Technologie

Digitalisierter Straßenverkehr: Mehr Risiken als Chancen?

Lesezeit: 10 min
01.05.2022 14:11
Prof. Dr. Werner Thiede zeigt auf, wie Industrie und Politik die Probleme leugnen, die mit dem digitalisierten Auto verbunden sind.
Digitalisierter Straßenverkehr: Mehr Risiken als Chancen?
Am "Karlsruher Institut für Technologie" (KIT) wird an der Entwicklung autonomer Autos geforscht. (Foto: dpa)
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Warum funk- und radargesteuerte Autos Besorgnis erregen

Für die Politik hierzulande ist völlig klar: „Deutschland soll eine Führungsrolle beim autono­men Fahren einnehmen. Um das große Potential des autonomen und vernetzten Fahrens opti­mal zu nutzen, will die Bundesregierung die Forschung und Entwicklung vorantreiben und damit die Mobilität der Zukunft vielseitiger, sicherer, umweltfreundlicher und nutzerorien­tier­ter gestalten.“[1] Demgemäß hat das Bundeskabinett am 23. Februar eine Verordnung zum Autonomen Fahren verabschiedet und damit den hierfür erforderlichen Rechtsrahmen vervollständigt – wobei Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht ohne Stolz hervorhob: „Dass autonome Fahrzeuge bei uns künftig im normalen Straßenverkehr teilnehmen können, ist weltweit einmalig…“[2] Kein Wunder also, dass alle gro­ßen Autofirmen derzeit unter Hochdruck daran arbeiten, selbstfahrende Autos möglichst zeitnah auf die Straße zu bringen.

Die Ampel-Politik will auch auf diesem Sektor verstärkt „den Fort­schritt wagen“ – doch Wagnisse verbinden bekanntlich Chancen mit Risiken. Wer aber Fort­schritt unbedingt will, wird bemüht sein, die Risiken kleinzureden. In diesem Sinne wird die Ent­wicklung von autonomen Autos[3] und E-Autos immer entschiedener vorange­trie­ben – doch um welchen ökologischen Preis? Dass manche Materialien für die neuen High-Tech-Autos auf die Dauer ein ökologisches Problem darstellen, ist so bekannt, dass es hier nicht eigens ausgeführt werden muss. Das Gleiche gilt für die schwierige Frage, wie denn bitte ein immer mehr auf Stromverbrauch angelegter Autoverkehr mit den knappen Energie-Ressourcen der Zukunft kompatibel sein soll[4]. All diese Dilemmas werden im Inter­esse einer unbedingt voranzutreibenden „digitalen Transformation“ entweder ignoriert oder auf die lange Bank geschoben.

Dabei ist der Autoverkehr für die meisten Menschen von mehr oder weniger „elementarer“ Bedeutung. Seine zunehmende Digitali­sierung muss in der Folge den Alltag und die tägli­chen Erfahrungen stark verändern. An der Ver­netzung möglichst vieler Fahrzeuge wird inten­siv ge­arbeitet. Schon seit einigen Jahren darf hierzulande kein Neuwagen mehr ohne das automati­sche Notrufsystem eCall verkauft werden. Mit Blick auf das EU- gesteuerte Vernetzungs­pro­jekt smart traffic [5] hatte der Deutsche Bundestag 2013 die Einfüh­rung „intelli­gen­ter“ Ver­kehrs­sys­teme im Straßen­ver­kehr und für deren Schnitt­stellen zu ande­ren Verkehrs­trä­gern in deut­sches Recht umge­setzt. Längst freut sich die Auto­­branche auf Milliar­den-Umsätze durch teilautonome und selbstfahrende Autos. Doch wie tragfähig sind die Argumente für den smar­ten Straßenverkehr tatsächlich? Diese Frage stellt sich insbesondere auch deswegen, weil er zusätzliche Probleme auf jenem Sektor mit sich bringt, den das deut­sche Grundgesetz mit dem Recht auf „körperliche Unversehrtheit“ markiert.

Sicherheit über alles?

