Am Donnerstag haben wir bereits berichtet, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan offenbar zu einer Kehrtwende in seiner Syrien-Politik bereits ist und auch ein Treffen mit seinem syrischen Amtskollegen Baschar al Assad nicht mehr ausschließt. Erdogan sprach von einem neuen Friedensprozess, an dem die Türkei, Syrien und Russland beteiligt sind.
Zuvor hatten sich am 28. Dezember bereits die Verteidigungsminister der Türkei und Syriens in Moskau getroffen. Nach diesem ersten wichtigen Schritt in Richtung Annäherung kündigte der türkische Präsident am Donnerstag die beiden nun folgenden Schritte an: "Wir werden unsere Außenminister zusammenbringen und dann, je nach Entwicklung, werden wir als Führer zusammenkommen."
Die Gespräche in Moskau Ende letzten Jahres waren von Erdogan selbst in die Wege geleitet worden, wie die Moscow Times berichtet. Das türkische Staatsoberhaupt hatte schon im November gesagte, dass ein Treffen mit Assad sei möglich, nachdem er die diplomatischen Beziehungen zu Damaskus schon zu Beginn des seit elf Jahren andauernden Konflikts abgebrochen hatte.
"Wir wollen gemeinsam mit Syrien, der Türkei und Russland einen Schritt machen", sagte Erdogan Mitte Dezember. Er ist auch deshalb an einer Verständigung interessiert, weil der lange Krieg seine Popularität in der Türkei zusätzlich untergräbt. Und viele Türken sind angesichts der starken Inflation in ihrem Land, die seit 2018 andauert, schon unzufrieden genug mit ihrem Präsidenten.
Da in diesem Jahr Wahlen anstehen und Erdogans Position zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn wackelig ist, sah er sich offenbar zu Maßnahmen gezwungen, um seine Popularität wieder zu verbessern. Wenn die Millionen syrischer Flüchtlinge tatsächlich nach Hause zurückzukehren könnten, wäre dies ein großer politischer Erfolg für Erdogan.
Wie sieht die Einigung aus?
Insider, die mit der türkischen Position vertraut sind, sagen laut einem Bericht von Bloomberg, dass die Türkei, die im Jahr 2011 den Aufstand gegen Assad unterstützte, ist nun bereit, seine Herrschaft über Syrien öffentlich anzuerkennen und die diplomatischen, sicherheitspolitischen und handelspolitischen Beziehungen zu dem Nachbarland wieder aufzubauen.
Im Gegenzug möchte der türkische Präsident Erdogan nach Aussagen der Insider, dass Assad ausschließt, dass die von den USA unterstützte kurdische Miliz YPG im Rahmen eines künftigen Friedensabkommens ein autonomes Gebiet in den nördlichen Teilen von Syrien bilden darf, welche die Miliz derzeit kontrolliert.
Eine politische Einigung mit Assad könnte Erdogan dabei helfen, einen Sieg über die YPG zu erringen, ohne eine Militäroperation und den Zorn der USA zu riskieren, sagten die Insider und fügten hinzu, dass russische und türkische Truppen voraussichtlich bald mit gemeinsamen Patrouillen entlang der Grenze zu Nordsyrien beginnen werden.
Die YPG und verbündete Kämpfer in den nördlichen Gebieten Syriens an der Grenze zur Türkei kontrollieren etwa ein Drittel des syrischen Territoriums. Ankara betrachtet sie aufgrund ihrer Verbindungen zur verbotenen PKK, die seit Jahrzehnten eine kurdische Selbstverwaltung in der Türkei anstrebt, als Bedrohung. Auch Syrien lehnt jede Form einer eventuellen kurdischen Autonomie in Syrien ab.
