Finanzen

Lieferketten-Chaos und hohe Transportkosten fachen Inflation in Europa an

Produzenten geben die teils deutlich gestiegenen Kosten an die Kunden weiter, die Inflation in Europa erreicht die Geschäfte und Supermärkte.
01.03.2021 09:00
Lesezeit: 4 min
Lieferketten-Chaos und hohe Transportkosten fachen Inflation in Europa an
Ein Containerfrachter im Hafen von Hongkong. (Foto: dpa) Foto: Alex Hofford

Verbraucher in ganz Europa werden die teilweise deutlich gestiegenen Kosten für Rohstoffe, Vorprodukte und den Warentransport im laufenden Jahr in Form höherer Preise bezahlen müssen.

Dem aktuellen IHS-Einkaufsmanagerindex zufolge kam es im Februar zur stärksten Kostensteigerung seit fast 10 Jahren, berichtet die Financial Times. Besonders stark waren demnach die Branchen Automobile, Chemie, Metallerzeugnisse, Industrierohstoffe und Grundnahrungsmittel von der anziehenden Inflation betroffen.

Beispielsweise haben die Preise für Kupfer ein 10-Jahres-Hoch erreicht, während die Notierungen für Mais seit Jahresbeginn um fast 20 Prozent zulegten und die Preise für Rohöl mit rund 67 Dollar pro Barrel (Faß zu 159 Litern) derzeit den höchsten Stand seit Anfang des vergangenen Jahres erreicht haben.

Eine ganze Reihe weiterer Industrierohstoffe wie Nickel, Stahl oder Lithium sowie Grundnahrungsmittel wie Weizen und Reis markierten in den vergangenen Wochen darüber hinaus deutliche Preissteigerungen.

Bundesbank sagt deutliche Inflation voraus

Die Bundesbank erwartet im laufenden Jahr denn auch eine durchschnittliche Verteuerung von etwa 3 Prozent in Deutschland. „Aus heutiger Sicht dürfte die Inflationsrate gemäß dem Harmonisierten Verbraucherpreisindex in Deutschland zum Jahresende hin über drei Prozent liegen“, sagte Präsident Jens Weidmann in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen.

Den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) zieht die Europäische Zentralbank für ihre Geldpolitik heran, seine Aussagekraft ist aber höchst umstritten. Der Schweizer Ökonom Michael Bernegger hat im Zuge mehrerer Analysen in den Deutschen Wirtschaftsnachrichten nachgewiesen, dass der HVPI eine viel zu geringe Inflation ausweist, weil wichtige Kostenfaktoren schlichtweg nicht berücksichtigt werden.

Angeheizt werde die Inflation in Deutschland unter anderem dadurch, dass die für ein halbes Jahr gesenkte Mehrwertsteuer zu Jahresbeginn wieder auf ihr bisheriges Niveau angehoben wurde, so Weidmann. Hinzu kommt die seit Anfang 2021 fällige CO2-Sondersteuer von 25 Euro je Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid (CO2), welche beim Verbrennen von Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas berappt werden muss. Aufgrund dieser Sondereffekte werde der Anstieg der Inflationsrate „nur vorübergehend sein“, erklärte Weidmann. „Aber eines ist klar: Die Inflationsrate bleibt nicht auf Dauer so niedrig wie im vergangenen Jahr.“

Chaos bei Halbleitern, hohe Transportkosten und gebrochene Lieferketten

Die Gründe für die erwarteten deutlichen Preisanstiege sind mannigfaltig. Besonders die Automobilindustrie leidet seit einigen Wochen an einem weltweiten Mangel an Halbleiterchips. Diese hatten in den Monaten der Lockdowns und Ausgangssperren aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach Spielekonsolen und Unterhaltungselektronik besonders viele Elektronikkonzerne vorbestellt – nachdem sich angesichts vermehrter Lockerungen nun wieder die Nachfrage nach Autos und anderen Produkten regt, herrscht auf dem Weltmarkt ein Chip-Mangel. Das gleiche Muster zeigt sich auch bei Rohstoffen oder Vorprodukten.

Auch die Reedereien konnten mit ihren Containerschiffen nicht rechtzeitig auf die Rückkehr der Nachfrage reagieren, weshalb nun die Frachtraten in die Höhe schießen und Verzögerungen beim Seehandel entstehen. Der Transport eines Standardcontainers von China nach Europa kostet derzeit rund 8.000 Dollar, was deutlich über jenen Frachtraten liegt, die vor Ausbruch der Pandemie bezahlt werden mussten.

