Politik

Insider: „Russland wird die Republiken Donbass und Lugansk anerkennen“

Lesezeit: 5 min
02.02.2022 14:01  Aktualisiert: 02.02.2022 14:01
In einem Interview spricht ein Vertreter der russischen Regierungspartei offen aus, was mit der Donbass-Region der Ukraine passieren soll. Er liefert auch weitere interessante Informationen, wodurch die Ansichten und Ambitionen Moskaus offengelegt werden.
Insider: „Russland wird die Republiken Donbass und Lugansk anerkennen“
Wladimir Putin, Präsident von Russland. (Foto: dpa)

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In einem Interview mit der türkischen Zeitung „Aydınlık Gazetesi“ führt der russische Duma-Abgeordnete der Partei „Einiges Russland“, Yevgeni Georgiyevitch Popov, wie die russische Regierung die aktuellen Spannungen um die Ukraine einschätzt.

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Die Zeitung „Aydınlık Gazetesi“ gehört zum eurasischen Lager, das sich für eine Allianz zwischen Russland, China, Deutschland und der Türkei einsetzt. Die Zeitung ist das Sprachorgan der türkischen „Heimat-Partei“, die ihre historischen Wurzeln in der jungtürkischen Bewegung hat. Die „Heimat-Partei“ (Vorsitzender: Doğu Perinçek) ist politisch gegen die NATO und gegen die USA ausgerichtet.

Das Interview zwischen dem Blatt und Popov wird unkommentiert wiedergegeben.

Frage: Der Ukraine-Konflikt ist weltweit an der Tagesordnung. Ist ein Krieg kurzfristig möglich?

Popov: Es gibt weder kurz- noch langfristig die Möglichkeit eines Krieges. Die westlichen Länder befinden sich in einer hysterischen Krise hinsichtlich der Möglichkeit eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Es findet ein Medienkrieg statt. Westliche Medien attackieren Russland. Selbst die Ukrainer sagen, dass es an ihrer Grenze keine Bedrohung gibt. Natürlich haben wir Soldaten an unseren Grenzen, natürlich führen wir Militärmanöver durch. Doch all das ist gegen die NATO gerichtet, die ihre Bomber sogar über unsere Grenzen fliegen lässt. Wir müssen unser Land und unsere Bürger schützen. Ich glaube an eine diplomatische Lösung. Es gibt keinen Krieg. Aber die Drohung Washingtons ist auf den Versuch ausgerichtet, die Ukrainer und Europäer in Schrecken zu versetzen.

Frage: Wie beurteilen Sie die Ukraine-Politik der USA? Besteht die Gefahr, dass es in der Ukraine zu einer Konfrontation zwischen den USA und Russland kommt?

Popov: Es gibt einen alten Witz, wonach die Russen und Amerikaner bis zum letzten Ukrainer kämpfen werden. Es ist zwar nur ein Witz, doch anscheinend beinhaltet er aus Sicht von Washington einen Wahrheitsgehalt.

Wir schickten den USA eine Liste jener Themen, die wir als Bedrohung ansehen. Unsere Bitte ist sehr einfach: „Ziehen Sie sich von unseren Grenzen und dem Territorium ehemaliger Sowjetstaaten zurück. Wir wollen keine NATO-Truppen an unseren Grenzen.“ Dieses Gebiet gehört zu unserem Bereich und muss von NATO-Soldaten, Raketen, Stützpunkten und Panzern geräumt werden. Die Präsenz der NATO stellt eine Bedrohung für russische Bürger dar. Präsident Wladimir Putin betont, dass NATO-Raketen Moskau in fünf bis sieben Minuten erreichen können, was eine Bedrohung für russische Bürger darstellt. Heute müssen wir wieder Pufferzonen zwischen uns und der NATO haben.

Das Ziel der USA ist es, Europa von unserer Gasinfrastruktur wegzudrängen Sie wollen, dass die Europäische Union (EU) unter ihrer Kontrolle bleibt. Allerdings stammen 40 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland. Aber ich glaube nicht, dass all diese Spannungen in einem Krieg umschlagen werden. Niemand würde einen derartigen Krieg gewinnen. Ein derartiger Krieg hätte für alle zerstörerische Auswirkungen.

Frage: Glauben Sie, dass die Ukraine enttäuscht ist über die Haltung der USA?

Popov: Wir wissen, dass sich Zelenskji vor allem bei wirtschaftlichen Fragen besorgt an die USA wendet. Allein in der vergangenen Periode hat die Ukraine einen Verlust in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar erlitten. Das sind Zahlen, die aus dem Munde von Zelenskji stammen. Der Krieg ist lediglich eine hysterische Wahnvorstellung, doch die Milliardenverluste für die Ukraine sind Realität. Kiew bat Washington um Wirtschaftshilfen. Was die Ukrainer bisher bekommen haben, sind nur Militärhilfen: 45 Flugzeugladungen Waffen und einige alte Militärfahrzeuge.

Niemand macht sich Gedanken über die Wirtschaft der Ukraine. Die Ukraine befindet sich wirtschaftlich in einer schwierigen Situation. Das Handelsvolumen mit Russland von 50 Milliarden US-Dollar ist auf 10 Milliarden US-Dollar zurückgegangen. Sie haben den russischen Markt verloren und der Westen öffnet ihnen keinen neuen Markt. Es ist eine tragische Situation.

