In der EU-Kommission werden sämtliche anfallenden E-Mails nach sechs Monaten automatisch gelöscht - außer, sie werden bewusst archiviert. Nachrichten, die sich EU-Beamte untereinander über einschlägige Messengerdienste wie WhatsApp oder Telegram zuschicken, werden erst gar nicht registriert. „Chat-Nachrichten von Top-EU-Beamten werden gar überhaupt nicht archiviert, denn sie gelten als ‚von Natur aus kurzlebig‘ und würden ‚prinzipiell keine wichtigen Informationen über die Politik, die Aktivitäten oder Entscheidungen der Kommission‘ enthalten“, zitiert das Portal Tichy‘s Einblick die offiziell von der Kommission vorgetragenen Gründe für diese Handhabung.
Bürger sollen systematisch durchleuchtet werden - automatische Anzeige inbegriffen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist allerdings offenbar der Ansicht, dass die Chatnachrichten der Bürger sehr viele „wichtige Informationen“ enthalten. Anders kann nicht erklärt werden, warum die EU-Kommission WhatsApp und Co. künftig verpflichten will, die Gesprächsverläufe ihrer Kunden systematisch zu überwachen.
Tichy‘s Einblick wörtlich: „Die Kontrolle soll automatisiert durchgeführt werden – eine Künstliche Intelligenz wird jeden Chat-Inhalt scannen und im Zweifel automatisch eine Anzeige an die zuständige Behörde stellen. Ein falsch erkanntes Urlaubsfoto, eine falsch gelesene Chat-Nachricht – und das BKA wird involviert. Bedenklich genug wäre diese Automatisierung von Massenüberwachung ohnehin schon. Die KI-Softwares sind jedoch auch höchst fehleranfällig – bis zu 80 Prozent kann die Fehlerquote betragen. Gleichzeitig ist seit Monaten die Manipulationsanfälligkeit der Verfahren bekannt: So konnten schon leichte Veränderungen am kryptographischen System strafbare Inhalte vor der KI verschleiern – und nicht strafbare Inhalte für die KI als strafbar erscheinen lassen. Der kriminalistische Nutzen des Vorhabens dürfte also gering sein – auch weil Studien bis heute keine Effektivität von Massenüberwachung belegen.“
Von der Leyen: Massenhaftes Daten-Löschen rettete womöglich ihre Karriere
Bemerkenswert erscheint der Umstand zu sein, dass von der Leyen selbst vor nicht allzu langer Zeit in einem handfesten Skandal steckte, aus dem sie nur mithilfe von massenhaftem Löschen ihrer Nachrichten und Chatverläufe herauskam.
Bei dem besagten Skandal handelte es sich um die sogenannte „Berateraffäre“. Der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen (sie war bis Sommer 2019 im Amt) wurde dabei von verschiedenen Seiten vorgeworfen, Verträge für externe Berater in dreistelliger Millionenhöhe ohne öffentliche Ausschreibung „auf dem kurzen Dienstweg“ vergeben zu haben. Weitere Vorwürfe betrafen die fahrlässige Auslegung von Compliance-Regeln und mögliche Vetternwirtschaft, berichtete der Tagesspiegel im Februar 2020 in einer Analyse der Affäre.
Im Zusammenhang mit den Datenlöschungen in dieser „Berateraffäre“ berichtete der Tagesspiegel im Januar 2020:
„Die Handydaten der ehemaligen Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen aus dem Zeitraum, den momentan ein Untersuchungsausschuss prüft, wurden höchstwahrscheinlich unwiederbringlich gelöscht. Dies geht aus einem Sachstandsbericht des Verteidigungsministeriums hervor, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt.
Auf beiden von der Ministerin genutzten Geräten wurden demnach Kurznachrichten entfernt. Das erste Mobiltelefon, das von der Leyen den größten Teil ihrer Amtszeit als Verteidigungsministerin genutzt hat, sei von einem Fahrer am 8. August 2019 aus von der Leyens Privathaus abgeholt worden.
Der IT-Sachbearbeiter im Ministerbüro habe es dann ohne weitere Überprüfung an die Kommunikationsstelle weitergereicht, welche eine "Sicherheitslöschung" vorgenommen habe. Anschließend sei das Gerät zur endgültigen Entsorgung an eine Servicefirma weitergereicht worden.
Der Vorgang wird im Bericht als Routineablauf dargestellt. Der Spiegel berichtet ebenfalls unter Verweis auf den Ministeriumsbericht, von der Leyen habe auf einem zweiten Telefon selbst alle Nachrichten vernichtet.