Politik

Bundestagswahl 2021: Die Parteien haben keine kohärente China-Strategie - Teil 2

Lesen Sie heute den zweiten Teil der Analyse von DWN-Chefredakteur Hauke Rudolph.
12.09.2021 09:00
Lesezeit: 4 min
Bundestagswahl 2021: Die Parteien haben keine kohärente China-Strategie - Teil 2
Soldaten des chinesischen Marine Corps´. (Foto: dpa)

Ich rechne damit, dass in einer von der CDU und Armin Laschet geführten Koalition die bisherige China-Politik weitestgehend fortgesetzt wird. Mit geringen Abstrichen, weil man Rücksicht auf die Koalitionspartner, auf die US-Regierung - mit der Deutschland nach den unseligen Trump-Jahren wieder ein besseres Verhältnis pflegt - und unter Umständen auf den chinakritischen Flügel in der eigenen Partei nehmen will.

Was die FDP angeht: Sie halte ich in Sachen China für am wenigsten prinzipientreu. Wenn es drauf ankommt, sind Hongkong, Taiwan und die Umerziehungslager in Xinjiang weit weg. Die Haltung der Freien Demokraten wird nicht zuletzt stark davon abhängen, was Industrie und Verbände fordern. In letzter Zeit war festzustellen, dass die deutsche Wirtschaft dem Reich der Mitte gegenüber etwas selbstbewusster auftrat – die unfairen Handelspraktiken werden nicht mehr so klaglos hingenommen wie noch vor gar nicht langer Zeit. Dazu kommt, dass Chinas aggressive Außenpolitik ein Risiko für die (Welt)Wirtschaft darstellt– man stelle sich vor, es käme zu einer Invasion von Taiwan.

Die Grünen scheinen mir am konsequentesten zu sein. Was die Außenpolitik angeht, so haben sich in der ehemaligen „Frieden schaffen ohne Waffen“-Partei die Realos gegen die Fundis endgültig durchgesetzt. Aber die Grünen wollen auch an die Macht - unter allen Umständen. Und sie wollen den Klimaschutz durchsetzen – kein politisches Ziel verfolgen sie mit der gleichen Nachdrücklichkeit wie diesen. Es ist also durchaus vorstellbar, dass sie ihre außenpolitischen Zielvorstellungen, auch in Sachen China, in den Koalitionsgesprächen im Austausch für klimapolitische Zugeständnisse opfern werden.

Die SPD ist für mich die große Unbekannte. Die Schwerpunkte der Sozialdemokraten liegen eher in den Bereich Wirtschaft, Soziales, Finanzen; die Außenpolitik dürfte bei ihnen etwas in den Hintergrund rücken, besonders dann, wenn Olaf Scholz Kanzler wird. Der durch und durch solide Hanseat wird sein Hauptaugenmerk wohl eher auf die Beseitigung der finanziellen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise richten; auch wenn Hamburg Hafen- und Kaufmannsstadt ist, dürfte China angesichts von mehr als einer halben Billion Euro Schulden, die sich im Laufe der Pandemie angehäuft haben, für Scholz reichlich weit weg sein.

Nun besteht die SPD natürlich nicht nur aus Olaf Scholz. Wie wird sich die Partei gegenüber China positionieren? Wird der linke Flügel mit Frontfrau Saskia Esken eine eher unkritische Haltung gegenüber der Volksrepublik einnehmen, die ja – als eine Art „rotes Musterland“ - in den vergangenen Jahrzehnten eine gewaltige Aufbauleistung geschafft hat und die dem Feindbild aller Linken, der USA, die Stirn bietet? Oder wird sich derjenige Teil der sozialdemokratischen Bundestags-Fraktion durchsetzen, der im Juni letzten Jahres ein Positionspapier zum Umgang mit China veröffentlichte, das äußerst kritisch ausfiel, beispielweise folgende Aussage enthielt: „Die Systemkonkurrenz bestimmt letztendlich das Ausmaß, wie die Partnerschaft mit China konkret ausgestaltet werden kann, und beeinflusst auch die Art und Weise des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit China“. Noch deutlicher wurde die stellvertretende Fraktions-Chefin Gabriela Heinrich: „Man muss klar erkennen: Der Regierungs- und Parteiapparat Chinas ist mit seiner autoritären Herrschaft Systemrivale zu unserer freiheitlichen demokratischen Ordnung.“

Fazit: Die zukünftige China-Politik der SPD ist unvorhersehbar, könnte innerhalb der Partei noch zu heftigen Diskussionen führen.

