Deutschland

EU bereitet schweren Schlag gegen Tattoo-Studios vor

Die Tätowier-Szene schaut mit Unsicherheit ins neue Jahr. Grund ist eine EU-Verordnung, die künftig für weniger bunte Haut sorgen könnte. Für das von Corona gebeutelte Berufsfeld ist es ein weiterer Schlag.
03.01.2022 11:31
Aktualisiert: 03.01.2022 11:31
Lesezeit: 3 min
EU bereitet schweren Schlag gegen Tattoo-Studios vor
Eine weitere Tätowierung sticht eine Tätowiererin am 23.03.2013 auf der Internationalen Tattoo-Convention in Frankfurt am Main (Hessen) in der Arm einer Kundin. (Foto: dpa) Foto: Boris Roessler

Dutzende bunte Fläschchen, eine Tattoo-Maschine und viel Fingerspitzengefühl – mit diesen Mitteln erfüllt der Hamburger Tätowierer Sebastian Makowski Kundinnen und Kunden ihre Tattoo-Wünsche. Allzu bunt dürften die aber bald nicht mehr ausfallen: Ab Januar verbietet die EU nämlich viele Inhaltsstoffe, die in diversen gängigen Tätowierfarben enthalten sind. Auf das somit nahende Aus für viele Farben schaut Makowski, der Geschäftsführer der „Ältesten Tätowierstube in Deutschland» auf St. Pauli ist, mit Sorge. «Corona mit den monatelangen Schließungen hat uns schon arg gebeutelt. Dann kommt sowas obendrauf.“ Groß ist die Unsicherheit, mit welchen Farben er bald überhaupt arbeiten kann.

Vom 4. Januar 2022 an unterliegen viele Chemikalien in Tattoo-Farben in der gesamten Europäischen Union den Beschränkungen durch die sogenannte REACH-Verordnung. Auf der Bannliste stehen dann Tausende Substanzen. Viele von ihnen sind aus Sicht der EU potenziell gefährlich oder nicht ausreichend erforscht. 2020 wurde das Verbot beschlossen, die Übergangszeit läuft nun aus. Das Ziel sei laut der EU-Kommission nicht, Tätowierungen grundsätzlich zu verbieten. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) betont, es gehe darum, „Tätowierfarben und Permanent-Make-up sicherer zu machen“.

In einem Jahr kommen auf die Tattoo-Branche weitere Einschränkungen zu. Ab 2023 will die EU zusätzlich auch noch bestimmte blaue und grüne Farbpigmente untersagen. Der Grund: Ihre Sicherheit sei nicht nachgewiesen, laut ECHA stehen die Pigmente im Verdacht, krebserregend zu sein. Die meisten bisher genutzten Tattoo-Farben sind demnach in der aktuellen Zusammensetzung bald verboten – vor allem die bunten. Auf dem deutschen Markt verfügbare Farben entsprechend der EU-Verordnung sind bislang nur Schwarz, Grau, Weiß.

Sebastian Makowski rechnet damit, dass deshalb ein Drittel seiner Kundschaft bald wegbleiben könnte. Bei seinen Kolleginnen und Kollegen im Laden erwarte er stärkere Einbrüche, weil sie deutlich mehr mit bunten Farben arbeiteten als er. „Das kommt ja zumindest teilweise einem Berufsverbot gleich. Das ist einfach frustrierend“, sagt er. „Man fühlt sich im Stich gelassen, besonders von der Politik.“ Er habe zwar großes Verständnis für hohe Sicherheitsansprüche an die Farben, aber nicht für die stattfindende Umsetzung der REACH-Verordnung und ihre Bedingungen.

Auch Daniel Rust, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Tattoo, bestätigt: „Die Stimmung in der Branche ist richtig schlecht.“ Er kritisiert eine Entmündigung der Kundschaft durch die Verordnung, die der gesamten Branche schade. Vor jeder Tätowierung gebe es einen mehrseitigen Aufklärungsbogen, die Menschen entschieden sich bewusst für ihren neuen Körperschmuck. Zudem habe er nie schlechte Erfahrungen mit den betreffenden Farben gemacht, betont er: „Ich bin seit zwölf Jahren Tätowierer und natürlich hatte ich auch schon Tattoos, die entzündet waren. Das hatte aber nicht in einem Fall mit der Farbe zu tun, sondern immer mit mangelnder Hygiene bei der Nachsorge.“

Christoph Liebich, Dermatologe und Inhaber der Hautarztpraxis Dermazent in München, sieht das anders. Viele Tattoo-Farben, die bislang auf dem Markt seien, seien nicht nachweislich unbedenklich. „Viele sind nie in klinischen Studien überprüft worden. Das heißt, Tattoo-Farbstoffe haben immer ein großes Risiko, eine Allergie auszulösen, es besteht auch die Gefahr, dass Krebs entstehen kann“, mahnt er. Den Schritt zum Verbot vieler enthaltener Substanzen findet er „vollkommen richtig“. Schließlich gebe es für Substanzen zum Auftragen auf die Haut höchste Ansprüche – für Stoffe, die unter die Haut gingen, müssten diese also erst recht gelten.

