Politik

Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis: Regierungsgespräche überraschend verschoben

Die Bundesregierung liegt mit Paris in wichtigen Themenbereichen überkreuz. Jetzt wurden sogar die geplanten Regierungskonsultationen verschoben.
19.10.2022 13:00
Aktualisiert: 19.10.2022 13:15
Lesezeit: 3 min
Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis: Regierungsgespräche überraschend verschoben
Macron und Scholz: im deutsch-französischen Verhältnis gibt es derzeit Spannungen. (Foto: dpa) Foto: Kay Nietfeld

Die für kommende Woche geplanten deutsch-französischen Regierungskonsultationen sind auf Januar verschoben worden. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, sagte am Mittwoch in Berlin, es gebe eine Reihe bilateraler Fragen, in denen die Bundesregierung in enger Abstimmung mit der französischen Seite sei. „Diese Abstimmungen bedürfen noch einiger Zeit“, sagte Hebestreit. „Gemeinsam mit der französischen Seite haben wir das heute so entschieden, dass eine Verlegung um einige Wochen sinnvoll ist.“

Er sei „sehr, sehr zuversichtlich“, dass die Konsultationen dann im Januar gehalten würden, sagte Hebestreit. Es gebe zudem Überlegungen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwoch kommender Woche in Paris mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zusammenkommen werde.

CDU: „Denkbar schlechtes Signal“

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt hat das Verschieben der deutsch-französischen Regierungskonsultationen als „denkbar schlechtes Signal“ kritisiert. „Das wird im Kreml größte Freude auslösen“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Wesensmerkmal einer engen politischen Freundschaft sei, dass unterschiedliche politische Sichtweisen nicht zu Vertagungen, sondern zu mehr Anstrengung und Kompromissbereitschaft führen. „Die bekannten Streitpunkte zeigen, dass Frankreichs Präsident mehr und tiefergehende Kooperation wünscht, Bundeskanzler Olaf Scholz aber dazu wohl nicht bereit ist“, sagte Hardt. Scholz werde in seiner Rede im Bundestag an diesem Donnerstag viel zu erklären haben.

Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass die Regierungskonsultationen auf der Kippe stehen. Grund sei vor allem der Dissens zwischen Berlin und Paris, wie weitreichend die dort zu treffende Verabredungen in Fontainebleau sein sollen, sagten die Insider am Mittwoch.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will weitreichende Vereinbarungen, Kanzler Olaf Scholz dagegen nach Angaben aus Regierungskreisen nicht. Deshalb werde auch über eine Absage nachgedacht, hieß es in Paris. Aber auch innerhalb der Bundesregierung gibt es Debatten, weil etwa Außenministerin Annalena Baerbock - anders als bei den deutsch-spanischen Regierungskonsultationen - nach Angaben aus Regierungskreisen nicht mitreisen wollte.

In französischen Regierungskreisen war schon nach dem Treffen von Macron mit Scholz im Kanzleramt am 3. Oktober Enttäuschung über die Intensität der Zusammenarbeit geäußert worden. Denn während Scholz und der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez - ebenfalls ein Sozialdemokrat - auf dem deutsch-spanischen Regierungstreffen einen umfangreichen bilateralen Aktionsplan verabschiedet hatten, hat die deutsche Seite ähnliches mit Frankreich dieses Mal nicht geplant.

Bei mehreren Themen überkreuz

In Paris habe das Misstrauen geweckt, hieß es. Man habe zudem aufmerksam registriert, dass Scholz in seiner Rede zur Europapolitik in Prag die deutsch-französische Zusammenarbeit quasi nicht erwähnt habe. Irritiert war man in Paris zudem, dass man als engster Partner vom Kanzleramt nicht wie früher vorab von dem 200 Milliarden Euro-Hilfspaket in der Energiekrise informiert worden sei.

Scholz hatte zuletzt ebenso wie Spaniens Regierung kritisiert, dass sich Macron - ein liberaler Pro-Europäer - gegen den Bau einer Gaspipeline von Spanien durch Frankreich nach Deutschland wehrt, die später auch Wasserstoff von der iberischen Halbinsel nach Mitteleuropa bringen soll. Beide Regierungen haben zudem unterschiedliche Vorstellungen über die Zukunft der Atomindustrie. Allerdings waren zugleich erstmals Gaslieferungen von Frankreich nach Deutschland vereinbart worden, während aus Deutschland Strom nach Frankreich geliefert wird.