Der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd warnte vor Kurzem, dass es praktisch keine Fracht-Kapazitäten mehr gebe, seine Schiffe alle auf See seien und die Transportengpässe noch einige Monate anhalten könnten.

Spekulationen auf einen „Super-Zyklus“ treiben Preise

Erschwerend kommt hinzu, dass inzwischen Großinvestoren aus Spekulationsgründen in Rohstoffe wie Rohöl, Erdgas oder Stahl investieren, weil sie an den Beginn eines sogenannten „Super-Zyklus“ bei Rohstoffen glauben. Dabei handelt es sich um eine lange Phase, in denen das Angebot nicht richtig mit der davonziehenden Nachfrage schritthalten kann – deutlich steigende Preise sind die Folge.

Geschürt hatten diese Erwartungen große Wallstreet-Banken wie Goldman Sachs und JP Morgan, denen zufolge die von den Regierungen verordneten massiven Finanzspritzen für Unternehmen und Bürger in Kombination mit der Erholung der Weltwirtschaft zu einer massiven Nachfrage nach Produkten führen werde, die auf der Rohstoffseite in diesem Ausmaß für einige Jahre nicht zu bedienen sei.

Tatsächlich ziehen die Preise für Rohstoffe deutlich an. Der S&P GSCI Spot Index, welcher die Preisentwicklung von 24 wichtigen Grundstoffen abbildet, hat seit Jahresbeginn um 17 Prozent zugelegt.

Fed und EZB werden die Leitzinsen noch lange niedrig halten

Die US-Notenbank könnte aus Sicht ihres Präsidenten Jerome Powell mehr als drei Jahre brauchen, bis sie ihr selbst gestecktes Inflationsziel von rund 2 Prozent erreicht. Die Zentralbank hat zudem in Aussicht gestellt, die Leitzinsen solange nicht zu erhöhen, bis die angestrebte Teuerungsrate übertroffen sei. Zudem sie die amerikanische Wirtschaft angesichts der Virus-Krise noch „für eine geraume Zeit“ auf Interventionen der Geldpolitik angewiesen. Die Fed werde ihre Anleihenkäufe von monatlich 120 Milliarden Dollar solange mit mindestens der aktuellen Geschwindigkeit fortsetzen, bis sie deutliche Fortschritte in Richtung ihrer Ziele sehe.

Die Aussagen Powells, dass man noch mindestens drei Jahre benötige, um das Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen, deutet auf einen deutlichen Anstieg der Geldentwertung in den kommenden Monaten hin, da wie oben bereits beschrieben die echte Inflation sowohl in den USA als auch in der Eurozone deutlich höher ist, als es die offiziellen Indizes suggerieren.

Die EZB zieht aus Sicht von Ökonomen mit der Federal Reserve an einem Strang. „Diese US-Notenbankpolitik hat einen auf ersten Blick unsichtbaren inhaltlichen Hebel auf die EZB-Politik. Dieser Hebel liegt bei der Bewertung des USD gegenüber dem Euro. Die Diskomfort-Zone der EZB liegt nach meinen Analysen, die auf anekdotischen Daten beruhen, bei circa 1,25 -1,27 in dem Währungspaar EUR-USD. Eine verschärfte Gangart der EZB in der Zins- und Geldpolitik würde das Potential für eine deutlich höhere Bewertung des EUR gegenüber dem USD und anderen Hauptwährungen mit sich bringen. Um das zu verhindern, ist die EZB gehalten, weitgehend im Gleichschritt mit der US-Notenbank zu agieren. Eine implizite Bestätigung dieser These lieferte gestern die EZB-Direktorin Schnabel in einem Interview mit der lettischen Nachrichtenagentur Leta. Sie warnte vor einem vorschnellen Ende der extrem lockeren Geld- und Fiskalpolitik in der Krise. Sie führte aus, dass ein zu abrupter Anstieg der realen Zinsraten vor dem Hintergrund der fraglos verbesserten globalen Wachstumsperspektiven die wirtschaftliche Erholung gefährden könnte. Als Fazit lässt sich ziehen, dass die Zinssorgen, die die Märkte in der jüngeren Zeit belasteten, vor dem Hintergrund einer starken Vorfestlegung in expliziter Form Seitens der Fed und in impliziter Form seitens der EZB, weite Teile ihres Fundaments verloren haben“, schreibt der Finanzdienstleister Solvecon in einem Kommentar.

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