Erdogan hat Russland zudem gebeten, für die Sicherheit der syrischen Flüchtlinge zu sorgen, die nach dem Abflauen der Kämpfe in ihre Heimat zurückkehren könnten, hieß es. Er möchte die politischen und wirtschaftlichen Kosten für die Aufnahme der weltweit größten Flüchtlingsgruppe verringern, die nach UN-Schätzungen etwa 3,5 Millionen Menschen umfasst.
Der Kurswechsel in Ankara wird von Assads wichtigstem militärischen Verbündeten Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, die Assads Ansehen im Nahen Osten verbessern wollen, um den iranischen Einfluss in Syrien auszugleichen. Syrien ist seit 2011 von der Arabischen Liga suspendiert.
Wie kam es zum Konflikt zwischen der Türkei und Syrien?
Nach den Verteidigungsministern der Türkei, Russlands und Syriens werden sich im zweiten Schritt voraussichtlich noch in diesem Monat die Außenminister der drei Staaten treffen. Im dritten Schritt werden dann Erdogan und Assad selbst zusammentreffen, um das offizielle Ende der türkischen Beteiligung am Syrienkrieg auszuhandeln, der vor mehr als zehn Jahren begann.
Nach Ansicht des geopolitischen Analysten Tom Luongo zogen die USA die Türkei im Syrien-Konflikt anfangs auf ihre Seite, indem sie Erdogan massive territoriale Gewinne versprachen. Dies hat Erdogan zwar durchaus versucht, er war aber zum Missfallen der USA nicht bereit, einen Krieg mit Russland zu beginnen, auch nicht im November 2015, nachdem die Türkei eine russische SU-24 abgeschossen hatte.
Luongo zufolge wurde der Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 von der CIA und dem US-Militär vom Luftwaffenstützpunkt Incerlik aus geführt. "Offenbar wurde er durch eine frühzeitige Warnung Putins gerettet und in den Iran gebracht, um dem türkischen Militär in der Nacht des Putschversuchs den Befehl zum Gegenangriff zu geben."
Der Putschversuch gegen Erdogan war Luongo zufolge "der Anfang vom Ende der Beziehungen der Türkei zur Nato und zu den USA". Doch zugleich hatte die Türkei auch mit Russland zahlreiche Konflikte. Erdogan erwies sich in den vergangenen Jahren immer wieder als sehr geschickt darin, Nato und Russland gegeneinander auszuspielen, um das Beste für sich selbst herauszuhandeln.
So schuf Edogan nach dem Einmarsch Russlands in Syrien ein Druckmittel, indem er selbst syrisches Territorium einnahm und weitreichende Gebietsansprüche auf das östliche Mittelmeer erhob. Immer wieder wechselte er Seiten zwischen dem Westen und Russland, etwa im Hinblick auf die Nato-Erweiterung, die Flüchtlingspolitik und seine Unterstützung für Aserbaidschan und die Ukraine.
Warum geht Erdogan nun auf Moskau zu?
Nachdem es Erdogan in der Vergangenheit immer wieder geschickt vermieden hat, sich wirklich zwischen dem Westen und Russland zu entscheiden, ist sein Entgegenkommen gegenüber Syrien durchaus ein Wendepunkt. Diese Wende hin zu Russland hatte sich angedeutet, nachdem Erdogan dem Westen seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar immer wieder Steine in den Weg gelegt hat.
"Irgendwann muss man sich nicht nur für eine Seite entscheiden, sondern sie auch allen verkünden und die Reaktionen darauf hinnehmen", schreibt Luongo. Und eine Verständigung mit Syrien ist eine solche Verkündigung. Denn in der Folge könnte etwa die Aufrechterhaltung der Nachschubwege für die in Syrien und im Irak eingeschlossenen US-Truppen in Gefahr geraten.
Tom Luongo erklärt, was in Syrien geschehen könnte: "Ohne die Rückendeckung der Türkei in Idlib werden die Rebellen dort auf Dauer nicht überleben. Erdogan wird seine Angriffe auf die von den USA unterstützten SDF-Kurden im Osten verschärfen. Das bringt auch Israel in eine prekäre Lage, das eigentlich nur noch aufgrund von Russlands Wohlwollen überleben kann."
