Politik

Geldpolitik der EZB mitverantwortlich für Rechtsruck in Italien

Das neue Instrument der Europäischen Zentralbank TPI setzt gefährliche Anreize. Es verschafft euro-kritischen Parteien einen klaren Vorteil im Wahlkampf.
Autor
27.09.2022 11:20
Aktualisiert: 27.09.2022 11:20
Lesezeit: 3 min

Im März hat die Europäische Zentralbank ihr PEPP-Programm auslaufen lassen, mit dem die Notenbank vor dem Hintergrund der Corona-Krise Wertpapiere im Umfang von insgesamt 1,85 Billionen Euro gekauft hat.

Das Ausmaß dieses Programms war durchaus extrem. Denn die Summe von 1,85 Billionen Euro, welche die Notenbank nur dafür gedruckt hat, entspricht etwa der Hälfte des deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Doch auch nach dem Ende von PEPP kauft die EZB weiterhin im großen Stil Staatsanleihen von Italien, Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern der Eurozone, wozu sie die Erlöse aus dem Corona-Anleihekaufprogramm PEPP nutzt.

Denn die Notenbank verfolgt das erklärte Ziel, die Risikoaufschläge (Spreads) auf diese Anleihen zu begrenzen. Dieses Vorgehen geht zu Lasten der Nordländer, also etwa von Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.

Doch die PEPP-Reinvestionen könnten zu wenig sein, um die Südländer über Wasser zu halten. Daher hat die EZB im Juli, als sie erstmals seit 2011 den Leitzins anhob, zugleich ein neues Transmissionsschutzinstrument (TPI, Transmission Protection Instrument) eingeführt.

Wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, kann das Instrument aktiviert werden, um einer „ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamik entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Übertragung der Geldpolitik auf den Euro darstellt“.

Das Transmissionsschutzinstrument verspricht also eine unbegrenzte Stützung des Euros. Doch zugleich birgt es die Gefahr, eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik in der Eurozone zu untergraben.

Denn das Instrument könnte von Italien, Griechenland und anderen hoch verschuldeten Ländern so verstanden werden, dass sie freie Hand haben, die von der EZB niedrig gehaltenen Zinsen zum weiteren Schuldenaufbau zu nutzen.

Um diesem Problem entgegenzuwirken hat die Europäische Zentralbank vier Kriterien genannt, die ein Land der Eurozone erfüllen muss, um für das neue Instrument in Frage zu kommen:

  • die Einhaltung des finanzpolitischen Rahmens der EU,
  • keine schwerwiegenden makroökonomischen Ungleichgewichte
  • eine tragfähige Verschuldung gemäß der Analyse mehrerer Institutionen und
  • die Einhaltung anderer EU-Empfehlungen.

In der Praxis sei der erste Punkt „ausgesetzt“, schreibt der Ökonom Luis Garicano in der Financial Times. Zudem seien auch der zweite und der dritte Punkt „nicht wirksam“, da sie der Europäischen Kommission einen großen Ermessensspielraum lassen.

Auch der dritte Punkt sein „kein wirkliches Hinernis“, so Garicano. Denn die Kommission habe bereits allen Ländern in ihren Konjunkturprogrammen freie Hand gelassen (abgesehen von Ungarn und Polen, mit denen es politische Konflikte gibt).

Darüber hinaus muss die Europäische die vier von ihr vorgegebenen Kriterien lediglich als eine "Anregung" berücksichtigen. Selbst wenn ein Staat der Eurozone eindeutig gegen ein Kriterium verstößt, bedeutet dies letztlich gar nichts.

Damit hat sich die EZB selbst „in eine unmögliche Lage gebracht“, so Garicano. Sie habe alle wünschenswerten Marktsignale und Anreize abgeschwächt, ohne sie dann zumindest durch glaubwürdige Forderungen an die Staaten zu ersetzen.