Was zunächst die angebliche Sicherheit selbstfahrender Autos betrifft, so sind seit Jahren immer wieder Unfälle auch mit solch computergesteuerten Wägen registriert worden. 2018 konnte man der Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung entnehmen, dass sich das „autono­me Fahren“ bis dahin noch kaum in verkehrspolitischen Strategien oder Verkehrsent­wick­lungsplänen niedergeschlagen habe. Anschaulich erklärte damals Christian Wüst im „Spiegel“ (Nr. 13/2018): „Computer am Steuer sind – sofern sie funktionieren – Sonntags­fahrer der schlimmsten Art“: Sie halten so viel Sicherheitsabstand, dass sich die Verkehrs­leistung einer Straße im Berufsverkehr glatt halbiert, warten lieber stundenlang an einer Autobahneinfahrt, als sich strebsam in dichten Ver­kehr einzufädeln, „und richtig zuverlässig fahren sie ohnehin nur bei freundlicher Witterung.“ Aber selbst die „Zuverlässigkeit“ ist namentlich aufgrund von Unfällen mit autonomen Autos zweifelhaft[6]. Und gerade in der bald bevorstehenden Übergangsphase werden laut der EU-Kommission „neue Risiken“ entstehen – wenn nämlich hochautomatisierte Fahrzeuge im gemischten Verkehr auftauchen und die komplexe Inter­aktion zwischen Fahrer und Fahrzeug erst einmal richtig einzuüben sein wird[7].

An vorderster Stelle steht in der öffentlichen Diskussion eben das Sicherheitsargu­ment, es wer­de weniger Unfälle und Ver­kehrs­tote geben. Den Unfallfaktor „Mensch“ gelte es mög­lichst aus­zuschalten.Doch Alexan­dra Neukum hat als Lei­terin des Würz­burger In­sti­tuts für Verkehrswissenschaften betont: „Ich finde es unseriös, damit zu wer­ben, dass der Mensch der unsichere Faktor ist, den es auszu­merzen gilt. Das sind Argu­mente aus den sechziger Jah­ren, die einer nicht mehr zeitgemäßen Technik­gläubigkeit ent­stammen.“ [8] Schon frühere Tests hat­ten gezeigt, dass skep­tisches Unbe­hagen nicht unbe­gründet war: „Viele neue Fahrzeug­mo­del­le scheitern bei Testfahrten und ver­ursa­chen Unfälle. Autofahrer plagt deshalb das Ge­fühl von Kontrollverlust und Un­sicher­heit.“ Das mag inzwischen besser geworden sein, aber die Frage des Kontrollverlusts bleibt eine sehr grundsätzliche: Von den einen politisch oder philo­sophisch geradezu gewollt, ist „autonomes“ Fahren anderen unheimlich und zuwider.

Noch 2013 hatte die ADAC-Zeitschrift Motorwelt vor den kritischen Folgen einer Ver­net­zung des Auto­fahrens gewarnt. Just die digitalen Bequem­lichkeiten am Steuer würden oft zum Leicht­sinn verführen: „Vor allem die junge Generation, die im Zustand ständiger Er­reich­bar­keit groß wird, will ihren digital ver­netzten Lebensstil auch auf vier Rädern pflegen. Das Auto als Offline-Zone? Nein danke!“ In der Tat sollte genauer be­dacht wer­den, zu wieviel Ver­unsi­che­rung und konkreten Schäden „intel­li­gente“ Ver­kehrssys­teme psycho­logisch be­dingt führen könnten. Der gleichsam ins Nichtstun ent­las­sene Fahrer wird vielleicht vor Lan­geweile ermü­den oder sich irgend­welchen ander­weitigen Be­schäf­ti­gungen hingeben, und ist er abgelenkt, da er am Computer tippt oder seine Taschen durchsucht, würde er eine drohende Gefahr wo­möglich nicht rechtzeitig erken­nen. Christian Rauch erläutert die Folgen: „Das Auto muss den Fahrer also erinnern, regel­mäßig nach vorne zu schauen. Da­mit dies nicht nervt, muss der Computer wissen, wann der Fahrer weg­schaut. Sensoren wer­den seine Tas­tendrücke messen und Kame­ras seine Be­we­gungen über­wachen.“[9] Eigentlich ein nerviges Sze­nario – und eine ärgerliche Ausweitung dessen, was Shoshana Zuboff „Überwachungskapitalismus“[10] nennt.

