region um Wladiwostok, die ursprünglich zur chinesischen Äußeren Mandschurei gehörte und heute im russischen „Fernen Osten“ gelegen ist, dürften bei diesem Konflikt vor allem die zentralasiatischen Republiken im Mittelpunkt stehen: Sie bilden das Zentrum des Schachbretts.
China möchte diese Länder über das Projekt der „Neuen Seidenstraße“ in seine Einflusssphäre ziehen, nicht zuletzt, um verstärkten Zugriff auf die Öl- und Gas-Vorkommen vor allem Kasachstans und Turkmenistans zu bekommen sowie auf Kasachstans Weizen, der für das im Agrarbereich nicht autarke Reich der Mitte von großer Bedeutung ist. Russland sucht dieser Entwicklung mit der Eurasischen Wirtschaftsunion, der auch Kasachstan und Kirgisien angehören und in der Usbekistan einen Beobachterstatus hat, etwas entgegenzusetzen. Dabei dürfte auch eine Rolle spielen, das Russland in einer russisch-chinesischen Allianz als Juniorpartner kaum noch eigenen diplomatischen Bewegungsspielraum hätte und daher danach trachten muss, die geopolitischen Gewichte innerhalb dieses potentiellen Bündnisses besser auszubalancieren. Die Amerikaner wiederum haben sich in Afghanistan festgesetzt, das an der Schnittstelle zwischen Süd- und Zentralasien liegt. Von hier ließen sich die Staaten des südlichen Zentralasien, etwa durch das Einschleusen beziehungsweise die Förderung islamistischer Gruppierungen, destabilisieren. Dies könnte dazu beitragen, das chinesische Projekt der „Neuen Seidenstraße“ zu untergraben - für die USA, die ihre Stellung als Weltmacht Nummer eins durch den chinesischen Tiger zusehends gefährdet sehen, ein wünschenswertes Ziel.
Wie im Schach: Das Zentrum muss beweglich bleiben
Aus dieser Gemengelage ergibt sich, dass die zentralasiatischen Republiken eine in verschiedene Richtungen offene Außenpolitik betreiben müssen, um den wachsenden Einfluss einer äußeren Macht in der Region durch die stärkere Anbindung an eine andere äußere Macht ausgleichen zu können. Ihnen allen ist gemein, dass sie Binnenstaaten sind, das heißt, keinen direkten Zugang zum Meer haben (das Kaspische Meer ist ein Salzsee und hat keinen Abfluss in einen Ozean). Usbekistan ist dabei sogar neben Liechtenstein der einzige Binnenstaat der Welt, der ausschließlich von anderen Binnenstaaten umgeben ist. Die Aufteilung der einzelnen Ethnien birgt Konfliktpotential, ebenso wie die ungleiche Verteilung der Wasser-Reserven. Denn während sich in Kirgisien das Tienschan-Gebirge bis zu einer Höhe von weit über 7.000 Metern aufwirft und das Land auch dank seiner Gletscher und ewigen Schneefelder über riesige Wassermengen verfügt, die es zur Gewinnung elektrischer Energie an zahlreichen Stellen aufstaut, leiden die Landstriche weiter flussabwärts, beispielsweise in Usbekistan, einem der weltweit führenden Baumwollproduzenten, unter Trockenheit. Der Weg der zentralasiatischen Republiken müsste der einer wechselseitigen Verständigung sein, um gemeinsam diplomatische Initiativen gegenüber machtvolleren Staaten ergreifen und die nächsten Züge auf dem „Großen Schachbrett“ mitgestalten zu können.
In unserer großen geopolitischen Serie sind bisher erschienen:
Russland:
China:
Deutschland:
USA:
Großbritannien:
deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506643/Großbritannien-Wiedergeburt-eines-Empires
Türkei:
Japan:
Saudi-Arabien:
Frankreich: