Auf den globalen Dieselmärkten herrscht Anspannung. Die Raffineriekapazitäten sind knapp und die Lagerbestände werden mit Beginn der kalten Jahreszeit auf der Nordhalbkugel abgebaut. Lieferengpässe könnten kritische Verkehrsnetze gefährden, da der Industriekraftstoff Schiffe, Lastwagen und Züge antreibt. Der Brennstoff wird auch zum Heizen von Häusern und Unternehmen sowie zur Stromerzeugung in Versorgungsunternehmen verwendet.
Fast jede Region wird von der Krise betroffen sein
Chunzi Xu, Jack Wittels und Elizabeth Low von der US-Nachrichtenagentur Bloomberg warnten am 22. November: „Innerhalb weniger Monate wird fast jede Region der Erde mit der Gefahr einer Dieselknappheit konfrontiert sein, so wie die Versorgungsengpässe auf fast allen Märkten der Welt die Inflation verschärft und das Wachstum beeinträchtigt haben.“ Das von Bloomberg prognostizierte Szenario, ausgelöst durch steigende Dieselpreise und weltweite Engpässe, hätte verheerende Folgen, wie beispielsweise eine Beschleunigung der Inflation, die Haushalte und Unternehmen schon jetzt enorm belastet.
Sowohl die Benzin- als auch die Dieselpreise sind an die auf dem Weltmarkt festgesetzten Rohölpreise gekoppelt. Aufgrund von Versorgungsengpässen verlangen Tankstellen auf einigen Märkten einen Aufschlag. Mark Finley, ein Energiestipendiat am Baker Institute of Public Policy der Rice University, erklärte gegenüber Bloomberg, dass erhöhte Dieselpreise die US-Wirtschaft 100 Milliarden Dollar kosten könnten: „Bei allem, was in unserer Wirtschaft bewegt wird ist Diesel im Spiel. Dinge zu bewegen ist eine Sache. Dass Menschen erfrieren könnten, ist eine andere.“
Die Dieselbestände in den USA waren laut John Kemp, dem leitenden Marktanalyst bei Reuters, Mitte Oktober auf den niedrigsten Stand seit 1982 gesunken, als die Regierung erstmals begann, Daten über den Kraftstoff zu veröffentlichen. Die Vorräte sind für diese Jahreszeit so niedrig wie nie zuvor. Nach Angaben der Energy Information Administration verfügen die USA nur noch über Dieselvorräte für 25 Tage, den niedrigsten Stand seit 2008. Während die Vorräte auf einem Rekordtief liegen ist der vierwöchige gleitende Durchschnitt der gelieferten Destillate - ein Indikator für die Nachfrage - auf den höchsten saisonalen Stand seit 2007 gestiegen.
Kemp merkte an, dass die Dieselknappheit bis zu einem Abschwung der Wirtschaft anhalten wird. Die Preise für US-Diesel auf dem Spotmarkt des New Yorker Hafens sind seit der Vereidigung von Präsident Biden im Jahr 2021 um mehr als 265 Prozent gestiegen. Die Preise erreichten im Frühjahr 2022 5,37 US-Dollar pro Gallone und sind seitdem auf 2,95 US-Dollar gesunken.
Lagerbestände in Nordwesteuropa werden weiter sinken
Die Märkte im Nordosten der USA sind die unterversorgtesten in den USA, weil viele Ölraffinerien in den letzten Jahren stillgelegt wurden. Dadurch hat sich auch die Situation bei der Versorgung mit Heizöl und Flugzeugtreibstoff in der Region im Winter verkompliziert. Im vergangenen Monat hat ein großes Logistikunternehmen für die Kraftstoffversorgung Notfallprotokolle für den gesamten Nordosten und Südosten der USA erstellt, um auf die Gefahr von Lieferengpässen hinzuweisen, die bei einigen Kunden zu Lieferverzögerungen führen könnten.