Stichwort „Überwachung“: Mit den beiden Totschlagargumenten „Sicher­heit“ und „Digitalisierung“ wird sie praktisch auch auf dem Verkehrssektor legitimiert. Armin Grunwald weiß als Experte für Technikfol­genab­schät­zung um die aus der Automatisierung des Fahrens resultierende „digitale Vernetzung mit all den Folgen für mögliche systemische Risiken, Verletzlichkeit, Datenschutz und Über­wa­chung. Diese werden sicher wichtige Themen einer gesellschaftlichen Debatte auch zum auto­nomen Fahren sein.“[11] Da­ten­sicherheit und Da­ten­schutz werden aber in der Digitali­sie­rungs­kultur weithin zu illusorischen Forderungen. Martin Schulz hatte schon als damaliger Prä­si­dent des Europäischen Parlaments vor der Gefahr totalitärer Verhältnisse gewarnt, wie sie durch die Digitaltechnik grundsätzlich ermöglicht werde. Der Berliner Philosophie­professor Byung-Chul Han erklärt: „Das Internet der Dinge vollendet gleichzeitig die Trans­pa­renz­gesellschaft, die un­unter­scheid­bar geworden ist von einer totalen Überwa­chungsge­sell­schaft.“[12] Was die Total­überwachung des Autover­kehrs be­trifft, so mag sie einerseits mit Vor­teilen ver­bunden sein; andererseits sind seit den Offenlegun­gen Edward Snowdens über die weltweiten Aus­späh­-Möglichkeiten und ihre Um­setzung durch Geheimdienste und Firmen die Zeiten naiven Abblendens der Nachteile vorbei. Müs­sen und dürfen Unbe­teiligte wirklich jederzeit ab­fragen können, ob und wo sich ein Pkw bewegt? Soll das pau­schale Sicher­heits­argument am Ende das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung aufwiegen dürfen? Gilt „Sicherheit um jeden Preis“, oder ist das eben keine vernunftgesteuerte Idee?

Die digitalen Ausspäh-Möglichkeiten betreffen schließlich auch die Hacker-Problematik. Mög­liche Angriffe aus dem Cyberspace auf Autos sind heute weniger von der Hand zu wei­sen denn je. Der ADAC weiß: „Ein Auto, das permanent online ist, kann genauso zum Ziel von Hackern werden wie ein PC, ein Laptop oder ein mobiles Endgerät, das mit dem Internet verbunden ist. Außerdem dürften autonome Fahrzeuge künftig regelmäßig Software-Updates benötigen – auch hier nähern sich Computer und Auto einander an, zugleich entsteht ein neues Einfallstor.“[13] Die erforderliche Kommunikationsbreite zwischen Fahr­zeug und Außen­welt hat ihre Risiken: Hacker könnten bis tief in die Fahr­zeugelektronik vordringen. Was, wenn ein „geknackter“ Wagen auf freier Strecke bei Tempo 180 eine Vollbremsung hinlegen würde? Wenn Autodiebe den Wagen wie ein zu groß geratenes Modellauto fern­ge­steuert auf einen Transpor­ter rollen lassen würden? Dass derlei Risiken nicht bloß ins Reich techno­logischer Fantasie gehören, haben Hacker bereits experimentell demonstriert und pub­lik ge­macht. Ihren eigenen Worten nach waren sie selbst verblüfft, welche Optionen ihnen offen­standen: „Kaum noch ein neues Modell, das nicht die Möglichkeit bietet, es als mobilen WLAN-Hotspot zu nutzen oder Tele­fone und Computer mit ihm zu verbinden, um deren Funktionen über das Info­tain­ment­system des Autos bedienen zu können.“[14] Wer wollte ernst­haft garantieren, dass Hacker nicht mit den sich entwickelnden technologischen und legis­la­tiven Maßnahmen gegen das Hacken Schritt halten werden?

