Der deutsche Strom- und Energiekonzern RWE liefert amerikanisches Erdgas über Spanien nach Marokko. Die Geschäftsbeziehung ist vollkommen legal, stößt aber vor dem Hintergrund des Gas-Mangels in Europa auf Kritik.
Wie die Wirtschaftswoche Ende Juli berichtete, kauft RWE demnach amerikanisches Flüssiggas in den Häfen Spaniens und Portugals ein, regasifiziert es in Spanien und schickt es mithilfe einer Pipeline über die Meerenge von Gibraltar nach Marokko.
Geopolitisches Minenfeld
Die Lieferungen haben in Europa angesichts der angespannten Situation auf dem Gasmarkt für Kritik gesorgt. Insbesondere spanische Medien halten sich mit Berichten nicht zurück. RWE sichere dem marokkanischen Königshaus einen „Luxus, den die europäischen Bürger nicht genießen können“, zitiert die Wirtschaftswoche beispielsweise die Zeitung Merca2 mit Blick auf extreme Preissteigerungen für Haushalte und drohende Energie-Engpässe im anstehenden Winter.
Der Liefervertrag, der aus Sicht Deutschlands ärgerlich aber legal ist, beinhaltet jedoch auch eine geopolitische Dimension, die einige Risiken für die Europäer bereithält.
Grund für Marokkos Nachfrage nach Gas aus Europa ist eine Auseinandersetzung mit dem Nachbarn Algerien um die umstrittene Region Westsahara südlich von Marokko. Dort kämpften Rebellen jahrzehntelang gegen marokkanische Streitkräfte für einen eigenen Staat. Unterstützt wurden und werden sie von Algerien – und bislang auch von Spanien.
Doch vor wenigen Monaten vollzog die Regierung in Madrid plötzlich eine Kehrtwende und gab ihren langjährigen Widerstand gegen die Politik Marokkos in der Westsahara auf – sehr zum Ärger von Algerien. Marokko, so offenbar die Hoffnung der grünen Planer in Brüssel und Madrid, soll in Zukunft in riesigem Umfang Strom aus Solaranlagen und Windkraft produzieren, der wiederum zur Herstellung von „grünem Wasserstoff“ genutzt werde.
Algier reagierte, indem es den wirtschaftlichen Einfluss seines riesigen, mit Gasvorkommen gesegneten Staatsgebiets, einsetzte: sämtliche Gaslieferungen nach Marokko und Spanien über die „Maghreb-Europa-Pipeline“ wurden eingestellt. Der Durchfluss in der „Medgaz-Pipeline“, die Algerien unter Umgehung von marokkanischem Territorium direkt mit Spanien verbindet, wurde gedrosselt.
Nun sitzen also sowohl Marokko als auch Spanien auf dem Trockenen. Die politische Krise im Verhältnis zu Algier kann Madrid teuer zu stehen kommen. Immerhin fast ein Viertel des spanischen Bedarfs steuerten die Algerier in der Vergangenheit bei. Dass die „Maghreb-Europa-Pipeline“ nun unbenutzt ist, bietet RWE wiederum überhaupt erst die Möglichkeit, Gas nach Marokko zu verkaufen.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der offiziell geäußerte Wunsch Algeriens, dem Staaten-Format BRICS beizutreten.
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„Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die spanischen Sozialdemokraten gegen alle Parteien im Land auf das falsche Pferd gesetzt haben, als sich die Regierung im Frühjahr auf die Seite Marokkos in der Westsahara-Frage geschlagen hat. Berichtet wurde an dieser Stelle aber auch, dass man im grünen Baerbock-Außenministerium ebenfalls ‚völkerrechtliche Prinzipien‘ für eine dubiose grüne Wasserstoff-Strategie billig verkauft und dafür die Gasversorgung noch stärker aufs Spiel setzt“, kommentiert das Portal Heise die verfahrene Situation.
