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Geothermie: Wird die Technologie jemals skalierbar sein?

Lesezeit: 5 min
05.02.2023 08:43
Weltweit wird nach Lösungen gesucht, um den Vorstoß zur Dekarbonisierung zu realisieren. Eine Option ist Geothermie. Aktuell arbeiten Wissenschaftler an der Entwicklung besserer geothermischer Systeme.
Geothermie: Wird die Technologie jemals skalierbar sein?
Ein Ventil in einem „HS Orca Geothermie-Kraftwerk“ auf Island.
Foto: Verne Global

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Weltweit sind Wissenschaftler auf der Suche nach den Energieformen der Zukunft. Viel Hoffnung ruht dabei auf regenerativen Energien, allen voran Sonne und Wind. Aber über eine Form erneuerbarer Energien wird derzeit wenig gesprochen: Geothermie. Diese Technik der Energiegewinnung mittels Nutzung von Wärme aus dem Erdinneren ist zwar nicht neu, aber dennoch außergewöhnlich und einen detaillierten Blick wert. Während geothermische Energie bereits weltweit in relativ kleinem Maßstab genutzt wird, arbeiten Wissenschaftler aktuell an der Skalierung einer potenziell sauberen, reichhaltigen und kosteneffizienten Form der Energieerzeugung, die fast überall auf dem Planeten eingesetzt werden kann.

USA weltweit größter Produzent

Derzeit sind die Vereinigten Staaten der größte Produzent von geothermischer Energie in der Welt. Allerdings macht Geothermie dem Center for Sustainable Systems zufolge nur 0,4 Prozent der gesamten Stromerzeugung der Vereinigten Staaten und nur zwei Prozent der erneuerbaren Energien.

Nur sieben Bundesstaaten verfügen nach Angaben der US-Regierung aus dem Jahr 2021 über geothermische Energieanlagen, die insgesamt etwa 16 Milliarden Kilowattstunden (oder 16.238.000 Megawattstunden) erzeugen. Das liegt zum großen Teil daran, dass geothermische Energie bisher nur dort erzeugt wurde, wo es einfach und naheliegend war, eine Anlage zu bauen, zum Beispiel an Orten, an denen es natürlich vorkommende Geysire und heiße Quellen gibt.

Wissenschaftler arbeiten an der verbesserten Entwicklung

Geothermische Energie ist überall vorhanden, wenn man bereit und in der Lage ist, tief genug zu bohren. Aktuell arbeiten Wissenschaftler an der Entwicklung verbesserter geothermischer Systeme, die es schaffen, die aus den Tiefen der Erde stammende Wärme auch in Gebieten anzuzapfen, in denen diese Wärme nicht in der Nähe der Oberfläche vorkommt.

Nach einem am 16. Januar 2023 erschienenen Bericht vom amerikanischen Magazin Esquire, wird diese Technologie es ermöglichen, die Energie unter den Füßen im ganzen Land zu nutzen und das mit einer Kohlenstoffbelastung, die im Vergleich zu den meisten Quellen, zu denen heute noch eine Abhängigkeit besteht, verschwindend gering ist. Bohrungen die tief in die Erde führen, um heißes Wasser herauszupumpen, können auf verschiedene Weise zur Energiegewinnung genutzt werden, bevor das Wasser wieder in den Boden gepresst wird.

Um Proben zu entnehmen, muss tief gebohrt werden

Wie schwierig Geothermie allerdings zu skalieren ist, zeigt die Schweiz. Im Alpenland plant man einem Bericht der amerikanische Technologie Webseite Wired zufolge, alle 26 Kantone teilweise mit geothermischer Energie zu versorgen, um die Kernenergie, die derzeit 40 Prozent des Energiebedarfs deckt, abzulösen und fossile Brennstoffe zu ersetzen. In der Schweiz muss man weit in die Tiefe gehen, um Geothermie skalieren zu können. Bis zu 3.000 Meter muss man sich in hartes Gestein vorarbeiten, damit man Temperaturen von 100 Grad Celsius erreicht.