Zur Sicherheitsproblematik zählt außerdem der Umstand, dass High-tech-Kraftfahrzeuge vol­ler Elek­tro­nik sind. Es gibt Berichte über das Versagen durch Interferenzen mit Funk-Stör­quellen unter­schied­licher Art: Nicht nur in Tunneln droht solche Gefahr, auch die Funk­tions­fähigkeit von mit Elektronik voll­gestopften PKW ist eben nicht nur sicher, sondern immer auch ein Stück weit unsicher! In Neuhausen/Enzkreis wird derzeit ein Labor geplant, das her­ausfinden soll, ob nicht ein Gerät mit seinen elektromagnetischen Wellen einem anderen in die Quere kommen oder ob es nach außen hin stören könnte: „Jedes Auto steckt voller Elek­tronik, und man muss prüfen, wie sich ein Teil auf den anderen auswirkt“, erklärt dazu Dirk Moser-Delarami vom TÜV Süd[15].

Elektrosmog im Fahrzeug

Stichwort „elektromagnetische Wellen“: Haben die heute bereits gängigen Assis­tenz- und Vernetzungssysteme im Wagen, die mit den er­möglichten Be­quemlichkeiten auf ihre Weise „digi­tale Demenz“ (Man­fred Spitzer) fördern könnten, ihren gesundheitlichen Preis nicht zu­letzt wegen der damit ver­bundenen Strahlen­belastung? Die Frage nach der bio­logischen Ver­träglich­keit drängt sich deutlicher auf, als es Herstellern, Betreibern, Verkäufern, aber auch dem Käuferkreis lieb sein mag. Ver­lan­gt nicht namentlich das per­ma­nente Versetzen autono­mer Autos in lauter E-Smog-Wolken von Mobil- und Kommu­ni­kations­funk sowie Radar doch nach intensiveren gesund­heitspolitischen und ärztli­chen Debat­ten? Dabei ergeben sich aus der anhal­tenden Mobil­funk-Dis­kussion[16] viele offene Fragen. Wenn es um stetes Er­fassen be­weg­ter Objekte und die Weiter­lei­tung entsprechender So­fort-In­formationen geht, sind Funk­sys­teme gewiss unver­zichtbar. Schier „grenzenlos“ hohe Grenz­wertbe­stim­mungen[17] machen da ungefähr alles mög­lich – auch den umstrittenen, weil hinsichtlich seiner biologischen Effekte noch gar nicht hinreichend er­forschten 5G-Mobilfunk. Für den Verkehrs­teil­nehmer der künf­tigen „Gigabit-Gesellschaft“ dürfte es Bedin­gung sein, dass er hinsichtlich des E-Smogs mög­lichst keine Vor­sorge-Fragen stellt. Und dass er nicht etwa zur Min­derheit der Elektro­sensi­blen[18] gehört oder „hoch­sensible“ Geräte wie etwa Herz­schritt­macher an oder in sich trägt. Der Dach­verband für Bürger und Initia­ti­ven zum Schutz vor Elektro­smog namens Bürger­welle aber hat schon vor Jahren gewarnt: „Mit der digita­len Ver­netzung des Autos be­ginnt eine im anvi­sierten Endzustand massive Mehrbe­las­tung durch Funk­wellen. Es ist eine Mehr­belastung nicht nur der Fahr­zeug­insassen, son­dern auch großer Teile der Be­völkerung durch die Mobil­funksen­de­mas­ten.“[19]

Für die Personen im Fahrgastraum sollten die Immissionswerte eigentlich mini­mal sein, sonst könnten Aufmerksamkeit und Gesundheit leiden. Dass mit den entsprechen­den Risi­ken nicht zu spielen ist, zeigte bereits ein Beitrag der RTL-Fernsehsendung „Explosiv“ vom 28. Okto­ber 2017 über ein wissenschaftliches Experiment mit einem Arzt als Fahrer eines elektronisch bestens ausgestatteten Pkws, überwacht durch Professor Wolfgang Schöllhorn vom Institut für Sport­wissenschaft der Universität Mainz. Bei dem gründlich durchgeführten Versuch kam es zu einer überra­schend großflächigen Aktivierung über ungefähr alle Hirn­areale hinweg, insbe­son­dere unter WLAN-Strahlung. Die zunehmende E-Smog-Belastung des untersuchten Ge­hirns löste Symp­­tome aus, die norma­lerweise nur unter hohem Stress vor­kommen und sich dann auch aufs Herz auswirken können. Stärkere Abge­schla­genheit, Müdig­keit und man­gelnde Konzentrations­fähigkeit gel­ten als Folgen sol­cher Zu­stän­de. Schöllhorn beschloss auf Grund dieser Resultate jedenfalls, die Weltge­sundheits­organisation (WHO) zu alarmieren[20].

