Politik

Annalena Baerbock und der Lobbyismus: Wenn das Wörtchen „so“ nicht wär

Lesezeit: 2 min
19.05.2021 18:00
Die einstmals so wirtschaftsfeindliche Öko-Partei hat längst ihren Frieden mit den Großkonzernen gemacht - viele ehemalige hochrangige Mitglieder arbeiten heute als gutbezahlte Lobbyisten. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wollte sich davon abheben, was ihr auch fast gelang. Aber eben nur fast.
Annalena Baerbock und der Lobbyismus: Wenn das Wörtchen „so“ nicht wär
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat einen äußerst smarten PR-Coup gelandet: Im Interview mit der „Bild am Sonntag“ hat sie angekündigt, dass ihr Ehemann Daniel Holefleisch im Falle ihres Wahlsiegs seinen Job aufgeben und sich stattdessen um die beiden gemeinsamen Töchter (neun und fünf) kümmern werde (ab August wird er sowieso eine Auszeit nehmen, um, wie Baerbock der Bams sagte, „beim Schulanfang unserer jüngeren Tochter als Vater da zu sein“). Was Holefleisch beruflich macht? Nachdem er zwölfeinhalb Jahre für die Unternehmenskontakte der Grünen zuständig war, ist er seit 2017 Senior Manager für Public Affairs bei der Deutschen Post, auf gut Deutsch: Lobbyist.

Smart ist der Coup in zweifacher Hinsicht: Zum einen präsentieren sich Baerbock und ihr Mann den grünen Stammwählern und -wählerinnen (akademisch gebildet, gutverdienend, urban, überdurchschnittlich oft weiblich) so, wie diese sich ihr Traumkanzlerpaar vorstellen: Progressiv, die traditionellen Geschlechterrollen überwindend, mit hohem Verantwortungsbewusstsein ausgestattet (die Kinder werden eben nicht in die Kita gegeben, sondern können zu Hause aufwachsen).

Wie Grüne Karriere machen

Gleichzeitig kommen sie dem Vorwurf zuvor, mit der die Kanzlerkandidatin in den bevorstehenden harten Wahlkampfwochen regelmäßig konfrontiert werden dürfte: Nämlich, dass die einstmals so integren, nicht nach Macht und Mammon strebenden Grünen mittlerweile eine Partei wie jede andere auch mit ganz normalen Politikern geworden sind. Politiker, die ihr Amt nutzen, um sich einen lukrativen Posten in der Wirtschaft zu sichern. Eine Auswahl: Gunda Röstel, Sprecherin des Grünen-Bundesvorstands, startet im Jahr 2000 ihre Karriere in der Energie-Wirtschaft als Managerin für Unternehmensstrategie bei der EON-Tochter „Gelsenwasser AG“. Volker Ratzmann, Staatssekretär aus Baden-Württemberg, wird 2020 Lobbyist bei der Deutschen Post. Daniel Mack wird nach seinem Ausscheiden aus dem hessischen Landtag zunächst Werber bei der renommierten Agentur „Scholz & Friends“, anschließend im Jahr 2020 Lobbyist bei Daimler.

Und last but not least Joschka Fischer: Der vormalige Außenminister wird ein Hansdampf in allen Gassen, unter anderem beliebter Redner bei US-Investmentbanken wie Goldman Sachs. 2007 gründet der ehemalige Sponti und Straßenkämpfer (er war Anführer der sogenannten „Putztruppe“, die sich in den 70er-Jahren Straßenkämpfe mit der Polizei lieferte, auf die sie sich professionell vorbereitet hatte) sogar sein eigenes Beratungs-Unternehmen, wobei sein jetziger Partner in der Geschäftsführung natürlich auch ein Parteigenosse ist, nämlich der ehemalige Pressesprecher der grünen Bundestagsfraktion von 1994 bis 2005, Dietmar Huber.

So oder so?

Man sieht: Ganz so „anders“ sind die Grünen dann doch nicht. Und deshalb kommt es umso besser, wenn Baerbock rechtzeitig klarstellt: Ich und mein Mann, wir sind nicht so wie der Rest.

Stimmt das auch?

„Ihr Mann arbeitet als Lobbyist bei der Post. Ginge das überhaupt, wenn die Ehefrau Kanzlerin oder Ministerin ist, oder kämen Sie da nicht in Interessenskonflikte?“, wollte die Bams wissen.

Baerbocks Antwort: „Wenn ich ein Regierungsamt annehme, ist ganz klar, dass mein Mann seine Arbeit dort so nicht fortführen wird.“

Man beachte die kleine Einschränkung „so“. Fortführen würde er seine Arbeit bei dem Großkonzern (über 66 Milliarden Euro Umsatz) also doch?

Soso, Frau Baerbock: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Kommt die Wegzugsbesteuerung für deutsche Fondsanleger? Neues Hindernis gegen die Abwanderung ins Ausland beschlossen
23.11.2024

Eine geplante Wegzugsbesteuerung bei Investmentfonds soll zunehmende Abwanderung von Geld und Fachkräften aus Deutschland stoppen! Wie die...

DWN
Politik
Politik Solidaritätszuschlag: Kippt das Bundesverfassungsgericht die „Reichensteuer“? Unternehmen könnten Milliarden sparen!
23.11.2024

Den umstrittenen Solidaritätszuschlag müssen seit 2021 immer noch Besserverdiener und Unternehmen zahlen. Ob das verfassungswidrig ist,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Insolvenz von HH2E: Rückschlag für Habecks Energiewende - Wasserstoffprojekte in Sachsen in Gefahr
23.11.2024

Der Wasserstoff-Spezialist HH2E hat Insolvenz angemeldet, die Finanzierung durch ein britisches Private-Equity-Unternehmen ist gestoppt....

DWN
Panorama
Panorama 2050: Was erwartet Kinder in der Zukunft?
23.11.2024

Klimawandel, technologische Entwicklungen und demografische Veränderungen werden das Aufwachsen von Kindern in der Zukunft prägen, so die...

DWN
Technologie
Technologie Elektrifizierung: Wind und Solar boomen, doch Kohle bleibt der weltweit bedeutendste Energieträger
23.11.2024

Der Ausbau emissionsfreier Energieerzeugungskapazitäten schreitet in Rekordtempo voran. Doch auch die Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung...

DWN
Panorama
Panorama Plastikmüll bekämpfen: UN-Abkommen soll globale Umweltverschmutzung eindämmen
23.11.2024

Plastikmüll ist eine wachsende Gefahr für Umwelt und Meere. Forschende aus den USA zeigen, wie vier Maßnahmen den falsch entsorgten...

DWN
Politik
Politik Deutschland prüft Vorgehen nach Haftbefehl für Netanjahu
23.11.2024

Die Bundesregierung steht nach dem Haftbefehl gegen Israels Regierungschef vor einem Dilemma. Noch ist offen, wie sie sich positioniert....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft US-Regierung: Google muss Chrome-Browser verkaufen
23.11.2024

Die US-Regierung will vor Gericht durchsetzen, dass Google sich vom weltweit meistbenutzten Webbrowser Chrome trennen muss. Das...