Die EU-Kommission treibt im Streit um den polnischen Rechtsstaat ein Verfahren gegen Warschau voran. Wie die Brüsseler Behörde am Freitag mitteilte, leitete sie den nächsten Schritt in einem sogenannten Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Polen hat nun zwei Monate Zeit, auf die Stellungnahme aus Brüssel zu reagieren und die Bedenken auszuräumen.
Andernfalls könnte die Kommission das Land vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen. Die Folge könnten finanzielle Sanktionen sein. Die Kommission ist als Hüterin der EU-Verträge dafür zuständig, zu überwachen, dass die Staaten sich an das EU-Recht halten.
Bei anderen Ländern und Bereichen schauen die Kommissare allerdings nicht so genau hin - etwa im Finanzmarkt. Dort hält sich inzwischen niemand mehr an irgendwelche Regeln, wie die französische Regierung neulich verkündete:
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Hintergrund der Entscheidung vom Freitag sind mehrere Urteile des polnischen Verfassungsgerichts, die nach Ansicht der EU-Kommission unter anderem gegen den Vorrang des EU-Rechts verstoßen sowie gegen die bindende Wirkung von EuGH-Urteilen. Zudem äußerte die Behörde erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Verfassungsgerichts.
Es geht unter anderem um ein Urteil des Verfassungsgerichts von Anfang Oktober 2021, wonach Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind. Dies stellt einen Eckpfeiler der europäischen Rechtsgemeinschaft in Frage, dass EU-Recht über nationalem Recht steht. Bereits im Juli 2021 hatte das polnische Gericht entschieden, dass die Anwendung einstweiliger EuGH-Verfügungen, die sich auf das Gerichtssystem des Landes beziehen, nicht mit Polens Verfassung vereinbar seien.
Klage auch gegen Ungarn
Die EU-Kommission verklagt zudem Ungarn wegen mutmaßlicher Verstöße gegen EU-Recht gleich zwei Mal vor dem Europäischen Gerichtshof. Dabei geht es zum einen um ein Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität, wie die Behörde am Freitag in Brüssel mitteilte. Der andere Fall betrifft das Vorgehen der ungarischen Behörden gegen den unabhängigen Radiosender Klubradio.
Das Gesetz trat im Juli 2021 in Kraft. Es verbietet Publikationen, die Kindern zugänglich sind und nicht-heterosexuelle Beziehungen darstellen. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil einer Normalität erscheinen. Orban selbst wies jede Kritik an den neuen Regeln zurück - und behauptete, er verteidige vielmehr die Rechte von Homosexuellen.
Die EU-Kommission ist jedoch vielmehr der Ansicht, dass das Gesetz unter anderem Minderheiten auf Grundlage ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität diskriminiert sowie gegen Grundrechte und EU-Werte verstößt. Deshalb leitete die Behörde vor genau einem Jahr ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Budapest räumte die Bedenken derweil jedoch nicht aus.
Gleiches gilt für das Vorgehen gegen das Klubradio. Der Sender musste im Februar 2021 den UKW-Sendebetrieb einstellen, weil die regierungsabhängige Medienbehörde die Sendelizenz nicht verlängert hatte. Seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Orban 2010 war der private Sender regelmäßig Repressionen seitens der Medienbehörde ausgesetzt. Unter anderen durfte er vor dem Lizenz-Entzug nur noch im Großraum Budapest senden. Derzeit verbreitet das Klubradio sein Programm nur noch über das Internet - allerdings mit deutlich geringerer Reichweite.
Die EU-Kommission begründete die EuGH-Klage am Freitag damit, dass Ungarn die Regeln zur Verlängerung der Sendefrequenz in einer unangemessenen und diskriminierenden Weise angewendet habe.