Politik

Atommacht Pakistan droht der Kollaps: Wird Ministerpräsident Khan von Islamisten gestürzt?

Lesezeit: 4 min
31.03.2022 11:00  Aktualisiert: 31.03.2022 11:24
Dem atomar bewaffneten Land steht wohl ein äußerst riskanter Machtwechsel bevor. Fanatische Islamisten wittern ihre Chance, im Land herrscht Chaos.
Atommacht Pakistan droht der Kollaps: Wird Ministerpräsident Khan von Islamisten gestürzt?
Arif Alvi (M), Präsident von Pakistan, Imran Khan (3.v.l.), Premierminister von Pakistan, und hochrangige Militärbeamte schauen sich eine Militärparade anlässlich des pakistanischen Nationalfeiertags an. (Foto: dpa)
Foto: Anjum Naveed

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In Pakistan wird das Parlament am Donnerstag ein Misstrauensvotum gegen Ministerpräsident Imran Khan einleiten. Dies könnte zum Sturz des ehemaligen Kricket-Stars und zur Rückkehr der politischen Unsicherheit in dem atomar bewaffneten Land führen. Der 69-jährige Khan sieht sich zunehmender Kritik an seiner Wirtschaftspolitik ausgesetzt, weil das Land unter hoher Inflation und steigenden Defiziten leidet. Am Mittwoch verlor er bereits seine Mehrheit im Parlament, als ein wichtiger Verbündeter seine Koalitionsregierung verließ. Die sogenannte Muttahida-Qaumi-Bewegung (MQM) schloss sich der Opposition an.

Das Verfahren beginnt am Donnerstag, mit einer Entscheidung wird aber erst am Montag gerechnet. Oppositionsführer hatten Khan bereits vor dem Verlust seiner Mehrheit im Parlament zum Rücktritt aufgefordert, doch seine Berater erklärten, er werde nicht aufgeben. Die Absetzung Khans könnte eine weitere Runde der Instabilität in einem Land bedeuten, in dem das Militär seit langem in die Politik eingreift und kein Premierminister jemals eine volle fünfjährige Amtszeit absolviert hat.

Christinnen werden entführt und zwangsislamisiert

In Pakistan steigt die Zahl der Entführungen von Christinnen und deren Zwangskonversion zum Islam. Das geht aus Daten des Menschenrechtsministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag mitgeteilt wurden. Demnach wurden im Jahr 2021 rund 60 Christinnen entführt, mit sunnitischen Muslimen verheiratet und gezwungen, zum Islam zu konvertieren. 2020 habe man lediglich 15 solcher Fälle registriert.

Fast drei Viertel der 2021 betroffenen Mädchen seien noch nicht 18 Jahre alt gewesen, sagte der Minister für Menschenrechte und Minderheitenangelegenheiten der zentralen Provinz Punjab, Ejaz Alam Augustine. Von Zwangskonversionen sind auch Hindu-Frauen betroffen. Diese Daten seien allerdings noch nicht verfügbar, hieß es vom Ministerium.

Mehr als 95 Prozent der Bevölkerung Pakistans sind Muslime. Nicht-Muslime wie Christen oder Hindus und Anhänger von Minderheiten wie der muslimischen Reformbewegung Ahmadiyya oder Schiiten sind immer wieder mit Einschüchterungen und Verfolgung konfrontiert. Sie beklagen, dass man sie nicht als gleichwertige Bürger ansehe.

Pakistanische Analysten sehen als einen der Haupttreiber hinter dem starken Anstieg an Zwangskonversionen aber auch an Blasphemie-Fällen in Pakistan die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Afghanistan. Dieser habe Islamisten im Land ermutigt und ihnen das Gefühl gegeben, den Staat und das Gesetz überrennen zu können, sagt der Sicherheitsanalyst Fida Khan.

Lehrerin von Kolleginnen wegen Gotteslästerung enthauptet

Drei Lehrerinnen einer islamischen Mädchenschule in Pakistan haben nach Polizeiangaben eine Kollegin enthauptet. Sie bezichtigten die 21-Jährige der Blasphemie, also der Verhöhnung ihrer Religion. Sie hätten sie außerhalb der Bildungseinrichtung in der Stadt Dera Ismail Khan im Nordwesten des Landes ohne ordnungsgemäßes Verfahren getötet, teilte der örtliche Polizeichef Najamul Hasnain mit. Die Polizei habe die mutmaßlichen Täterinnen bereits festgenommen - sie hätten gestanden, sagte ein Polizist der Deutschen Presse-Agentur.

Die an dem Vorfall Beteiligten sollen aus der Region Wasiristan stammen - die Gegend liegt an der Grenze zu Afghanistan und war zuletzt Anzugspunkt für verschiedene Terrorgruppen.

Die pakistanischen Blasphemiegesetze sehen den Tod für die Beleidigung des Islams oder des Propheten Mohammed vor. Menschenrechtsaktivisten kritisieren, dass der Blasphemievorwurf häufig gegen religiöse Minderheiten verwendet oder in persönlichen Rachefeldzügen instrumentalisiert würde.

