David Folkerts-Landau, der globale Forschungsleiter der Deutschen Bank, und seine Koautoren Peter Hooper und Jim Reid hatten im vergangenen Jahr eine Studie mit dem Titel „Inflation: Das prägende Makro-Thema des Jahrzehnts“ vorgelegt. Demnach zeigen die US-Makropolitik und die Rolle der Regierung in der Wirtschaft den „größten Richtungswechsel seit 40 Jahren“.
„Wir sind besorgt, dass dies zu einem unangenehmen Inflationsniveau führen wird“, so die Autoren. Die Tage der neoliberalen Politik seien nun vorbei, und die Auswirkungen dieses Wandels würden durch politische Unruhen in den USA und „zutiefst besorgniserregende geopolitische Risiken“ noch verstärkt.
Weiter heißt es: „Wir haben ein Jahrzehnt außerordentlicher und unkonventioneller geldpolitischer Stimulierungsmaßnahmen erlebt, um ein Abgleiten der Volkswirtschaften in die Deflation zu verhindern, aber diese Bemühungen haben kaum dazu geführt, das Wachstum auf einem historisch niedrigen Niveau zu halten.“
Der Wandel in der Wirtschaftspolitik zeige sich daran, dass die Angst vor Inflation und steigender Staatsverschuldung, die zuvor eine Generation von Entscheidungsträgern geprägt hat, zurückgeht. Die trotz niedriger Zinsen anhaltend niedrige Inflation habe den Ökonomen dazu gebracht, dass sie hohe Schuldenstände der Staaten für akzeptabel halten.
Die Pandemie habe dieses Umdenken noch beschleunigt, so die Autoren. „Die Staatsverschuldung ist auf ein Niveau gestiegen, das noch vor einem Jahrzehnt unvorstellbar war, wobei große Industrieländer die rote Linie von 100 Prozent des BIP überschritten haben.“ Dennoch gebe es kaum ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit von Investoren, Staaten und internationalen Institutionen.
Ähnlich sehen die Autoren den Wandel der Beurteilung von Inflation. „Die überwiegende Mehrheit der Zentralbanker und Ökonomen geht davon aus, dass ein Anstieg der Preise über das historisch niedrige Niveau des letzten Jahrzehnts nur vorübergehend sein wird.“ Zwei der historisch größten Beschränkungen makroökonomischer Politik, Inflation und Schuldentragfähigkeit, würden zunehmend als nicht bindend wahrgenommen.
Dieses Problem sei mitnichten auf die USA beschränkt, da die anderen Staaten der Politik der Amerikaner folgen. „Selbst in Deutschland mit seiner verlässlichen Haushaltsdisziplin wächst die Unterstützung für eine Reform der verfassungsmäßigen Schuldenbremse, um mehr staatliche Ausgaben auf Pump zu ermöglichen.“
Die durch Schulden finanzierten Ausgaben in der EU seien zwar insgesamt geringer gewesen als in den USA. Doch die Einführung des 750 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramms, das durch gemeinsame EU-Anleihen finanziert wird, öffne möglicherweise den Weg für weitere derartige Pakete als Reaktion auf zukünftige Krisen.
Nicht nur seien die Staatsausgaben in den USA und in Europa auf ein nie dagewesenes Maß gestiegen. Außerdem habe die Federal Reserve ihr Vorgehen dahingehend verändert, dass sie eine höhere Inflation toleriert. „Nie zuvor haben wir eine derart koordinierte expansive Fiskal- und Geldpolitik gesehen“, schreiben die Autoren.
Im Fazit der Deutsche-Bank-Studie, deren Übersetzung wir im Folgenden wörtlich zitieren, heißt es: „Wir machen uns Sorgen, dass die Inflation ein Comeback feiern wird. Nur wenige erinnern sich noch daran, wie unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften vor 50 Jahren von einer hohen Inflation bedroht waren. Die grundlegendsten Gesetze der Ökonomie, die sich über ein Jahrtausend bewährt haben, sind nicht außer Kraft gesetzt worden.“
„Ein explosionsartiges Wachstum der Schulden, das größtenteils von den Zentralbanken finanziert wird, wird wahrscheinlich zu einer höheren Inflation führen. Wir befürchten, dass die Zentralbanker die schmerzhaften Lektionen der inflationären Vergangenheit ignorieren, entweder weil sie wirklich glauben, dass es dieses Mal anders ist, oder weil sie tatsächlich an das neue Paradigma glauben, dass die Zinssätze niedrig bleiben werden, oder weil sie ihre Institutionen schützen wollen, indem sie nicht versuchen, eine politische Dampfwalze aufzuhalten.“
„Was auch immer der Grund sein mag, wir erwarten, dass der Inflationsdruck wieder auftaucht, wenn die Fed ihre Politik der Geduld fortsetzt und ihre erklärte Überzeugung, dass der aktuelle Druck weitgehend vorübergehend ist. Es mag ein Jahr länger dauern, bis 2023, aber die Inflation wird wieder auftauchen. [...] Die Vernachlässigung der Inflation führt dazu, dass die Weltwirtschaft auf einer Zeitbombe sitzt.“
„Es ist ein beängstigender Gedanke, dass gerade in dem Moment, in dem die Inflation nicht mehr als Priorität betrachtet wird, die Fiskal- und Geldpolitik in einer Weise koordiniert wird, wie es die Welt noch nie gesehen hat.“ [...]
„Wenn die Zentralbanken schließlich gezwungen sind, gegen die Inflation vorzugehen, werden sie sich in einer schwierigen, wenn nicht gar unhaltbaren Lage befinden. Sie werden gegen die sich immer mehr durchsetzende Auffassung ankämpfen müssen, dass eine hohe Verschuldung und eine höhere Inflation ein geringer Preis für das Erreichen fortschrittlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ziele sind.“ [...]
„Letztendlich werden jedoch alle sozialen Prioritäten der Politiker beiseite geschoben, wenn die Inflation ernsthaft zurückkehrt. Steigende Preise werden jeden treffen. Die Auswirkungen könnten verheerend sein, insbesondere für die Schwächsten der Gesellschaft.“