Finanzen

Fakt ist, die Zentralbanken haben den „Point of no Return“ erreicht

Lesezeit: 3 min
22.10.2021 14:00  Aktualisiert: 22.10.2021 14:00
Mit ihren beispiellosen Liquiditätsspritzen haben die Notenbanken Konjunktur und Finanzwelt inflationär gerettet, gleichzeitig aber auch drogenabhängig gemacht.
Fakt ist, die Zentralbanken haben den „Point of no Return“ erreicht
In einem oberen Stockwerk der Europäischen Zentralbank (EZB) ist ein Bürotrakt nach Sonnenuntergang beleuchtet. (Foto: dpa)

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Mit ihren beispiellosen Liquiditätsspritzen haben die Notenbanken Konjunktur und Finanzwelt inflationär gerettet, gleichzeitig aber auch drogenabhängig gemacht. Angesichts des galoppierenden Inflationsdrucks müsste jetzt stabilitätstheoretisch die Entwöhnung folgen. Müsste, doch schrecken Fed und EZB vor dem kalten Entzug mit schweren (finanz-)wirtschaftlichen Stimmungseinbrüchen zurück. Grundsätzlich werden sie abseits kosmetischer Änderungen am berauschenden Zustand festhalten.

Hinter der Schuldenblase können sich alle bislang bekannten Blasen mühelos verstecken

Alle schuldenfinanzierten Rettungsaktionen ließen sich über planwirtschaftliche Zinsdrückungen und Anleiheaufkäufe reibungslos stemmen. Dass dabei auch noch die letzten europäischen Stabilitätskriterien in den Mörser gerieten, war alternativlos. Ein bisschen „Verlust“ ist in der Politik ja immer. Mittlerweile hat sich die globale Gesamtverschuldung auf ca. 300 Billionen US-Dollar aufgetürmt. Und mit gigantischen Infrastruktur- und Klimaschutzausgaben geht es munter weiter.

Da diese Schulden ebenso Vermögen sind, haben wir es mit der Mutter aller Anlageblasen zu tun. Blasen auch, da sie unmöglich zurückgezahlt werden können und es trotzdem keine Entschädigung für schlechte Bonität gibt.

Würden die Notenbanken den Zinsmärkten ihre marktwirtschaftliche Freiheit zurückgeben, öffneten sie die Büchse der Pandora. Die ohnehin nur künstliche Schuldentragfähigkeit vieler Schuldnerländer würde zerrinnen wie Sand zwischen den Fingern. Große Kapitalsammelbecken würden panisch verkaufen und damit die Zinsen wie Raketen an Sylvester aufsteigen lassen. Die nächste Finanzkrise wäre so wenig aufzuhalten wie ein Stier, der rot sieht. Werden die Notenbanken diesen vermutlich finalen Systemcrash riskieren? Natürlich nicht!

Der Kapitalismus ohne Zins hat weitere Blasen hervorgerufen. Gegenüber den heutigen Hauspreisen hatten die Preise in der früheren Immobilienblase fast Schnäppchencharakter. Was wäre aber, wenn die Bauzinsen im Zuge geldpolitischen Umkehrschubs markant anstiegen? Die Immobilienwerte fielen wie Blätter im Herbst von den Bäumen. Ein Überangebot an notleidenden Objekten käme auf den Markt und würde den Wertverfall noch beschleunigen. Die Finanzwelt erlebte Lehman 2.0, allerdings mit „Mehrwert“. Ein hoher sozialer Preis wäre die Folge, der sogar demokratieschädlich wirkt. Wird die Geldpolitik diese Sklerose in Kauf nehmen? Natürlich nicht!

Wenn Blasen platzen, kommt es zu schweren Kollateralschäden

Auch die Hausse bei Aktien is Made by Central Banks. Ihre Bewertungen werden dabei absolut arg strapaziert, was unproblematisch ist, solange Staatsanleihen relativ noch viel teurer sind. Tatsächlich, während der US-Aktienmarkt ca. mit dem 26-fachen seiner durchschnittlichen Gewinne bewertet ist, stehen 10-jährige US-Staatsanleihen aktuell bei ungefähr 60. Daher haben die grundsätzlich teuren High-Tech-Aktien aus dem Nasdaq Composite mit einem Gesamt-KGV von 30 wenig zu befürchten. Oder stiege die zurzeit immer noch negative Rendite von deutschen Staatsanleihen auf 0,01, käme dies einer KGV-Bewertung von 10.000 gleich. Der Dax liegt bei etwa 16.

