Politik

Neues Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland – Russland geht den entgegengesetzten Weg

Deutschland und Russland verfolgen völlig unterschiedliche Ansätze in der Geschlechter- und Familienpolitik: Während Deutschland mit dem Selbstbestimmungsgesetz die Rechte von LGBTQ+-Menschen stärkt, setzt Russland auf den Schutz "traditioneller Werte" und verbietet Adoptionen von Kindern in Ländern, die eine Geschlechtsänderung rechtlich ermöglichen. Wird sich der ideologische Graben zwischen Ost und West weiter vertiefen?
13.11.2024 16:04
Lesezeit: 4 min
Neues Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland – Russland geht den entgegengesetzten Weg
Deutschland führt das Selbstbestimmungsgesetz ein, während Russland Adoptionen aus Ländern mit Geschlechtsänderungsgesetzen verbietet (Foto: dpa). Foto: Andreas Arnold

Deutschland und Russland haben in den vergangenen Monaten deutlich voneinander abweichende politische Positionen zur Geschlechter- und Familienpolitik gezeigt. Am 1. November 2024 trat in Deutschland das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Es vereinfacht die rechtliche Änderung von Geschlecht und Namen erheblich. Dies wird als Meilenstein für die Rechte der LGBTQ+-Community gefeiert. Auch wenn dieses Gesetz sicherlich nicht in allen Details gelungen ist und hierzulande auch Kritik hervorgebracht hat, so ist es dennoch ein Weg hin zu mehr individueller Freiheit.

Russland sieht diese Entwicklung jedoch als bedrohlich an. Nur wenige Tage nach Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes in Deutschland hat die Duma, das russische Unterhaus, zwei Gesetze verabschiedet. Diese Gesetze sollen die Werte eines konservativen Familienbildes juristisch absichern. Konkret untersagen sie Adoptionen russischer Kinder durch Bürger aus Ländern mit rechtlicher Geschlechtsänderung. Die russische Regierung betont, dass diese Entscheidungen eine Absage an westliche Werte seien. Sie sollen dem „Schutz der traditionellen Familie“ dienen. Der entstehende ideologische Graben zeigt, wie gegensätzlich die Visionen für die Zukunft der Gesellschaften auf beiden Seiten sind.

Deutschland: Selbstbestimmungsgesetz als Ausdruck moderner Freiheit und Diversität

Das neue Selbstbestimmungsgesetz erlaubt es Bürgern in Deutschland, ihr Geschlecht und ihren Vornamen einfacher zu ändern. Dies ist unabhängig vom Stand der körperlichen Transformation. Besonders für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen wird es so möglich, sich bei den Standesämtern umzumelden. Eine Selbstauskunft reicht aus, ohne dass psychologische Gutachten oder gerichtliche Prüfungen erforderlich sind.

Das bis dahin geltende Transsexuellengesetz galt vielen als veraltet und entwürdigend. Das neue Gesetz stellt einen wichtigen Schritt für die Rechte der LGBTQ+-Community dar. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) bezeichnete den Tag der Verabschiedung als „historisch“. Sie sprach von einem wichtigen Fortschritt für die Menschenrechte und die Vielfalt in Deutschland. Der deutsche Gesetzgeber betont, dass das Selbstbestimmungsgesetz grundlegende Menschenrechte schützt. Es stärkt die individuelle Freiheit, besonders in Bezug auf Geschlechtsidentität und persönliche Entfaltung.

„Deutschland ist vielfältig“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz. „Deshalb passen wir unsere Gesetze den verschiedenen Lebensrealitäten an.“

Das Gesetz sei ein Zeichen dafür, dass sich die Gesellschaft in Richtung einer modernen, offenen und inklusiven Zukunft entwickelt. Menschenrechtsorganisationen und LGBTQ+-Verbände begrüßen das Gesetz als lang erkämpften Erfolg. Doch nicht jeder teilt die positive Einschätzung. Kritiker warnen, dass das Selbstbestimmungsgesetz möglicherweise zu Unsicherheiten im gesellschaftlichen Zusammenleben führen könnte. Einige befürchten, dass die Änderung des Geschlechts und Namens durch eine einfache Erklärung missbraucht werden könnte. In Bereichen wie Sport oder Justizvollzugsanstalten könnten neue Probleme entstehen.

Trotz der Diskussionen bleibt die Botschaft der Bundesregierung deutlich. Das Gesetz soll die Gleichberechtigung fördern und Diskriminierung abbauen. Viele Menschen sehen darin ein wichtiges Signal in einer Zeit, in der Diversität weltweit zunehmend wertgeschätzt wird.

Das Schutzgesetz in Russland: Familienpolitik als Absage an westliche Werte

Während Deutschland die Rechte zur Selbstbestimmung stärkt, setzt Russland auf eine gegensätzliche Linie. Diese betont nicht nur die Familie, sondern auch die nationale Identität. Die Staatsduma verabschiedete im November ein Gesetz, das die Adoption russischer Kinder verbietet durch Bürger von Staaten, in denen eine rechtliche Geschlechtsänderung erlaubt ist. Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende der Duma, erklärte, dass diese Entscheidung dazu dient, „unsere Kinder vor der schädlichen und destruktiven Politik des Westens“ zu schützen. Wolodin betonte, dass das westliche Gesellschaftsmodell durch eine „zerstörerische“ Politik gekennzeichnet sei. Diese untergrabe traditionelle Werte und Familienstrukturen.