Ein Nischentrend sind Tätowierungen lange nicht mehr, einigen Umfragen nach trägt etwa jede oder jeder Fünfte dauerhaften Körperschmuck unter der Haut. Die neuen Auflagen verunsichern also auch viele Tattoo-Fans. Viele hätten zum Jahresende noch dringlich versucht, einen Termin zu bekommen, um ihre Farb-Tattoos fertigstellen zu lassen, erzählt Makowski – oft vergebens.

Wolfgang Bäumler, Professor für experimentelle Dermatologie und Tattoo-Experte am Universitätsklinikum Regensburg, sagt: „Ich gehe davon aus, dass unter der neuen Verordnung im Januar unter Tätowierern ein Stück weit das Chaos ausbricht.“ Er weist darauf hin, wie komplex der Anforderungskatalog für neue Tattoo-Farben sei und wie schwierig demnach ihre Neuentwicklung. Die EU-Kommission verweist auf ausreichend Vorlauf für Alternativen seit den Beschlüssen.

Das Verbot diverser in den Farben enthaltener Substanzen findet Bäumler ebenfalls strittig. Er erklärt, wie komplex die Zusammensetzung der Farben sei: Sie bestünden aus je rund 100 Substanzen, etwa Pigmenten und Konservierungsstoffen. Bei einigen wisse man zwar, dass diese potenziell schädlich seien, bei vielen aber nicht. Statt eines allgemeinen Verbotes brauche es eine viel kleinteiligere Risikobewertung, fordert er.

Aber sind mit Jahresbeginn bunte Farbtattoos wirklich Geschichte? Rust vom Bundesverband geht vorerst nicht vom pauschalen Ende des farbenfrohen Körperschmucks aus – nach einer gewissen Durststrecke sei eine Palette neuer, regelkonformer bunter Farben zu erwarten, die Hersteller kurzfristig auf den Markt brächten, schätzt er. Dramatischer werde es 2023 mit dem Verbot der Grün- und Blaupigmente. „Da gibt es noch nicht so richtige Alternativen. Aber wir haben noch ein bisschen Luft.“ Dennoch – Sebastian Makowski auf St. Pauli sieht für die Branche durch die Auflagen im wahrsten Sinne des Wortes eher schwarz. „Die Zukunftsängste werden nicht weniger“, sagt er.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN-Wochenrückblick

Weniger E-Mails, mehr Substanz: Der DWN-Wochenrückblick liefert 1x/Woche die wichtigsten Themen kompakt und Podcast. Für alle, deren Postfach überläuft.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

DWN
Technologie
Technologie Autonomes Fahren: Bolt bringt chinesische Technologie nach Europa
26.12.2025

Europa erlebt eine neue Phase im Wettbewerb um autonome Mobilität, da chinesische Technologieanbieter zunehmend mit großen...

DWN
Panorama
Panorama Die spektakulärsten Weihnachtsbäume weltweit: Wenn Tradition zur Show wird
26.12.2025

Lichtermeere, Rekordhöhen und ungewöhnliche Kulissen: Rund um den Globus werden Weihnachtsbäume zu echten Spektakeln. Von italienischen...

DWN
Immobilien
Immobilien The Line: Saudi Arabiens hochgestapelte Megacity quer durch die Wüste
26.12.2025

Eines der wohl ambitioniertesten und innovativsten Infrastrukturprojekte unserer Zeit ist The Line. Die von Saudi-Arabien geplante...

DWN
Finanzen
Finanzen Dotcom-Blase der 1990er: Wie Spekulationen den Markt auf den Kopf stellte
26.12.2025

Die späten 1990er Jahre waren geprägt von einem beispiellosen Börsenboom im Technologiesektor, der als Dotcom-Blase bekannt wurde....

DWN
Politik
Politik Demokratie unter Dauerstress: Der globale Trend zur Autokratie
26.12.2025

2026 könnte zum Wendepunkt werden: Von Washington bis Berlin geraten liberale Demokratien unter Druck. Autokraten gewinnen Einfluss,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prognose: Startet die deutsche Wirtschaft 2026 endlich durch?
25.12.2025

Drei Jahre Flaute, kaum Wachstum – doch 2026 könnte die deutsche Wirtschaft endlich drehen. Prognosen deuten auf leichte Erholung,...

DWN
Finanzen
Finanzen Bundesbank: Zahlungen per Smartphone steigen sprunghaft an
25.12.2025

Immer mehr Menschen zücken zum Bezahlen das Smartphone. Hinter den allermeisten Transaktionen stecken heute noch Debitkarten. Das könnte...

DWN
Finanzen
Finanzen Bankenpleite: Was passiert mit meinem Geld?
25.12.2025

Es ist eine tiefe Angst vieler Menschen – die eigene Bank, der man sein Erspartes anvertraut hat, geht bankrott. Erfahren Sie hier, wie...