Bei einem zweiten Versuch eine Woche später zeigte sich, dass das im Auto durch allerlei Strah­lung erzeugte magnetische Wech­selfeld um ein Mehrfaches über der Grenze lag, ab der Krebsgefahr aufkommt. Die Testperson nahm sich vor, künftig ohne ein­ge­schaltetes WLAN zu fahren. Ein Jahr später hat eine große Überblicksstudie zu WLAN den Ver­dacht auf Gesundheits­schäd­lichkeit untermauert: Unter der Überschrift „Biologische und patho­logi­sche Wirkungen der Strahlung von 2,45 GHz auf Zellen, Kognition und Ver­halten“ ist sie in der Zeitschrift um­welt – medizin – gesellschaft (1/2018) erschienen. Indes – zwingt die her­auf­ziehende Technokratie nicht immer mehr zum Funken?

Über die Verträglichkeit speziell von Radar[21] lässt sich bekanntlich streiten. Verbreiteten Ver­harm­lo­sungen steht die An­sicht gegen­über, eine Dauer­be­strah­lung durch Radar greife die Ge­sundheit an und könne Krebs erzeugen[22]. Das bedeutet: Von einer zweifelsfreien biologisch-medizinischen Risikolosigkeit kann schwerlich die Rede sein. Beispielsweise sprach Reiner Gebbensleben in der Bayerischen Staatszeitung (25/2013) von einer „die Gesundheit be­ein­trächtigenden Abstrahlung von digi­taler Leis­tungs­elektronik (Radar­anlagen, Mobilfunkan­la­gen u.a.)“. Im Kontext des Auto- und Straßenverkehrs geht es nicht nur um radargestützte Brems­assistenten oder um einen Strahlengürtel rund ums Auto, son­dern um noch weit mehr. So arbeiten einige Firmen seit 2015 an einer radar­basierten Er­fas­sung auto­matisierter Kraft­fahrzeuge. Diese sollen mittels einer soge­nann­ten „Radar Road Sig­nature“ jederzeit um ihren jeweiligen Stand­ort wissen. Das Ge­samtsystem setzt die Infor­ma­tion über die aktuelle Fahr­zeug­um­gebung aus Milliarden einzel­ner Radar-Reflex­punkte zu­sammen, die entstehen, so­bald Radar­signale etwa auf Verkehrs­schilder oder Leit­planken tref­fen – wetterunabhängig bis zu über 200 Meter weit! Mehreren Radar­sen­so­ren pro Wagen ent­spricht damit eine häufige, wo­mög­lich nahezu permanente Radar-Ex­posi­tion all derer, die künftig auf unseren Straßen unterwegs sein werden oder an vielbefahrenen Straßen wohnen. Autonomes Fahren stellt nicht zuletzt deshalb für viele Menschen eine „Hor­rorvision“ dar. Armin Grunwald unter­streicht: „Ob und inwieweit Menschen sich, und das heißt im Ernstfall auch ihr Leben und ihre Gesundheit, autonomen Fahrzeugen anvertrauen werden, ist eine offene Frage.“

Hinzu kommt übrigens die prekäre Problematik der niederfrequenten Strahlung von Lade­boxen für E-Autos im direkten Umfeld von Privathäusern[23]. Mit der Inbetriebnahme einer sol­chen Ladestation in Schlafzimmer-Nähe sollen bei einem Kunden-Ehepaar massive gesund­heitliche Beeinträchtigungen aufgetreten sein – Schlafstörungen, Herzrasen, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Erschöpfungszustände… Auch Bekannte, die in der Woh­nung zu Besuch waren, sollen ein Unwohlsein verspürt haben. Erst nach dem Abklemmen eines zentralen Verbindungskabels trat wieder das normale Befinden ein. Dass dies ein Ein­zelfall sein könnte, lässt sich nicht ausschließen, dürfte aber als unwahrscheinlich gelten.