Am Montag hat John Bolton in einem Gastbeitrag für den britischen Telegraph gefordert, dass die Türkei aus der Nato geworfen wird. Doch Erdogan benötigt die Nato für seine Zwecke gar nicht mehr. Die Nato hingegen verliert mit der Türkei ein (wenn auch unfolgsames) Mitglied mit immenser geostrategischer Bedeutung und zudem eine der größten Armeen der Welt.
Nachdem die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dezember eingeräumt hat, dass die Minsker Vereinbarungen nur ein Trick waren, um die Ukraine aufzurüsten, nachdem also der letzte Rest von Wohlwollen und Vertrauen verloren zu sein scheint, weiß Putin, dass ein direkter Konflikt mit den USA unvermeidlich geworden ist.
Aus Sicht Russlands besteht daher nun keine Notwendigkeit mehr, diplomatisch zu agieren und den Konflikt mit dem Westen über Stellvertreterkriege auszutragen. "Es gibt keinen Grund, rote Linien nicht zu überschreiten, die immer als Olivenzweige da waren, um die Grundlage für künftige diplomatische Bemühungen bilden zu können", so Luongo.
Umbruch im Nahen Osten
Russland hat gerade Dutzende Kampfjets vom Typ Suchoi Su-35 an den Iran verkauft, damit Israel dort keine Langstreckenbombardements mehr durchführen kann. Damit hat Putin nach Ansicht von Luongo eine weitere implizite rote Linie überschritten. Zugleich verkauft der Iran Russland Drohnen für den Kampf gegen die Ukraine.
Luongo glaubt, dass Putin mit dem Überschreiten der roten Linien gegenüber den USA warten musste, bis deren Lügen und die Doppelzüngigkeit offenbar wurden. Sonst hätte die fragile Koalition zusammenbrechen, die er gegen den Westen gebildet hat. "In dieser Hinsicht hat Merkel ihm [Putin] einen Gefallen getan."
Es bleibt abzuwarten, wie die USA auf die Verständigung zwischen Syrien, der Türkei und Russland in der Region reagiert. Luongo fragt: "Wie lange werden die USA noch Truppen in Syrien halten, um Öl zu stehlen und die anhaltenden Sanktionen gegen das Land durchzusetzen, welche die Türkei in ein paar Wochen überflüssig machen wird?"
Der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, sagte am Donnerstag auf die Frage nach einem möglichen Treffen zwischen Erdogan und Assad: "Wir werden die Beziehungen zum Assad-Regime nicht normalisieren, und wir unterstützen auch nicht, dass andere Länder ihre Beziehungen zum Assad-Regime normalisieren."
Lunogo sagt für den Herbst erneute Operationen zu einem Regimewechsel in der Türkei voraus sowie "eine verstärkte israelische Aggression sowohl gegen Syrien als auch gegen den Iran, bis die iranische IRGC-Luftwaffe stark genug ist, sich selbst zu verteidigen". All diese möglichen Entwicklungen sind Folgen der historischen Entscheidung Erdogans, nun endgültig mit dem Westen zu brechen.
Im Rahmen der zahlreichen diplomatischen Aktivitäten rund um Syrien traf Abdullah bin Zayed al-Nahyan, der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, am Mittwoch in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten Assad zusammen und bekräftigte seine Unterstützung für eine politische Lösung des Konflikts. Der wohlhabende Golfstaat hat sich Assad angenähert.
Der syrische Präsident besuchte das Land im vergangenen Jahr, seine erste Reise in einen arabischen Staat seit Beginn des Krieges. Dies war eines der deutlichsten Anzeichen dafür, dass die führenden Politiker der Golfstaaten, die ursprünglich eine Rebellion gegen Assad unterstützten, nun bereit sind, Damaskus wieder in den arabischen Schoß aufzunehmen.