Politik

Bundesregierung und Union einigen sich auf Kompromiss beim Bürgergeld

Die Unionsparteien und die Bundesregierung haben sich auf einen Kompromissentwurf für das Bürgergeld geeinigt.
22.11.2022 17:00
Aktualisiert: 22.11.2022 17:05
Lesezeit: 2 min

Im Streit zwischen den Regierungsfraktionen und der Union um die geplante Bürgergeld-Reform ist der entscheidende Durchbruch gelungen. Nach schwierigen Gesprächen erzielten beide Seiten in den zentralen Streitfragen Kompromisse, wie sie am Dienstag in Berlin mitteilten. Nun soll sich an diesem Mittwoch der für das umstrittene Gesetzesvorhaben eingesetzte Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat mit dem erzielten Kompromiss befassen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) übermittelte dem Ausschuss am Dienstag den entsprechenden Beschlussvorschlag. "Wir werden uns einigen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag mit Blick auf die anstehende Sitzung im Vermittlungsausschuss.

Das von der Ampelregierung geplante Bürgergeld soll zum 1. Januar 2023 die heutigen Hartz-IV-Leistungen ablösen. In den vergangenen Wochen hatte die Union sich gegen zentrale Punkte des Vorhabens gestellt. Länder unter Regierungsbeteiligung von CDU und CSU blockierten die Reform am 14. November im Bundesrat und sorgten so dafür, dass ein Vermittlungsausschuss angerufen werden musste. Die nun erzielte Vorab-Einigung sieht in zentralen Punkten Zugeständnisse an die Union vor.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz erklärte, dass er nun mit einer Zustimmung der unionsregierten Länder im Vermittlungsausschuss rechne. "Ich habe daran keine Zweifel", sagte der CDU-Vorsitzende am Dienstag auf eine entsprechende Frage.

Dem Kompromiss zufolge soll es, wie von der Union gefordert, künftig mehr Sanktionen für Empfängerinnen und Empfänger geben als ursprünglich geplant. Die Ampel hatte eine "Vertrauenszeit" von sechs Monaten vorgesehen, in denen Sanktionen nur noch unter bestimmten Bedingungen möglich sein sollten. Diese Vertrauenszeit wird nun komplett gestrichen. Stattdessen sollen von Anfang an Leistungsminderungen greifen, wenn Arbeitslose sich zum Beispiel nicht für einen Job bewerben, obwohl dies mit dem Jobcenter vereinbart war.

Zudem hatten CDU und CSU gefordert, dass Betroffene weniger eigenes Vermögen behalten dürfen, wenn sie die staatliche Leistung erhalten. Die Ampel hatte ein Schonvermögen von 60 000 Euro geplant. Der Kompromiss sieht nun einen Betrag von 40 000 Euro für die erste Person einer Bedarfsgemeinschaft vor und 15 000 Euro für jede weitere. Es gilt eine Karenzzeit von einem Jahr - die Ampel hatte zwei Jahre gewollt. In dieser Zeit müssen Leistungsbezieher das Ersparte nicht aufbrauchen. Die Altersvorsorge wird davon komplett ausgenommen und geschützt.

Bestehen bleiben soll auch das zentrale Anliegen der Ampelfraktionen, künftig vor allem den Wert auf Qualifizierung und dauerhafte Beschäftigung zu legen, statt Leistungsbezieher - wie bisher häufig praktiziert - in kurzfristige Hilfsjobs zu vermitteln. Auch die Regelsätze für Alleinerziehende sollen, wie geplant, zum 1. Januar 2023 um mehr als 50 Euro auf 502 Euro steigen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellte am Dienstag eine "ganz große Sozialreform" in Aussicht, die jahrzehntelang Wirkung entfalten solle, wie er bei einem "Wirtschaftsgipfel" der "Süddeutschen Zeitung" in Berlin betonte. Auch Vertreter der Ampelfraktionen äußerten sich insgesamt zufrieden über den Kompromiss. FDP-Vizechef Johannes Vogel betonte, dass es künftig - wie ursprünglich vorgesehen - noch attraktivere Hinzuverdienstregeln für Leistungsempfänger geben werde. Darauf hatte seine Partei von Anfang an großen Wert gelegt. Laut bisherigem Entwurf kann künftig mehr von seinem Einkommen behalten, wer zwischen 520 und 1000 Euro verdient. So solle es sich künftig für Betroffene stärker lohnen, sich "Schritt für Schritt aus der Hilfsbedürftigkeit herauszuarbeiten", betonte Vogel.