Utopie als Einbahnstraße?

Selbst wenn die Schädigung biologischer Systeme durch elektromagnetische Felder noch nicht im enge­ren Sinn „bewiesen“ und anerkannt ist, gebietet die umweltpolitisch verlangte Vorsorge jedenfalls Sorgfalt und Vorsicht an­gesichts der umstrittenen Strahlung. Zwar gibt es technische Bestrebungen, elek­tri­sche Fel­der im supermodernen Auto zu redu­zieren oder abzu­schirmen. Doch das ist teuer und keineswegs einfach. Mitt­lerweile arbeitet die Auto­in­dus­trie an wei­teren Unter­su­chungen zur biologischen Verträglich­keit ihrer High-Tech-Autos. Doch dass un­gefähr das ge­samte Ver­kehrssystem mit Funk- und Radar­wellen überzogen wer­den soll, ist ein Schlag ins Gesicht aller ernsthaften Vor­sorge-Ethik. Bedeutet es nicht ein gi­gan­tisches Experiment mit der Ge­sundheit unge­zähl­ter Men­schen – von den ungezählten Bäu­men ganz zu schweigen, die auch unter Mobilfunk-Strahlung leiden können[24]? Was nutzt am Ende eine eventuell ge­stiegene Ver­kehrs­si­cherheit, wenn dafür immer mehr Verkehrs­teil­neh­mer schmerz- und krebsgefährdet oder, sofern sie zur Minderheit der Elek­tro­sensiblen ge­hö­ren, mehr oder weniger von der Teilnahme am Straßen­ver­kehr ausge­schlos­sen sein werden?

Der Journalist Götz Hamann prophezeite schon 2011: Was die Netzge­sellschaft be­trifft, „lie­gen Utopie und Apokalypse total eng bei­sam­men.“ Gilt das nicht auch gerade mit Blick auf die Rundum-Digitalisierung und ‑Elektrifizierung des Auto­ver­kehrs? Wer bejaht all die ge­nannten Risiken[25] in vollem Verantwortungsbewusstsein? Früher wusste man noch um den ethischen Grundsatz: Der Mensch darf nicht alles, was er kann. Er gilt aber im Grunde auch heute – insbesondere für die weiten Felder der fortschrei­ten­den atomaren, molekular­bio­logischen und digitalen Technologien. Schließlich betreffen sie alle das Schicksal der Mensch­heit insgesamt und erfordern deshalb intensive Vorsorge und Technikfolgen­ab­schät­zung. Doch offenbar korrumpieren insbe­son­de­re wirtschaft­li­che Gewinnaussichten immer wieder die Vernunft und das Gewissen. Verlernt es der gesunde Menschenverstand im Zuge der Digitali­sie­rung, komplexe, längerfristig zu be­denkende Sach­verhalte gründlich, ja weis­heitlich abzu­wägen? Wird die Ideologie des Trans­humanismus[26] – nicht zuletzt aufgrund finanzieller bzw. lobbyistischer Interessen – politisch einfach geschickt durch- und umgesetzt, wobei die Be­völkerung durch sug­gestives Nudging und raffiniert steuernde Ge­setzgebung „mitgenommen“ und weiter infantilisiert wird? Wohin führen die Wege der digita­len Trans­formation auf die Dauer? Fährt man wirklich gut auf und mit ihnen?

Aufs auto­nome Fahren bezogen, hat Armin Grunwald zwar betont: „Sorgen und Fra­gen müs­sen ernst ge­nommen werden und dürfen nicht a priori als irrational vom Tisch ge­wischt werden.“ Doch für eine im Prinzip mögliche Umkehr dürfte es faktisch längst zu spät sein; dafür ist der Gesetzgebungsprozess schon zu weit fortgeschritten. Ob sich solcher Fortschritt nicht nur als Ein­bahnstraße, sondern als Sackgasse erweisen wird?