Die EZB wird die vier von ihr genannten Kriterien letztlich nicht durchsetzen können. Denn damit würde sie die unterstützten Staaten in eine Haushaltskrise stürzen und einen Schuldenschnitt notwendig machen. Daher wird sie die Unterstützung fortsetzen.

„Es ist kein Wunder, dass rechte Parteien in Italien die Regierung von Mario Draghi genau in dem Moment zu Fall brachten, als sie wussten, dass die EZB die Rückendeckung für Anleihegläubiger ankündigen würde“, schreibt Garicano.

Die Anreize für die neue Regierung, einen verantwortungsvollen Kurs zu wählen, sind gering. Garicano hält es für wahrscheinlicher, dass die neue italienische Regierung die Steuern senkt, die Renten erhöht und ungezielte Energiehilfen anbietet.

Denn die neue Regierung Italiens kann zu Recht darauf setzen, dass die EZB keine andere Wahl haben wird, als das Transmissionsschutzinstrument zu aktivieren und weiterhin italienische Staatsanleihen zu kaufen.

Garicano zufolge schafft das TPI einen „gefährlichen Mangel an Transparenz für die Wähler“. Wenn eine in den Umfragen führende Koalition ein Land wahrscheinlich gefährden wird, sollten die Wähler auch sehen, wie sich dies negativ auf den Märkten widerspiegelt.

„Solange sich die Eurozone nicht in Richtung einer echten Fiskal- und Bankenunion bewegt, wird sich zeigen, dass die derzeitige Konstruktion des Euro nicht nachhaltig ist“, sagt Garicano und warnt vor dem kommenden Winter.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik Trumps US-Sicherheitsstrategie und die Folgen für Europa
05.12.2025

Donald Trumps neue US-Sicherheitsstrategie rückt Europa ins Zentrum – allerdings als Risiko. Das 33-seitige Papier attackiert...

DWN
Finanzen
Finanzen DAX-Kurs schließt über 24.000 Punkten: Erholung geht am Freitag weiter
05.12.2025

Der deutsche Aktienmarkt legt zum Wochenschluss spürbar zu und der Dax überschreitet eine wichtige Schwelle. Doch der Blick richtet sich...

DWN
Politik
Politik Putin in Indien: Strategische Unabhängigkeit in der neuen Weltordnung
05.12.2025

Indien empfängt den russischen Präsidenten mit allen protokollarischen Ehren und stellt damit gängige westliche Erwartungen an globale...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Handwerkskunst aus Deutschland: Pariser Luxus-Modehäuser vertrauen auf die Stickerei Müller
05.12.2025

Die Stickerei Müller aus Franken fertigt für große Modehäuser wie Balenciaga und Yves Saint Laurent. Auf schwierige Jahre nach der...

DWN
Politik
Politik Rentenpaket im Bundestag: Folgen für Rentner und Beitragszahler
05.12.2025

Der Bundestag hat das Rentenpaket mit knapper, aber eigener Mehrheit durchgesetzt und eine Koalitionskrise verhindert. Doch hinter den...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Auftragseingang in der deutschen Industrie steigt unerwartet kräftig
05.12.2025

Unerwartet starke Impulse aus der deutschen Industrie: Die Bestellungen im Verarbeitenden Gewerbe ziehen an und übertreffen Prognosen...

DWN
Finanzen
Finanzen Rheinmetall-Aktie stabil: Analystenkommentar von Bank of America bewegt Rüstungsaktien
05.12.2025

Am Freitag geraten deutsche Rüstungsaktien in Bewegung: Ein US-Großbank-Analyst sortiert seine Favoriten neu. Welche Titel profitieren,...

DWN
Politik
Politik Neuer Wehrdienst: So soll das Modell ab 2026 greifen
05.12.2025

Ab 1. Januar soll der neue Wehrdienst starten: mit Pflicht-Musterung, frischer Wehrerfassung und ehrgeizigen Truppenzielen. Die Regierung...