Russische Politiker und konservative Kreise betrachten die westliche Gesetzgebung in Bezug auf LGBTQ+-Rechte und Geschlechtsidentität als bedrohlich. Sie befürchten, dass solche Ideen nach und nach auch in Russland Einzug halten könnten. Wolodin verwies darauf, dass in zehn europäischen Ländern keine Altersgrenzen für die rechtliche Geschlechtsänderung bestehen. In acht weiteren Ländern liegt die Altersgrenze für die Geschlechtsänderung bei 12 bzw. 16 Jahren.

„Wir wollen sicherstellen, dass unsere Kinder in einem Umfeld aufwachsen, das ihnen Stabilität, Sicherheit und eine gesunde Entwicklung ermöglicht“, erklärte er.

Russland sieht sich durch diese Maßnahmen als Verteidiger traditioneller Werte. Die neuen Adoptionsgesetze werden ergänzt durch eine Gesetzesinitiative, die bestimmte Medieninhalte unterbindet. Diese könnten „zerstörerisch“ auf die Gesellschaft wirken. Dazu gehört auch die bewusste Entscheidung, keine Kinder zu bekommen. Dieses Gesetz wird als Schutz der „moralischen Gesundheit“ der russischen Gesellschaft verstanden. Es zielt auf das, was die russische Regierung als westliche „Propaganda gegen die Familie“ bezeichnet. Inhalte, die LGBTQ+-Themen oder die Entscheidung gegen Nachwuchs positiv darstellen, dürfen in Medien, Internet und Kino nur eingeschränkt verbreitet werden. Kritiker sehen darin eine zunehmende staatliche Kontrolle über die Medien und einen Eingriff in die Meinungsfreiheit. Doch die Regierung betont, dass diese Schritte notwendig sind, um die Integrität der Gesellschaft zu wahren.

Parallelen zur konservativen Familienpolitik unter Donald Trump

Russlands neuer Kurs zeigt Ähnlichkeiten zur konservativen Familienpolitik des US-Präsidenten Donald Trump. In seiner letzten Amtszeit verfolgte Trump einen Kurs, der auf eine Erhöhung der Geburtenrate und die Förderung traditioneller Familienwerte abzielte. Trump unterstützte Maßnahmen zur Einschränkung des Zugangs zu Abtreibungen. Zudem befürwortete er Programme, die die klassische Familie stärken sollten. Die politische Haltung von Trump und Putin zeigt deutliche Parallelen: Beide betonen die Bedeutung hoher Geburtenraten und traditioneller Familienstrukturen. Auch die Notwendigkeit, die Gesellschaft vor „westlichen Einflüssen“ zu schützen, wird betont.

So wie Trumps Politik in den USA Polarisierung erzeugte, wird auch in Russland die Familienpolitik zunehmend zum Symbol für die kulturelle Abgrenzung vom Westen. In den USA hatte Trumps konservative Agenda zur Familien- und Genderpolitik gemischte Reaktionen ausgelöst. Viele sahen darin eine Rückkehr zu überholten Vorstellungen. Andere begrüßten die Unterstützung der traditionellen Familie und die Werte der „pro-life“-Bewegung. Russland greift nun diese Werte auf und verfolgt eine „Pro-Familie-Politik“. Diese ist durch den Schutz der nächsten Generation und die Förderung von Nachwuchs geprägt. Auch hier zielt die Politik darauf ab, das Land von westlichen Einflüssen zu isolieren und eine „eigene, nationale Identität“ zu fördern.

Ideologische Gegensätze und ein sich vertiefender Graben

Während Deutschland die Rechte der LGBTQ+-Community ausbaut und sich für Geschlechtervielfalt einsetzt, wird in Russland die Freiheit zur Geschlechtsbestimmung zunehmend eingeschränkt. Die Gesetzgebung Russlands setzt ein klares Zeichen: Westliche Entwicklungen werden als Bedrohung für die eigene Gesellschaft gesehen. Die russische Regierung argumentiert, dass Kinder in einer Umgebung aufwachsen sollen, die auf traditionelle Werte ausgerichtet ist. Sie will verhindern, dass durch Adoption ins Ausland neue, nicht-traditionelle Einflüsse auf die Kinder einwirken.

Das Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland bleibt nicht ohne Kritik, auch im Inland. Manche befürchten, dass die Vereinfachung der Geschlechtsänderung langfristig zu Herausforderungen im sozialen Miteinander führen könnte. Im Vergleich zum russischen Ansatz jedoch wirkt das deutsche Gesetz wie ein entschiedener Schritt in Richtung Menschenrechte und individuelle Freiheit. Der Kontrast der Entwicklungen zwischen Deutschland und Russland verdeutlicht, wie unterschiedlich die Ansichten zu Gender, Familie und Rechten des Einzelnen innerhalb und außerhalb Europas sein können.

Diese beiden gegensätzlichen Wege führen zu einem klaren Signal: Während Europa den Schutz der individuellen Identität und Vielfalt fördert, setzt Russland auf Abschottung und den Erhalt traditioneller Familienbilder. In einer zunehmend globalisierten Welt zeigt sich damit auch ein wachsender ideologischer Graben zwischen den Nationen.

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