Wirtschaft

Analysten warnen vor einer Diesel-Knappheit in Europa

Branchenkenner erwarten eine Zuspitzung der Versorgungsprobleme bei Treibstoffen, insbesondere beim Diesel.
20.10.2022 14:00
Aktualisiert: 20.10.2022 14:16
Lesezeit: 3 min

Deutschland und Europa drohen nach Ansicht zahlreicher Analysten Versorgungsengpässe bei Treibstoffen im anstehenden Winter – insbesondere Diesel könnte demnach knapp werden.

Weltweite Ungleichgewichte

Zunehmende Ungleichgewichte in den weltweiten Diesel-Lieferketten sind ein Hauptgrund für die negativen Prognosen. Denn einer nach wie vor robusten Nachfrage stehen eine sinkende Ölförderung sowie ungenügende Raffinerie-Kapazitäten in Europa und Nordamerika gegenüber.

Besonders die seit Wochen anhaltenden Streiks an französischen Raffinerien (die rund die Hälfte der Raffineriekapazitäten des Landes stilllegten) haben dazu geführt, dass die Treibstoff-Reserven in Europa auf einen niedrigen Stand gesunken sind und derzeit eine Unterversorgung auf dem Kontinent herrscht. Argus Media zufolge hatten vier Wochen Streik in Frankreich Europas Raffinerie-Output um mehr als 5 Prozent reduziert.

Zuletzt hatten die großen Öl-Staaten die globale Schieflage auf dem Dieselmarkt perspektivisch noch verschärft: Obwohl die US-Regierung mehrfach energisch eine Ausweitung der Fördermenge von Rohöl (dem Grundstoff für Treibstoffe wie Diesel) forderte, beschloss das OPEC-Kartell im Verbund mit Russland eine Reduzierung um 2 Millionen Barrel pro Tag (bei einem Barrel handelt es sich um ein Faß mit 159 Litern Fassungsvermögen).

Die Verknappung der Förderung verschiebt das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nicht nur weiter in Richtung einer Unterversorgung, sondern hat darüber hinaus zu signifikanten politischen Verstimmungen im Verhältnis zwischen der US-Regierung und Saudi-Arabien, der OPEC-Führungsmacht, geführt.

Lesen Sie dazu: Machtkampf zwischen Öl-Mächten USA und Saudi-Arabien spitzt sich zu

Riskante Sanktionen

Die Situation auf dem europäischen Dieselmarkt dürfte sich im Dezember deutlich zuspitzen. Dann nämlich tritt das von der Europäischen Union beschlossene Importverbot für russisches Rohöl und Treibstoffe in Kraft.

Die Auswirkungen des Wegfalls der daraus in den Raffinerien Europas hergestellten Diesel-Kraftstoffe können tendenziell gar nicht überschätzt werden: noch immer beziehen die EU-Staaten rund ein Drittel ihres Diesels aus Russland. Daten des IW Köln zufolge stammte im Jahr 2019 ein Drittel des nach Deutschland importierten Diesels aus Russland, in Großbritannien waren es sogar 43 Prozent. 15 Prozent allen in Deutschland im Jahr 2019 verfahrenen Diesels stammten damit aus Russland.

Der Hohe Repräsentant der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, fasste die Abhängigkeit Mitte Oktober in einem Satz zusammen: „Wir Europäer sind jetzt mit den Folgen eines jahrelangen Prozesses konfrontiert“, so Borrell. Europa habe seinen Wohlstand komplett von seiner Sicherheit entkoppelt. „Unser Wohlstand basierte auf billiger Energie aus Russland.“

Diesel treibt sämtliche Lastwagen und schwere Arbeitsfahrzeuge an und gilt damit als unerlässliche Voraussetzung für das Funktionieren der Volkswirtschaften Europas.

Bereits die Tatsache, dass das Öl-Importverbot fast ein Jahr nach Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine erlassen wurde, zeugt von der immensen Bedeutung russischer Kraftstoff-Lieferungen für Europa. Zum Vergleich: das Importverbot für russische Kohle erließ die EU bereits am 8. April und gegen jenes für Rohöl und raffinierte Erdölerzeugnisse bereits am 3. Juni, ließ hier aber einige Ausnahmen zu, etwa für über Pipelines in die EU geliefertes russisches Öl.

Die aus den USA stammende Idee eines global abgesprochenen Preisdeckels für russisches Rohöl (was faktisch auf die Bildung eines Käufer-Kartells, also einer Art Gegen-OPEC hinausläuft) birgt ebenfalls Risiken. Moskau hatte bereits mehrfach klargestellt, dass kein Land mehr Öl geliefert bekäme, das sich an der geplanten Preisobergrenze beteiligt.

Da die EU am 6. Oktober formal eine Preisobergrenze für die Beförderung von russischem Öl auf dem Seeweg in Drittländer beschlossen hat, dürfte sie von direkten Importen russischen Rohöls in Zukunft abgeschnitten sein. Möglich wäre immerhin noch, russisches Öl indirekt über Länder wie China zu beziehen – dies dann allerdings zu weitaus höheren Preisen.

Fällt Amerika als Lieferant aus?

Die Mitgliedsstaaten der EU hatten in den vergangenen Monaten im Rahmen der energiepolitischen Abkopplung von Russland verstärkt Diesel-Kraftstoff aus den USA bezogen. Im September erreichten die Treibstoff-Exporte aus den USA nach Europa mit 1,76 Millionen Barrel einen neuen Höchststand. Darin waren 633.000 Barrel Diesel inbegriffen.

Doch auch in Amerika selbst zeigen sich inzwischen Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage und Symptome einer Knappheit.

Zuletzt berichtete der englischsprachige Dienst von Reuters, dass mehrere Öltanker, die Diesel und Kerosin aus der Golfregion nach Europa bringen sollten, mitten auf ihrer Reise den Kurs änderten und die Fracht in die USA brachten, weil dort am Spotmarkt offenbar mehr für die Ladungen bezahlt wurde.

In den Vereinigten Staaten hatten im Zuge der Corona-Lockdowns zahlreiche Raffinerien den Betrieb eingestellt und diesen nie wieder aufgenommen, insbesondere im stark bevölkerten Nordwesten des Landes. Diese Kapazitäten fehlen nun und müssen aus Übersee substituiert werden.

Reuters berichtet, dass es derzeit zu einem regelrechten Bieterwettkampf zwischen europäischen und amerikanischen Diesel-Importeuren käme. Das Phänomen ist nicht neu: schon seit einigen Monaten liefern sich Kunden in Europa und Ostasien faktisch ein Ringen um Flüsssiggas (LNG).

Der Rückgang der amerikanischen Raffineriekapazitäten hat zur Entleerung der heimischen Reservelager geführt. Mit nur noch 106 Millionen Barrel sind die Vorräte von raffinierten Ölprodukten auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1982 gesunken. In Europa lagen die Reserven Ende September zwar bei weitaus höheren 360 Millionen Barrel, doch auch dabei handelt es sich um den tiefsten Stand seit dem Jahr 2007.

Angesichts dieser Schwierigkeiten hat die Biden-Administration die Idee eines Exportverbots für bestimmte amerikanische Treibstoffe ins Spiel gebracht. Würde dieses wirklich realisiert, würden die USA als Lieferant für Europa komplett ausfallen.

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