Ich denke, dass diese Situation den zunehmend verarmten ukrainischen Arbeitern und der Mittelschicht unangenehme Schwierigkeiten bereitet. Ich möchte darauf hinweisen, dass die gesendeten Waffen keine Geschenke sind und alle bezahlt werden.

Frage: Haben die USA und die EU unterschiedliche Ansichten zum Ukraine-Konflikt?

Popov: Daran möchte ich wirklich fest glauben. Doch die EU ist weit davon entfernt ist, souverän und unabhängig zu sein. Die USA greifen in die Entscheidungen der Europäer ein. Die USA sind ein großer Absatzmarkt und ich kann verstehen, dass die Europäer diesen Markt nicht verlieren wollen. So gibt es beispielsweise ein großes Handelsvolumen zwischen Deutschland und den USA, was Deutschlands politische Entscheidungen jedoch nicht beeinflussen sollte. Gleiches gilt für Paris und Brüssel.

Theoretisch könnten wir bereits heute Abend Nord Stream 2 starten, aber die Deutschen zögern aus rein politischen Gründen, Entscheidungen zu treffen. Die europäischen Länder sollten ihre eigenen nationalen Interessen verteidigen, und nicht die von „Uncle Sam!“

Frage: Hat das Minsker Abkommen eine Zukunft?

Popov: Präsident Putin versucht immer noch, das Minsker Abkommen umzusetzen. Als die ukrainische Armee im Donbass umzingelt wurde, war es Putin, der sie rettete, aber wir sehen keine Bemühungen auf Seiten Kiews bezüglich der Umsetzung des Minsker Abkommens. Schlussendlich wird Russland die Republiken Donbass und Lugansk anerkennen. Ich betone, dass dies meine persönliche Meinung ist. Wir sind verpflichtet, die Rechte von 720.000 russischen Bürgern zu schützen, die in dieser Region leben.

Zweiter Teil des Interviews

Frage: Die Türkei hat angeboten, als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland zu agieren. Auf welcher Grundlage könnten die Türkei und Russland kooperieren?

Popov: Das ist eine schwierige Frage. Die Türkei verfolgte in der Krim-Frage eine andere Politik als Russland. Ebenso unterstützte sie die Kiewer Regierung militärisch, insbesondere mit Drohnen. Aber andererseits unterhalten wir Handels-, Militär- und Wirtschaftsbeziehungen mit der Türkei.

Leider denken wir anders über die Ukraine. Es gibt eine ähnliche Situation in Syrien, aber wir konnten uns zusammensetzen, um über diese Probleme sprechen. Es ist wunderbar, dass wir miteinander sprechen.

Frage: Was denken Sie über die Vermittlerrolle?

Popov: Viele Länder haben angeboten, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Ich denke, Putin und Selenskji haben genug geredet und es gibt nichts mehr zu besprechen. Sie sprachen in Frankreich, aber es kam nichts dabei heraus. Zelenskji kommt seinen Verpflichtungen nicht nach.

Frage: Präsident Erdoğan wir Kiew besuchen. Haben Sie eine Erwartung an diesen Besuch?

Popov: Die Türkei und die Ukraine sind zwei unabhängige Länder und unterhalten bilaterale Beziehungen. Sie können sich über alles unterhalten, worüber sie sich unterhalten wollen. Natürlich stellen die Waffenlieferungen der Türkei an die Ukraine eine Bedrohung für uns dar, weil diese Waffen auch im Donbass eingesetzt werden. Aber Putin und sein Amtskollege Erdoğan werden über diese Themen sprechen. Die beiden gehen sehr klar und deutlich miteinander um. Ich bin mir sicher, dass sie eine Lösung finden werden. Wir müssen Frieden wollen. Ich hoffe, dass er in dieser Angelegenheit in Kiew in die gleiche Richtung denkt.

Frage: Wie schaut Russland auf den Vertrag von Montreux (Meerengen-Abkommen)? Wie können die Türkei und Russland die Sicherheit im Schwarzen Meer garantieren?

Popov: Wir glauben an den Vertrag von Montreux. Ich hoffe, dass auch andere Länder die Prinzipien dieser Konvention respektieren werden. Die Türkei will einen neuen Kanal (Kanal Istanbul) bauen, der zum Schwarzen Meer führt. Dieser Kanal würde es NATO-Schiffen oder Schiffen anderer Länder ermöglichen, das Schwarze Meer zu passieren. Derzeit regelt der Vertrag von Montreux all diese Situationen und minimiert die Möglichkeit eines Krieges im Schwarzen Meer. Dank diesem Vertrag haben wir strenge Regeln darüber, wer das Schwarze Meer befahren darf und wer nicht. Wir wollen keine Kriegsschiffe anderer Länder im Rahmen des Vertrags von Montreux sehen.

Wir respektieren die Rechte der Türkei. Natürlich können Sie auf ihrem eigenen Territorium machen, was Sie wollen, aber Montreux ist eine Konvention, die wir alle respektieren sollten.


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