60 Tote nach Anschlag auf Moschee

Bei einem Bombenanschlag auf eine Moschee im Nordwesten Pakistans sind mindestens 60 Menschen getötet worden. Weitere 200 Menschen seien in der Stadt Peshawar verletzt worden, sagten Polizeibeamte und ein Kliniksprecher am 4. März der Deutschen Presse-Agentur. Das Innenministerium versetzte landesweit Sicherheitskräfte in erhöhte Alarmbereitschaft. Am Abend reklamierte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) den Anschlag in einer Mitteilung auf dem IS-Sprachrohr Amak für sich.

Nach Angaben eines örtlichen Polizeichefs sollen sich zwei bewaffnete Selbstmordattentäter den Weg in die Moschee freigekämpft haben, wo sie ihre Bomben zündeten. Lokale TV-Sender zeigten Bilder einer Überwachungskamera, wie ein junger Mann auf einen Polizisten feuerte, bevor er in die Moschee stürmte.

«Überall waren Rauch und Schreie zu hören», sagte ein Überlebender dem pakistanischen TV-Sender «Dunya». «Dann sah ich mehrere Leichen übereinander liegen und einen Fluss aus Blut auf dem Boden.» Der Lärm der Explosion sei «ohrenbetäubend» gewesen, schilderte ein weiterer Augenzeuge, der vor der Moschee mit seinem Motorrad unterwegs war, dem lokalen Sender «Geo». «Bevor ich wusste, was passiert, hörte ich Schüsse und Explosionen.»

Nach Polizeiangaben soll es sich um eine schiitische Moschee in einem mehrheitlich sunnitischen Viertel handeln. Der IS ist in der Grenzregion zwischen Afghanistan und Pakistan aktiv. Die Terrormiliz war erstmals 2015 in Afghanistan aufgetaucht. Seitdem will sie dort und auf pakistanischem Gebiet eine «Provinz» namens IS-Khorasan etablieren. Anhänger betrachten schiitische Muslime als Abtrünnige und verüben regelmäßig brutale Anschläge auf ihre Gemeinden.

Premierminister Imran Khan verurteilte den Anschlag aufs Schärfste, wie sein Büro mitteilte. Er versprach den Opfern schnelle Hilfe. Auch Pakistans Präsident Arif Alvi verurteilte die Attacke und drückte den Familien der Opfer sein Mitgefühl aus.

Im Nachbarland Afghanistan kamen bei einem ähnlichen Anschlag auf eine Moschee am Freitag nach Behördenangaben zwei Menschen ums Leben, mindestens 20 weitere Gläubige erlitten Verletzungen. Das Attentat ereignete sich an der Grenze nur 150 Kilometer entfernt von Peshawar.

Seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Afghanistan haben Anschläge in der Grenzregion jüngst zugenommen. Insbesondere der IS und die pakistanischen Taliban reklamieren Anschläge für sich. Die Grenzprovinz Khyber Pakhtunkhwa galt lange als Unruheregion Pakistans, war jedoch nach einer Militäroffensive gegen islamistische Terrorgruppen im Jahr 2014 lange Zeit ruhig.

Bereits im Herbst 2020 waren in Peshawar bei einem ähnlichen Attentat in einer Koranschule viele Menschen getötet und mehr als 100 verletzt worden. Damals wurde der IS verdächtigt. Bewohner in Peshawar erinnern die Attacken an den brutalen Anschlag pakistanischer Taliban, die 2014 ebenfalls in einer Schule in Peshawar mehr als 150 Menschen getötet hatten, vor allem Kinder.

Vergewaltigung aus Rache

In Pakistan sorgte Anfang Februar ein Vergewaltigungsfall - mutmaßlich aus Rache - für Empörung. Im Bezirk Mirpurkhas der Provinz Sindh im Süden des Landes sollen laut einer bei der Polizei eingereichten Anzeige mehr als 20 teils bewaffnete Männer zwei Mädchen im Alter von 14 und 19 Jahren entführt und vergewaltigt haben. Lokalen Medien zufolge geschah dies aus Rache für eine Liebesheirat eines Mannes und einer Frau aus rivalisierenden Clans.

Der Vorfall soll sich bereits am Sonntag ereignet haben. Nach Angaben des lokalen Polizeisprechers Arshad Jatt habe man bisher zehn Verdächtige inhaftiert und sei auf der Suche nach weiteren. Eine medizinische Untersuchung habe die Vergewaltigung der jungen Frauen bestätigt.

Der Vorfall löste eine Debatte über Stammesnormen in Teilen des Landes aus, in denen Frauen Opfer von Rivalität zwischen Gruppen werden - und manchmal getauscht werden, um Streitigkeiten beizulegen. Lokale Politiker und Aktivisten verurteilten den Fall aufs Schärfste. Der Gouverneur der Provinz sagte einer Erklärung zufolge, den Tätern dürfe keine Milde entgegengebracht werden.


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