Der politische Schwenk Spaniens auf die Seite Marokkos hat laut Heise noch mehr pikante Hintergründe zu bieten. So soll Marokko Spaniens Ministerpräsidenten Pedro Sánchez mit der Spionagesoftware Pegasus abgehört haben. Bekannt ist aus der Vergangenheit, dass das nordafrikanische Land die EU faktisch mit Migranten zu erpressen versuchte. Und nicht zuletzt habe „Brüssel den marokkanischen Behörden 2019 Überwachungstechnologie zur Verfügung (gestellt), die den Zugriff auf sichergestellte Telefone ermöglicht.“ Journalisten und Aktivisten hätten daraufhin unter „Schikanen durch die Behörden“ gelitten.
„Haben nicht über unsere Verhältnisse gelebt“
Als sei die Situation nicht schon verworren genug, überzog die spanische Regierung die Bundesregierung zuletzt mit beißender Kritik. Die Forderungen aus Berlin, doch bitte im anstehenden Krisenwinter „solidarisch“ zu sein und rund 15 Prozent des eigenen Gasbedarfs einzusparen, um es notfalls nach Mitteleuropa zu pumpen, wurde brüsk zurückgewiesen.
„Wir können doch keine Opfer bringen, zu denen wir nicht gefragt worden sind“, wurde Umweltministerin Ribera von Medien zitiert. Im Gegensatz zu anderen Ländern, so die Ministerin, „haben wir Spanier in Sachen Energieverbrauch nicht über unsere Verhältnisse gelebt“ – ein eindeutiger Verweis auf Deutschland und dessen im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland in Schieflage geratene Energiewende.
Fulminante Kehrtwende
Inzwischen hat die sozialistische Regierung auch in dieser Frage eine fulminante Kehrtwende hingelegt und Anfang August „dringende Maßnahmen“ zur Einsparung und zur effizienteren Nutzung von Energie beschlossen. Die konservative Opposition kündigte allerdings schon wenige Stunden nach der Bekanntgabe Widerstand an. Als erste reagierte mit einer Boykottansage die einflussreiche Regierungschefin der Autonomen Gemeinschaft Madrid, Isabel Díaz Ayuso. Sie verkündete, ihre Region werde die Maßnahmen nicht befolgen. Ministerpräsident Pedro Sánchez entgegnete, in Spanien müsse das Gesetz respektiert werden.
Die Maßnahmen, die auch von Unternehmerverbänden kritisiert wurden, waren auf einer Kabinettssitzung beschlossen worden. Demnach dürfen alle Einrichtungen des öffentlichen Sektors, aber auch Kaufhäuser, Kinos, Arbeitsstätten, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre Räumlichkeiten künftig im Sommer auf nicht weniger als 27 Grad abkühlen und im Winter auf höchstens 19 Grad beheizen.
Die Beschlüsse des königlichen Dekrets müssen nach Regierungsangaben spätestens nach einer einwöchigen „Anpassungsperiode“ nach Veröffentlichung im Amtsblatt umgesetzt werden. Sie sollen bis zum 1. November 2023 in Kraft bleiben. Es handele sich um ein erstes Maßnahmenpaket, das in einer „kritischen Lage“ nötig sei. Europa benötige die Hilfe Spaniens. „Es ist an der Zeit, solidarisch zu sein“, betonte die bereits erwähnte Teresa Ribera nun.
Neben anderen Maßnahmen müssen Läden und Betriebe mit automatischen Systemen, die bis zum 30. September installiert sein müssen, ihre Türen geschlossen halten, um je nach Jahreszeit das Entweichen von Wärme oder kühler Luft zu vermeiden. Die Beleuchtung von nicht benutzen Büros, von Schaufenstern und Denkmälern muss außerdem nach 22 Uhr ausgeschaltet werden. Überprüfungen der Energieeffizienz von bestimmten Gebäuden sollen vorgezogen werden. Die Privatwirtschaft rief Ribera dazu auf, das Arbeiten im Homeoffice zu verstärken.
Mit diesen und mit weiteren Maßnahmen, die nach der Sommerpause beschlossen werden sollen, will die spanische Regierung die vom Land im Rahmen des in der vorigen Wochen vereinbarten europäischen Notfallplans eingegangenen Verpflichtungen einhalten. Spanien soll den Gaskonsum um „sieben bis acht“ Prozent reduzieren. Die Regierung von Sánchez hatte sich wie andere dem Notfallplan zunächst widersetzt, das Vorhaben nach Zugeständnissen aber am Ende gebilligt.