„Mit der Hoheit über ihr Geld verlieren die Menschen unweigerlich auch noch den letzten Rest ihrer Mündigkeit“, bemerkte Peter Krämer schon vor einem Jahrzehnt in seinem umfangreichen Buch „Die Entmündigung“[i]. 2016 veröffentlichte Peter Hahne das einschlägige Buch „Finger weg von unserem Bargeld! Wie wir immer weiter entmündigt werden“[ii]. 2018 warnte der Wirtschaftsexperte Dirk Müller ebenfalls vor der Abschaffung des Bargelds und dem „Beginn eines neuen dunklen Zeitalters“; im Wissen um die „totale Digitalisierung und ihre Folgen“ riet er: „Mischen Sie sich ein“[iii]. Im selben Jahr erschien von Norbert Häring das Buch „Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go: Uns droht eine totalitäre Weltwährung“, in dem erläutert wird: „Betrieben werden diese Kampagnen von der G20-Gruppe der wichtigsten Industrienationen, angeführt von der US-Regierung und im Konzert mit großen US-Konzernen und deren Stiftungen. Sie alle haben gemeinsam eine Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion gebildet. Deren Ziel ist es, die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und die biometrisch-digitale Erfassung aller Bürger weltweit durchzusetzen. Einbezogen in diese Partnerschaft ist eine ganze Batterie öffentlich-rechtlicher Allianzen, darunter die Besser-als-Bargeld-Allianz, mit Mastercard, Visa, der Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und dem US-Außenministerium als Kernmitgliedern.“[iv] Und 2019 erschien ein mahnendes Buch von Hansjörg Stützle unter dem Titel „Das Bargeld-Komplott. Bargeldverbot auf Raten, bezahlt mit unserer Freiheit“: Die Folgen der Abschaffung würden verheerend sein.
Noch aber haben wir unser Bargeld, und immer wieder hört man, an seine Abschaffung sei nicht gedacht. Wahrscheinlich haben die genannten Bücher ihren Zweck wenigstens eine Zeitlang erfüllt. Doch Josef Kraus erklärte kürzlich: „Die Vision heißt Digitalisierung. Und die Begründung lautet: Wenn es kein Bargeld mehr gibt, dann tut sich der Staat leichter, gegen Terrorfinanzierung, Schwarzgeld, Steuerkriminalität und Geldwäsche vorzugehen. Staatliche Fahndungsbehörden möchten den Austausch von Bargeld zumindest vorläufig auf 10.000 Euro begrenzen.“[v] Und in den DWN warnte Ende Januar Hakon von Holst: „Das Bargeld gerät zusehends in die Defensive: Immer mehr Verkehrsbetriebe lehnen Scheine und Münzen ab, was für Barzahler, Kinder und Senioren zu großen Schwierigkeiten führt. Fest steht: Die Bargeldabschaffung hält Einzug in Deutschland – Schritt für Schritt sollen die Bürger ihren altbewährten Scheinen und Münzen entwöhnt werden. Bahn fahren mit Chip-Implantat. Als ob alles nicht gruselig genug wäre, zeigt der Weltmeister im Bargeldabschaffen, wo er den Zug hinlenkt: Schweden ist das Land, wo man ohne Bankkarte vielerorts selbst vor der öffentlichen Toilette aufgeschmissen ist.“
Derlei Warnungen und Vorbehalte passen freilich nicht zu den politisch mit neuem Elan forcierten Digitalisierungsprogrammen hierzulande und EU-weit. Schon vor über einem Jahrzehnt hatte eine EU-Geld-Richtlinie (2009/110/EG) die Absicht erkennen lassen, Bargeld zunehmend zum Verschwinden zu bringen – zu Gunsten angeblich sicherer „E-Geld-Dienstleistungen“. So forderte die EU für alle Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten die „elektronische Geldbörse in Form einer Zahlungskarte oder einer anderen Chipkarte“ sowie „als Speichermedien für E-Geld“. Inzwischen suchte bereits der Bundestag Experten zum Thema „Bargeldbeseitigung“. Für sein Projekt „Welt ohne Bargeld – Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme“ wurde ein Gutachten ausgeschrieben, das helfen sollte, den Weg dafür freizumachen und die Bevölkerung von ihrer „Bargeld-Obsession“ zu befreien. Diese Ausschreibung betrieb der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Er tat sich dafür mit dem Beratungsunternehmen VDI/VDE-IT zusammen, das vom Ingenieursverband VDI und der IT-Lobby VDE, dem „Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik“, getragen wird. Diese IT-Lobby durfte auch das Vorgehen des Ausschusses bei seinem Projekt konzipieren und so neue Anwendungsfelder disruptiver Bezahlsysteme anvisieren. In einem Thesenpapier zu einem öffentlichen Fachgespräch unter dem Titel des genannten Projekts am 18. Juni 2020 im Deutschen Bundestag hieß es: „Trotz der überwiegend positiven Eigenschaften, die dem Bargeld zugeschrieben werden, geht die Bargeldnutzung (auch) in Deutschland zurück. Die Kosten für die Bereitstellung der Bargeldinfrastruktur könnten steigen und dazu führen, dass Bargeld nicht mehr überall akzeptiert wird.“[vi] Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld aber – so liest man weiter – wäre ein erheblicher Einschnitt in das gegenwärtige Geld- und Banksystem, so dass diese Option in fast allen Ländern noch Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und politischer Diskussionen sei. „Gleichwohl sind jetzt die Einführung sowohl des digitalen Euro, auf die sich Mitte 2021 der Rat der Europäischen Zentralbank geeinigt hat, als auch des digitalen Dollar [vii] kaum noch zu stoppen. Dabei nähern sich die Zentralbanken dem Thema Central Bank Digital Currency (CBDC), um das Finanzsystem mit neuen Möglichkeiten und Funktionen auszustatten und auch, um eine Alternative zu den Krypto-Währungen zu schaffen[viii].
Vorbild für die Relativierung und Abschaffung von Bargeld soll dabei tatsächlich Schweden sein – ein Land, das in seiner Geschichte nicht so wie Deutschland Erfahrungen mit totalitärer Herrschaft gemacht hat und in dem deshalb kaum noch jeder Fünfte Bargeld nutzt. An diesem Beispiel nebst einigen anderen soll das genannte Projekt deutlich machen, dass die Sorgen von Bedenkenträgern wegen eines Missbrauchs bargeldloser Zahlungsmittel übertrieben seien und dass es bargeldlose Zahlungsmittel gebe, die die Privatsphäre der Nutzer wahren. Ist aber die in Deutschland bislang anhaltende „Bargeld-Obsession“ als rückwärtsgewandter Zustand zu beurteilen? Norbert Häring durchschaute jene tendenziöse Ausschreibung: „Dadurch, dass diese vermeintlich überdurchschnittliche Bargeldnutzung als Problem, ja als Obsession dargestellt wird, wird das gewünschte Ergebnis der Untersuchung vorgegeben.“[ix]
Der Umstand, dass just der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung die Digitalisierung des Bargelds in Deutschland vorantrieb, gibt zu denken – hatte ich doch bereits 2012 gefragt: „Wo findet man neutrale Technikfolgen-Abschätzung?“[x] In der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis (TATuP) erklärten Linda Nierling und Helge Torgersen, zwar habe Neutralität lange als unhinterfragte Grundlage im Selbstverständnis von Technikfolgenabschätzung gegolten, doch inzwischen sei „Neutralität als Mythos der Technikfolgenabschätzung“ entzaubert[xi]. War einst der Neutralitätsanspruch „Voraussetzung, um Technikfolgenabschätzung im politischen Kontext zu installieren“, so versuche man heutzutage, sich über Wertegrundlagen der Technikfolgenabschätzung erst einmal zu verständigen – und da stehe man noch ganz „am Anfang“! Soll also die Bargeld-Abschaffung von einer Technikfolgenabschätzung betrachtet und bewertet werden, die sich über ihre Wertebezüge noch gar nicht wirklich selber im Klaren ist? Klar ist eines: Werte und Normen beeinflussen sehr wohl, unter welchem Blickwinkel Technikfolgenabschätzung ihre Analysen betreibt und wie sie Forschungsergebnisse auswertet.