Laut Clifford Krauss von der New York Times ist die aktuelle Situation eine Verkettung unterschiedlicher Umstände: „Während Russlands Krieg in der Ukraine die Dieselpreise in die Höhe getrieben hat, ist die aktuelle Situation zum Teil das Ergebnis einer zusammenhängenden, sich langsam aufbauenden Reihe von Ereignissen rund um den Globus. Einige Analysten führen die Wurzeln der Dieselknappheit in den USA auf einen Brand in Philadelphia Energy Solutions im Jahr 2019 zurück, der die Raffinerie zur Schließung zwang und einen der wichtigsten Dieselproduzenten im Nordosten ausschaltete.“
Neben den USA ist laut Bloomberg auch Nordwesteuropa mit einem geringen Dieselangebot konfrontiert. Es wird erwartet, dass die Lagerbestände in Europa weiter sinken werden, wenn die Sanktionen gegen russisches Rohöl und Rohölprodukte in den kommenden Monaten in Kraft treten. Der Preisdeckel auf mit Schiffen transportiertes russisches Öl trat Anfang Dezember in Kraft. Am 5. Februar 2023 sollen dann auch russische Treibstoffimporte verboten werden.
EU-Embargo gegen Russland könnte Lage verschlimmern
Die weltweiten Exportmärkte sind derzeit so angespannt, dass Schwellenländer wie Pakistan vom Kauf von Industriekraftstoffen verdrängt werden. „Es ist sicherlich die größte Dieselkrise, die ich je erlebt habe“, erklärte Dario Scaffardi, ehemaliger CEO des italienischen Ölraffinerieunternehmens Saras SpA, der vier Jahrzehnte in der Branche tätig war, gegenüber Bloomberg.
Die Ursache für die weltweite Dieselknappheit ist laut Bloomberg klar: „Sie ist zum Teil auf die Pandemie zurückzuführen, nachdem Lockdowns die Nachfrage zerstört und Raffinerien gezwungen haben, einige ihrer am wenigsten rentablen Anlagen zu schließen. Aber auch die sich abzeichnende Abkehr von fossilen Brennstoffen hat die Investitionen in diesem Sektor gedämpft. Seit 2020 ist die Raffineriekapazität in den USA um mehr als 1 Million Barrel pro Tag zurückgegangen. In Europa haben Unterbrechungen der Schifffahrt und Arbeitsstreiks die Raffinerieproduktion ebenfalls beeinträchtigt.“
Zu Beginn dieses Jahres hatten die USA die Lieferung von russischem Diesel gestoppt, der im vergangenen Jahr ein wichtiges Produkt für die Ostküste war. „Wenn Russland kein Lieferant mehr ist, bedeutet das eine große Delle im System, die nur schwer zu beheben sein wird“, sagte Scaffardi, der ehemalige CEO von Saras.
CEO von Chevron warnte im Sommer
Es gibt Spekulationen, dass die Biden-Regierung die Ausfuhr von Diesel stoppen könnte, um die inländische Versorgung zu verbessern, aber das könnte nicht die gewünschte Wirkung haben, da Diesel ein weltweit gehandelter Rohstoff ist. Jedes Exportverbot aus den USA würde zu unerwünschten Marktschwankungen führen.
Arbeitsstreiks hatten die Dieselknappheit in den großen Raffinerien Europas in den vergangenen Monaten ebenfalls verschärft. In französischen Raffinerien gab es in diesem Herbst mehrere Streiks und Analysten warnten Mitte Oktober vor einer Dieselkrise in Europa. Am 11. November wurde laut dem Preisinformationsdienst Argus Media eine große BP-Raffinerie in Rotterdam bestreikt. Amrita Sen, Forschungsleiterin bei Energy Aspects Ltd macht die Brisanz der Lage gegenüber Bloomberg deutlich: „Die Dieselknappheit hat der Weltwirtschaft geschadet. Die einzige Möglichkeit, das Problem zu lösen, sind neue Raffineriekapazitäten.“
Die schlechte Nachricht hatte der CEO von Chevron, Mike Wirth schon im Sommer gegenüber Bloomberg TV parat. Er erklärte, dass in den USA niemals mehr neue Raffinerien gebaut werden würden. Der Winter könne die Probleme für die nördliche Hemisphäre noch verschärfen, da die schlimmste Dieselknappheit seit einer Generation die ohnehin schon schwächelnde Weltwirtschaft noch weiter in Mitleidenschaft ziehen würde, so Wirth.