[4] Vgl. Werner Thiede: Cloud frisst Erde. Die Illusion einer umweltverträglichen Digitalisierung, in: Salzkorn 4/2020, 34-36 (www.ojc.de/salzkorn/2020/oekologie-schoepfungstheologie-hoffnung/digitalisierung-cloud-umweltvertraeglich/).

[8] Interview in: Zeit Wissen Nr. 3/2013, 93.

[9] Christian Rauch: Fahrer? Überflüssig!, in: Münchner Merkur Nr. 196 vom 25.8.2012, 15.

[10] Vgl. Shoshana Zuboff: Zuboff: Das Zeitalter des Überwachungskapi­talismus, Frankfurt 2018; fer­ner Timo Daum: Das Auto im digitalen Kapitalismus. Wenn Algorithmen und Daten den Verkehr bestimmen, 2020.

[12] Byung-Chul Han: Im digitalen Panoptikum, in: Der Spiegel 2/2014, 106.

[13] www.adac.de/rund-ums-fahrzeug/ausstattung-technik-zubehoer/autonomes-fahren/recht/autonomes-fahren-hacker-angriff/. Die Hersteller neigen „zu einer vor allem wirtschaftlichen Abwägung darüber, wie viel digitale Sicherheit sie ins Auto einbauen. Und die fällt nach Expertenmeinung immer wieder zu Ungunsten der Sicherheit aus“, heißt es ebd.

[14] Thomas Harloff: Der Fahrer ist machtlos, in: Süddeutsche Zeitung, 22.7.2015 (www.sueddeutsche.de/auto/auto-aus-der-ferne-gehackt-der-fahrer-ist-machtlos-1.2577174-2).

[15] Laut Pforzheimer Zeitung vom 29.1.2022, 26.

[16] Hier sei nur pauschal auf das reichhaltige Portal der Verbraucher-Organisation „Diagnose:Funk“ (www.diagnose-funk.org/), auf die Europäische 5G-Bürgerinitiative (signstop5g.eu/sv/supporters/bardocz) sowie auf mein Buch „Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlenden Vernunft“ verwiesen – und an meine DWN-Artikel vom 6.6. und 4.7.2021 erinnert.

[17] Dazu z.B. K. Hecht u.a. (Hg.): Warum Grenzwerte schädigen, nicht schützen – aber aufrecht­er­halten werden. Beweise eines wissenschaftlichen und politischen Skandals, St. Ingbert 2009.

[21] Der Begriff kürzt ab: Radio Detection and Ran­ging und meint die Erfassung und Lokalisierung von Objekten mittels Radio­wel­len. Zum Aspekt des Elektrosmogs bei Radar siehe www.ralf-woelfle.de/elektrosmog/redir.htm?www.ralf-woelfle.de/elektrosmog/technik/radar.htm

[22] Der promovierte Physiker Stefan Spaarmann erklärte mir brieflich, Radar sei eines der gefährlichsten Funkverfahren und Technikwahn, da hier kurze Impulse und niedrige Taktraten verwendet würden: „Nied­rige Taktraten bedeuten eine Synchronisation von Gehirnwellen, also einen Eingriff ins Kommuni­kations­sys­tem des Körpers“ (2013).

[23] Z.B. easee.com/de/zuhause-laden/. Die Information verdanke ich einem Baubiologen.

[24] Vgl. z.B. Werner Thiede: Baumschäden durch Mobilfunk-Strahlung. Forscher entdecken Beunruhigendes, in: Bayerische Staatszeitung Nr. 14 (7.4.2017), 18.

[26] Vgl. Werner Thiede: Mensch, Maschine und Gott. Zur Transhumanismus-Debatte (deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/516120/Transhumanismus-Mensch-Maschine-Gott)

Dr. theol. habil. Werner Thiede ist außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Er­lan­gen-Nürnberg, Pfarrer i.R. und Publizist (www.werner-thiede.de). Zuletzt erschien von ihm „Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage“ (2. Auflage, Berlin 2022); im Druck befindet sich das Büchlein „Himmlisch wohnen. Auferstanden zu neuem Leben“ (Leipzig 2023).


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