Die Pro-Abschaffungs-Argumente, Bargeld stütze Kriminalität und Schwarzarbeit, und es sei als solches teuer, dürften mit Blick auf die realen Effekte am Ende ziemlich wenig austragen und mit den freiheitlichen Risiken dieser Maßnahme nicht wirklich im Verhältnis stehen. Dagegen wiegen die Contra-Argumente schwerer. Man denke zunächst an die Gefahr einer schleichenden Enteignung privaten Geldvermögens: Angesichts der sich immer mehr zuspitzenden Schuldenkrise haben Zentralbanken ein Interesse an niedrigen oder gar negativen Zinsen, was ohne Bargeld problemlos durchsetzbar wäre. Kommt eines Tages womöglich sogar eine Bargeldsteuer? Sodann gilt es die haptische Gestalt des Geldes angemessen zu würdigen. Der Umstand einer Transformation analogen Bezahlens in digitale Virtualitäten bedeutet zunehmende Abstraktion, die nicht jedermanns Sache ist. Intuitiv verlangen viele Menschen nach wie vor nach Münzen und Scheinen, wenn es um Bezahlen, ums Geben und Nehmen von Geld geht. Solches Handfeste und Anschauliche ist ihnen lieber als der Zugewinn an Tempo und Bequemlichkeit, den sie in den letzten Jahren bereits anhand von sogenannten „mobilen Bezahlverfahren“ erproben konnten.
Bei jenen mobilen Verfahren bekommt man es nämlich stets mit zwei Problemfeldern zu tun: mit dem Erodieren von Daten- und Strahlenschutz. Ohne Bargeld ist der „gläsern“ gewordene Bürger zunehmend gezwungen zur Benutzung von Funkgeräten – und zwar auch dann, wenn er auf diese gleichsam allergisch reagiert und mit dem Hirnforscher Manfred Spitzer aus hier nicht näher zu entfaltenden Gründen sich gegen die „Smartphone-Epidemie“[xii] stellen möchte. Near Field Communication (NFC) heißt beispielsweise der Funkstandard für Smartphones und Chips, der das Mobile Payment längst ins Rollen gebracht hat und die Geldbörse bald vollends vergessen machen soll. Zwar ist mobiles Bezahlen ein Trend im Zahlungsverkehr; doch offenkundig ist es – wie Nadine Oberhuber verdeutlicht – „nicht ganz einfach, die Bürger hierzulande vom Bargeld wegzubringen: Damit zahlen sie immer noch am liebsten. Schon die Zahlung mit Bank oder Kreditkarte an der Kasse widerstrebt vielen. Und bei Handyzahlungen treibt die Kunden vor allem die Sicherheitsfrage um. … Wird der Kunde dauerhaft mit Handy zahlen, wenn er weiß, dass er bei jedem Brötchenkauf eine breite Datenspur vom Bäcker bis zur Bank hinterlässt?“[xiii] Zumal angesichts immer mehr um sich greifender Hacker-Attacken viele Zeitgenossen skeptisch gegenüber ausschließlich digital möglichem Bezahlen bleiben. Dass dann, wenn alle Bezahlvorgänge einer Person für Waren und Leistungen vollständig erfassbar und nachvollziehbar geworden sind, sich rund um die Uhr vollautomatisch Personen- und Aufenthaltsprofile erstellen lassen, passt ins New Digital Age – und befeuert nur Verschwörungstheorien…
Hinzu kommt das ökologische Problem: Muss der E-Smog der Near Field Communication (NFC) sogar noch die alltäglichen Bezahlvorgänge begleiten? Auch fürs digitale, oft mit Funk verknüpfte Bezahlen gilt, was Ex-Bundesumweltministerin Svenja Schulze formuliert hat: „Wenn wir die Digitalisierung unverändert fortsetzen, wird sie zum Brandbeschleuniger für die ökologischen und sozialen Krisen unseres Planeten.“[xiv] Stetes Bezahlen auf digitalem Weg würde teilhaben an den Mehrverbräuchen von Energie und Ressourcen, die das Klima und die Biologie von Mensch und Natur belasten[xv]. Nicht zuletzt, damit neues Kryptogeld wie etwa Bitcoin entstehen kann, verbrauchen Großrechner immer mehr Strom – inzwischen weltweit etwa so viel wie die Niederlande insgesamt[xvi].