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann bedauerte den Wegfall der Vertrauenszeit, fand aber grundsätzlich positive Worte zum Kompromiss. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Arbeitgeberseite reagierten zufrieden. "Wesentliche Verbesserungen des Bürgergelds hat die Ampel damit in den Verhandlungen gerettet", sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger lobte, dass "das bewährte Prinzip des Förderns und Forderns" erhalten bleibe.

Harsche Kritik kam dagegen von der Linken und Sozialverbänden, die unter anderem die verschärften Sanktionsregelungen ablehnen. Mit der Streichung der Vertrauenszeit sei der Reform "das Herzstück genommen" worden, sagte etwa die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Noch sind die Beschlüsse zum Bürgergeld nicht final abgesegnet. Der endgültige Kompromiss wird, wie geplant, an diesem Mittwoch im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat festgezurrt. Die Sitzung ist für 19 Uhr angesetzt und dürfte nun schneller in einem Ergebnis münden, als zunächst erwartet. Bis Freitag sollen Parlament und Länderkammer dann das Bürgergeldgesetz beschließen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaft übernimmt: 631 Milliarden Euro – weil der Staat versagt?
24.07.2025

Während der Staat mit Schuldenbremse und Bürokratie kämpft, springen Konzerne ein: Mit 631 Milliarden Euro soll Deutschland aus der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen SAP-Stellenabbau: Europas führender Softwarekonzern SAP weiter auf Sparkus
23.07.2025

Der SAP-Stellenabbau ist noch nicht abgeschlossen, der Sparkurs des Softwarekonzerns geht weiter. Neue Technologien wie KI verändern die...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Tech-Aktien: Magnificient Seven müssen in der Bilanzsaison liefern – KI-Investitionen unter Druck
23.07.2025

Tech-Aktien boomen – doch jetzt müssen die Giganten liefern. Die Bilanzen von Alphabet, Amazon und Co. entscheiden über das Schicksal...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Bitcoin-Plan: Stürzt er Amerikas Rente ins Krypto-Casino?
23.07.2025

Donald Trump öffnet dem Krypto-Sektor die Tore zu Amerikas milliardenschweren Rentenfonds – und stellt damit die Finanzwelt auf den...

DWN
Finanzen
Finanzen Geldautomaten in Deutschland: Anzahl fällt unter 50.000 – Zugang zu Bargeld schwieriger
23.07.2025

Geld abheben wird vielerorts komplizierter: In Deutschland nimmt die Zahl der Geldautomaten stetig ab. Gleichzeitig steigen Kartenzahlungen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft US-Zolldeal mit Japan: Trump präsentiert neues Handelsabkommen mit Japan
23.07.2025

Die USA und Japan haben sich auf einen Zollkompromiss geeinigt – mit weitreichenden Folgen für Handel, Investitionen und Industrie. Doch...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tesla-Aktie: Bringt das Robotertaxi die Wende beim US-Autobauer?
23.07.2025

Teslas Umsatz schrumpft, die Börse straft die Tesla-Aktie ab – und Elon Musk setzt alles auf ein riskantes Projekt: das Robotertaxi. Wie...

DWN
Unternehmen
Unternehmen BPM-Übernahme: Unicredit stoppt Kauf von Konkurrentin – Fokus auf Gewinn und Commerzbank
23.07.2025

Die geplatzte BPM-Übernahme sorgt für Aufsehen: Unicredit gibt überraschend auf, hebt aber zugleich die Prognosen an. Anleger, Analysten...