Präsident Wladimir Putin hat den Anschluss von Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson an die Russische Föderation verkündet. „Es gibt vier neue Regionen in Russland“, sagte Putin am Freitag bei einer Rede in Moskau. Er forderte die Ukraine auf, umgehend jegliche militärischen Handlungen einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Die ukrainischen Truppen kamen unterdessen bei ihrer Gegenoffensive in der Region Donezk voran, wie der von Russland eingesetzte Statthalter berichtete. In der strategisch wichtigen Stadt Lyman drohte den russischen Streitkräften eine erneute empfindliche Niederlage, welche die Feierlichkeiten in Moskau zum Anschluss von etwa 15 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes überschatten würden.
Putin griff in seiner Rede den Westen erneut scharf an und warf den USA vor, für die Sabotage-Akte gegen die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee verantwortlich zu sein. Der Westen führe einen hybriden Krieg gegen Russland, dessen Entwicklung und Kultur als Bedrohung angesehen werde. Die westlichen Eliten seien immer noch das, was sie immer waren - Kolonialisten. Russland aber werde seine Werte und Vaterland verteidigen.
„Die Wahrheit steht hinter uns, Russland steht hinter uns“, endete Putin seine Rede. Im Anschluss unterzeichnete er die Dokumente zur Aufnahme der vier ukrainischen Gebiete. Der Schritt folgt auf die vom Westen und der Regierung in Kiew als „Scheinrefenden“ verurteilten Abstimmungen in den vier ukrainischen Gebieten, in denen sich eine überwiegende Mehrheit der Menschen für einen Beitritt zu Russland ausgesprochen habe.
Russlands Statthalter in Donezk, Denis Puschilin, sagte mit Blick auf den Anschluss, die ukrainische Armee „versucht um jeden Preis, uns dieses historische Ereignis zu verderben“. Zur Lage in Lyman sagte er: „Das sind sehr unangenehme Nachrichten, aber wir müssen die Situation nüchtern betrachten und Schlüsse aus unseren Fehlern ziehen.“
Russland nahm Lyman, wo vor Ausbruch des Kriegs etwa 20.000 Menschen lebten, im Mai ein. Sollte die Stadt wieder an die Ukraine fallen, wäre der Weg frei bis tief in die übrigen Teile von Donezk, das zusammen mit Luhansk den Donbass bildet. Teile der Gebiete werden bereits seit 2014 von prorussischen Separatisten kontrolliert.
Die Regierung in Kiew äußerte sich am Freitag zunächst nicht zum Kriegsgeschehen in Lyman. Prorussische Blogger berichteten aber, die ukrainischen Truppen hätten Tausende russische Soldaten annähernd eingekesselt und ihnen den Fluchtweg abgeschnitten. Mit Blick auf einen weiteren Vormarsch der ukrainischen Truppen bekräftigte Putin: „Wir werden unser Land mit allen Mitteln verteidigen.“
Bei einem russischen Raketenangriff auf einen Fahrzeugkonvoi am Rande der südukrainischen Stadt Saporischschja gab es nach Angaben der Regionalregierung zahlreiche Tote und Verletzte. „Bisher 23 Tote und 28 Verwundete. Alles Zivilisten“, teilte Gouverneur Olexandr Staruch am Freitag über die Messaging-App Telegram mit.
Ein Reuters-Augenzeuge sah auf dem weitläufigen Gelände eines Automarkts Leichen auf dem Boden und in Fahrzeugen liegen. Ein Raketeneinschlag habe in der Nähe zweier Fahrzeugreihen einen Krater verursacht. Steinbrocken und Granatsplitter trafen Autos und Lieferwagen. Die Fahrzeuge seien bepackt gewesen mit Habseligkeiten, Decken und Koffern.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief Minderheiten in ganz Russland dazu auf, sich der Teilmobilmachung des Kremls zu widersetzen. „Ihr müsst nicht in der Ukraine sterben“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Putin werde weiter versuchen, Menschenleben zu vernichten und niemand sei verpflichtet, an einem schändlichen Krieg teilzunehmen.
Einer Zählung des Senders BBC zufolge sind bislang mindestens 301 Soldaten aus dem mehrheitlich muslimischen Dagestan im Ukraine-Krieg gefallen. Das wäre die höchste Zahl für eine russische Region und mehr als zehn mal die Zahl der Toten aus Moskau, das eine fünfmal größere Bevölkerung aufweist. Eine offizielle Aufschlüsselung der russischen Verluste liegt nicht vor. Bei Protesten in Dagestan gegen die Teilmobilmachung sind in der vergangenen Woche mehr als 100 Menschen festgenommen worden.