Macron hatte auch seinen Widerstand gegen die schnellere Heranführung der Westbalkan-Staaten an die EU aufgegeben, auf die Scholz energisch pocht. In der Bundesregierung war mehrfach in den vergangenen Wochen betont worden, dass der russische Angriff auf die Ukraine beide Regierung noch enger habe zusammenrücken lassen. Das wird in Paris offenbar derzeit anders gesehen.

Zugleich hakt es bei den gemeinsamen Rüstungsprojekten wie einem Kampfpanzer und dem Kampfflugzeug- und Luftverteidigungssystem FCAS. Scholz und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (beide SPD) hatten sich zuletzt aber sehr deutlich dafür ausgesprochen, dass Deutschland bei Exportentscheidungen gemeinsamer Rüstungsprojekte kein Veto mehr einlegen solle, wenn die Partner einen Verkauf an Drittstaaten befürworteten. Macron und andere europäische Verbündeten hatten die deutschen Sonderregeln seit Jahren kritisiert.

Ob die Regierungskonsultationen, die nur wenige Tage nach einem wichtigen EU-Gipfel mit weitreichenden Entscheidungen in der Energiepolitik wirklich verschoben werden, ist nach Angaben aus Verhandlungskreisen aber noch unklar. So wurde in den Gesprächen auch gewarnt, dass eine Absage in dieser Krisenzeit als Zeichen schwerwiegender Probleme im deutsch-französischen Verhältnis gewertet werden könnten. Dies könne man sich derzeit angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, aber auch den erwarteten Antritts einer rechtsgerichteten Regierung in Italien nicht leisten, lautet das Argument gegen eine Verschiebung.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Technologie
Technologie KI im Jobmarkt: Die große Lüge von der Objektivität
04.07.2025

Algorithmen sollen neutral entscheiden – doch KI entlarvt sich im Personalbereich als versteckter Türsteher: Diskriminierung,...

DWN
Panorama
Panorama Grillmarkt in der Krise? Holzkohle wird teurer
03.07.2025

Grills verkaufen sich längst nicht mehr von selbst. Nach Jahren des Booms mit Rekordumsätzen schwächelt die Nachfrage. Händler und...

DWN
Finanzen
Finanzen Milliarden für Dänemark – Deutschland geht leer aus
03.07.2025

Dänemark holt 1,7 Milliarden DKK aus Deutschland zurück – ohne die deutsche Seite zu beteiligen. Ein heikler Deal im Skandal um...

DWN
Finanzen
Finanzen Vermögen im Visier: Schweiz plant Enteignung durch Erbschaftssteuer für Superreiche
03.07.2025

Die Schweiz steht vor einem Tabubruch: Kommt die 50-Prozent-Steuer auf große Erbschaften? Die Eidgenossen debattieren über ein riskantes...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Drogeriehandel: Wie dm, Rossmann und Müller den Lebensmittelmarkt verändern
03.07.2025

Drogeriemärkte verkaufen längst nicht mehr nur Shampoo und Zahnpasta. Sie werden für Millionen Deutsche zur Einkaufsquelle für...

DWN
Technologie
Technologie KI-Gesetz: Bundesnetzagentur startet Beratungsservice für Unternehmen
03.07.2025

Die neuen EU-Regeln zur Künstlichen Intelligenz verunsichern viele Firmen. Die Bundesnetzagentur will mit einem Beratungsangebot...

DWN
Panorama
Panorama Sprit ist 40 Cent teurer an der Autobahn
03.07.2025

Tanken an der Autobahn kann teuer werden – und das oft völlig unnötig. Eine aktuelle ADAC-Stichprobe deckt auf, wie groß die...

DWN
Politik
Politik Brüssel kapituliert? Warum die USA bei den Zöllen am längeren Hebel sitzen
03.07.2025

Die EU will bei den anstehenden Zollverhandlungen mit den USA Stärke zeigen – doch hinter den Kulissen bröckelt die Fassade. Experten...