Zum Schwur kommt es, wenn das billige Geld nicht mehr einfach so vom geldpolitisch blauen Himmel fällt. Mit jedem Renditeanstieg wird die hohe Aktienbewertung weniger geheiligt. Und stiegen die Zinsen sogar rasant an, so wird der Überdruck am Aktienmarkt schnell zu groß. Auf Pump gekaufte Aktien werden rückabgewickelt und jeder, der Angst um seine Kursgewinne hat, verkauft schneller als Mäuse verschwinden können, wenn die Katze kommt. Aktien-Ikarus hätte schnell ein Höhenproblem.

Die Entwicklung nach dem Platzen der Immobilienblase 2008 zeigt klar, dass es nicht nur bei einer Aktienkrise bleibt. In den Medien sorgen heischende Meldungen vom Aktien-Crash zwar für Klicks und Quoten, womit allerdings auch die Konsum- und Investorenstimmung beschossen wird. In den USA, wo Aktien bei der Altersvorsorge eine große Rolle spielen, machte sich dieser negative Vermögenseffekt auch negativ auf die Konjunktur bemerkbar. Werden die Notenbanken diese scharfe Rezession mit allen sozialen und demokratiefeindlichen Leiden zulassen? Natürlich nicht!

Das inflationäre Sein macht dem geldpolitischen Schein schwer zu schaffen

Doch läuft die Inflation den Zinsen immer schneller davon. Das konjunkturelle Wiederanfahren nach Corona lässt Öl, Gas, die so verschmähte Kohle, praktisch alle Vorprodukte Hochzeiten erleben.

Inflation können die Notenbanken zwar nicht ignorieren. Insbesondere die EZB hat die Stabilitätsmoral von der Bundesbank, wenn auch als lästigen Ballast, geerbt. Doch spricht man unentwegt von wiederkehrender Preisstabilität. Inflation sei ja ein relativer Wert, die sich mutmaßlich 2022, wenn sich die Übernachfrage nach Vorprodukten durch ein erhöhtes Angebot entspannt, wieder lindert.

Lindern ist aber keine Heilung. Denn Steuererhöhungen, Klimaauflagen und ein nachlassendes Arbeitskräfteangebot haben das Potenzial, die Inflation absolut auf hohem Niveau zu halten.

Und dennoch, die Notenbanken setzen klare Prioritäten. In dubio pro reo: Für die Stabilität in Wirtschaft und auf Finanzmärkten wird man grundsätzlich an der Berauschung festhalten. Dabei sollte man sich von der beginnenden Liquiditätsdrosselung seitens der US-Notenbank nicht irritieren lassen. Sie findet homöopathisch statt. Und sollte es erneut zu Krisen kommen, wird das langjährige Motto der Geldpolitik „Wo die Not am größten, ist die Notenbank am nächsten“ erneut angewendet.

Der Kater nach der Drogenparty wird weiter hinausgezögert, selbst wenn man nicht weiß, wie dieses größte aller geldpolitischen Experimente endet.

Sachkapital bleibt King

Angesichts der Entreicherung der Zinssparer gibt es neben Aktien zum Glück aber mit Gold eine weitere sachkapitalistische Alternative.

Es wird nie schlecht, ist inflationssicher, nicht beliebig vermehrbar, daher seit 6.000 Jahren wertbeständig, sozusagen „treu wie Gold“. Und es wird ausgerechnet auch von Schulden ungehemmt mit Geld deckenden Notenbanken immer mehr gebunkert. Was ihnen recht ist, sollte uns billig sein.

Und es ist eine Lebensversicherung. Käme es jemals zu einem Finanz-Super-GAU, würde man den dicken Schinken beim Metzger, den Sack Kartoffeln oder einen Arztbesuch immer noch für Gold erhalten. Dann entfaltet das sachkapitalistischste aller Anlageformen seine Urgewalt. Versuchen Sie das dann mal mit Papiergeld.

So mancher mag sich über den schwachen Goldpreis ärgern, der tatsächlich deutlich unter seinem fairen Preis liegt. Aber käme wirklich jemand auf die Idee, das Edelmetall zu höheren Preisen zu verkaufen? Es dient doch der Absicherung gegen eine völlig instabile Welt.

Bei Gold zählt nicht die kurzfristige Rendite, sondern der langfristige Besitz.

                                                                            ***

Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse-Abteilung der Baader Bank. Er ist einer der bekanntesten Finanzanalysten im DACH-Raum.


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