Genaugenommen kann man Merkel Kohärenz in Sachen China nicht absprechen – war doch ihre Politik fast durchgehend von serviler Beschwichtigung bestimmt. Das als „Strategie“ zu bezeichnen, bekomme ich jedoch nicht über mich. Der einzige mir bekannte Versuch einer systematischen Herangehensweise konstituiert bislang das erwähnte Positions-Papier der SPD. Auffällig an diesem Papier ist allerdings, dass der EU eine sehr starke Rolle zugebilligt wird. Wie ich bereits weiter oben erwähnte, ist ein einiges Europa ein gewichtigeres Gegenüber als es Deutschland alleine je sein kann – doch ob sich die Bundesrepublik auf eben dieses Europa verlassen kann (in dem, vor allem in Osteuropa, die Abhängigkeit von China kontinuierlich wächst), darf bezweifelt werden.

Integraler Bestandteil einer Strategie für den Umgang mit einem anderen Akteur des internationalen Systems sollte es sein, die Schwächen des Gegenübers zu identifizieren. Dies fehlt bisher fast vollständig in der deutschen China-Debatte. Nicht zuletzt Merkel hat mit ihrer Servilität dafür gesorgt, dass der Eindruck entstanden ist, China verfüge über keinerlei Schwächen. Doch dem ist nicht so.

  • Die Wachstumsraten sinken kontinuierlich. Zweitstellige Werte, so wie noch in den Anfangsjahren des Jahrtausends, sind nicht mehr erreichbar. Eine natürliche Entwicklung – entwickelte Volkswirtschaften erreichen selbstverständlich nicht die Raten von Entwicklungsländern. Daraus folgt, dass die Nachfrage nach westlichen Gütern nicht mehr so rasant steigen wird wie bisher – eine Erkenntnis, die in der deutschen Politik (und wohl auch der Wirtschaft) noch nicht angekommen ist.
  • Wie hoch die Wachstumsraten wirklich waren beziehungsweise sind, ist nicht bekannt. Zuständig für die Errechnung des chinesischen Bruttoinlandsprodukts ist das „Nationale Statistik Büro“. Es existieren Schätzungen, nach denen dieses die Zahlen regelmäßig zu hoch veranschlagt.
  • Auch die tatsächliche Höhe des Haushaltsdefizits ist umstritten; auch hier besteht die Vermutung, dass China die Zahlen schönt.
  • Ein Hinweis darauf, dass Peking nicht mehr aus dem Vollen schöpfen kann, ist der Umstand, dass die Ausgaben für die Neue Seidenstraße seit 2017 zurückgegangen sind. Eine ganze Reihe von geplanten Projekten wurde nicht umgesetzt.
  • Das Reich der Mitte ist international im Grunde isoliert. Gute Beziehungen zu anderen Staaten gründen fast ausschließlich auf gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen. Verbündete, mit denen es gemeinsame Werte, Traditionen, etc. teilt, hat die Volksrepublik nicht (sieht man einmal von Nordkorea ab). Darüber hinaus ist es umgeben von militärisch potenten (Atom)Mächten wie Russland und Indien. Auf hoher See sieht es sich der überlegenen US-Marine gegenüber sowie militärischen Bündnissen wie dem „Quad“, einer Art asiatischen Nato mit den Mitgliedern USA, Indien, Japan und Australien.
  • Eine ganze Reihe von Waffensystemen, beispielsweise Tarnkappen-Kampfjets sowie (nuklear-angetriebene) Flugzeugträger werden – teilweise aus finanziellen Gründen, teilweise aufgrund technologischer Hürden – nur in sehr geringen Stückzahlen oder gar nicht gebaut. Quantitativ steht die Volksbefreiungsarmee hervorragend da – die Qualität ist eine andere Sache. Zu einer weltweiten Machtprojektion sind weiterhin nur die Vereinigten Staaten fähig, und das dürfte auf absehbare Zeit auch so bleiben.
  • Die Kommunistische Partei regiert das Land mit eiserner Faust: Ein Verhalten, das nicht zuletzt der eigenen Unsicherheit entspringt. Wann wird der Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahrzehnte die Mittelschicht dazu bewegen, mehr Freiheiten zu fordern? Das harte Durchgreifen gegenüber den Milliardären in den vergangenen Wochen und Monaten beweist, dass Chinas Gesellschaft im Inneren weit weniger friedlich und stabil ist, als von der KPC immer wieder betont.

Fakt ist: In der politischen Diskussion in Deutschland finden diese Punkte keinerlei Erwähnung.

Bleibt zu hoffen, dass sich die neugewählte Regierungskoalition auf eine kohärente China-Politik wird einigen können. Voraussetzung dafür ist, dass sie die Notwendigkeit sieht und die Expertise entwickelt. Und dass das Thema „China“ - im Zuge der aufwendigen Neuausrichtung der Politik nach der Ära Merkel und angesichts der Aufmerksamkeit, die die Lösung der Corona-bedingten Probleme bedürfen - nicht als Aufgabe untergeordneter Priorität wahrgenommen wird.

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