[i] Peter Krämer: Die Entmündigung. Ein Plädoyer für die Freiheit, Schnaittach 20122, 573.
[ii] Peter Hahnes Buch erlebte mehrere Auflagen und wurde beworben mit den Worten: „Das Bargeld soll abgeschafft werden, damit Staat, Banken und Versandhandel jederzeit lückenlos nachprüfen können, wie wir unser Geld ausgeben. Geht's noch? Der Stasi neue Kleider!“ Vgl. auch Max Otte: Rettet unser Bargeld! Berlin 2016, sowie die URL stop-bargeldverbot.de/
[iii] Vgl. Dirk Müller: Machtbeben. Die Welt vor der größten Wirtschaftskrise aller Zeiten, München 2018, 66, 83, 273ff und 323ff.
[iv] Vgl. Norbert Häring: Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go: Uns droht eine totalitäre Weltwährung, Frankfurt a.M. 2018, 17.
[v] www.die-tagespost.de/kultur/bargeld-ist-freiheit-art-222562 (hier und bei anderen URLs dieses Aufsatzes: Abruf 2.3.2022).
[vii] deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/517566/Der-digitale-Dollar-Seine-Entwickler-und-sein-Beitrag-zum-Great-Reset - hier erklärt Gregor Uhlig: „Bisher ist das einzige vollanonyme Zahlungsmittel das Bargeld. Mit einer CBDC wäre es aber wiederum möglich, kriminelle Aktivitäten wie Geldwäsche zu unterbinden. Ein Zwiespalt, der soziale und politische Fragen aufwirft.“
[x] Vgl. Werner Thiede: Mythos Mobilfunk, München 2012, 124.
[xi] Linda Nierling/Helge Torgersen: Normativität in der Technikfolgenabschätzung, in: TATuP 28, 1/2019, 10-14, hier 10.
[xii] Manfred Spitzer: Die Smartphone-Epidemie. Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft, Stuttgart 2018.
[xiii] Nadine Oberhuber: Handy statt Münzen, in: DIE ZEIT Nr. 3/2012, 26.
[xiv] Zit. nach www.heise.de/newsticker/meldung/Umweltministerin-Digitalisierung-Brandbeschleuniger-gegenwaertiger-Krisen-4419394.html. Vgl. auch F. Sühlmann-Faul/St. Rammler (Hg.): Der blinde Fleck der Digitalisierung, 2018.
[xv] Dazu näherhin mein Aufsatz im lutherischen Magazin CA II/2020 (im Druck).
[xvi] www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/stromfresser-bitcoin-mining-101.html sowie mein Artikel „Cloud frisst Erde. Die Illusion einer umweltverträglichen Digitalisierung“ in: Salzkorn 4/2020, 34-36 (URL: www.ojc.de/salzkorn/2020/oekologie-schoepfungstheologie-hoffnung/digitalisierung-cloud-umweltvertraeglich/)
LESEN SIE MORGEN IM ZWEITEN TEIL DES GROSSEN BARGELD-ARTIKELS VON WERNER THIEDE:
- Wie mit "ökonomischen Sachzwängen" argumentiert wird
- Wie der Transhumanismus ins Spiel kommt
- Wie die Armen keine Lobby haben