Praktisch für die Schweiz ist, dass man viele Tunnel besitzt, die als unterirdische Labors dienen können, wie Domenico Giardini, Professor für Seismologie und Geodynamik an der ETH Zürich erklärt: „Unterirdische Labors sind in der Regel eine teure Angelegenheit, denn man muss sie erst einmal erreichen. Da ist es praktisch, einen fertigen Tunnel zu haben.“

Ein Land, was schon lange auf Geothermie baut, ist Island. Die Geothermie rettete Island in den 1970er Jahren vor einem wirtschaftlichen Ruin. Das Land konnte vom Import teurer fossiler Brennstoffe auf die Erzeugung von 80 Prozent des eigenen Stroms und der eigenen Heizenergie umzusteigen. Heute leben neun von zehn Isländern in geothermisch beheizten Häusern. Der Vorteil für Island: es ist eine Vulkaninsel, auf der brühend heißes Wasser nur ein paar hundert Meter unter den Füßen entnommen werden kann. Entscheidend ist also herauszufinden, wo die besten Standorte für geothermische Bohrungen zu finden sind. In Island sind die Bohrungen einfacher, in der Schweiz im Vergleich dazu komplizierter.

Erdbebengefahr durch Bohrungen

Kritisch wird die Geothermie durch die Verbindung von Erdbeben mit den Bohrungen betrachtet. In Deutschland wurden beispielsweise laut einem Artikel der Seite ingenieur.de in Staufen im Breisgau durch Bohrungen Risse im Mauerwerk in alten Häusern vom Stadtkern verursacht. In der Schweiz geriet die Geothermie wegen eines Erdbebens in Basel im Jahre 2006 in Kritik. Das Erdbeben in der Stärke 3,4 wurde durch ein Pilotprojekt ausgelöst. Die unkontrollierten Erschütterungen waren die Folge davon, dass das Unternehmen Geopower Basel Druckwasser bis zu 4,8 km unter die Erde pumpte, um nach geothermischen Quellen zu suchen.

In St. Gallen gab es 2013 einen ähnlichen Vorfall durch Bohrungen für ein 155 Millionen Franken finanziertes EGS-Projekt, welches daraufhin beendet wurde. Entsprechend werden in der Schweiz genaue Untersuchungen gemacht, an welchen Orten sich die Geothermie eignet ohne Erdbeben auszulösen. Diese Untersuchungen benötigen Zeit und Geduld. Dafür kann man so die Skepsis der Bevölkerung abbauen und mehr Vertrauen schaffen.

Kostenaufwand für Bohrungen und Anlageninstallation

Wie teuer die Bohrungen sind, zeigt der amerikanischen Webseite world-energy.org zufolge ein Bericht der Ratingagentur Fitch aus dem Sommer 2022. Die Installation eines geothermischen Kraftwerks erfordert einen erheblichen Aufwand an Ausrüstung und Investitionen. „Dazu gehören die Feldvorbereitung und der Bau von Bohrlöchern, die schwere Bohrgeräte erfordern, die in anderen Sektoren der erneuerbaren Energien, die nicht zur Wasserkraft gehören, nicht benötigt werden“, erklärt die Ratingagentur im Bericht.

Die technologischen Entwicklungen, die zur Verbesserung des Sektors beitragen könnten, sind ebenfalls begrenzt, da die Kapazität im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien, die nicht aus Wasserkraft gewonnen werden, geringer ist. Im Jahr 2021 betrug die geothermische Kapazität nur 14 Gigawatt (GW), deutlich weniger als 827 GW Windkraft und 836 GW Solarenergie.

Die Installationskosten für geothermische Anlagen stiegen von 2.620 US-Dollar pro Kilowatt (kW) im Jahr 2010 auf 4.468 US-Dollar pro kW im Jahr 2020. Gemessen an den Installationskosten ist dies die zweitteuerste Art der erneuerbaren Energien, nach der Solarenergie mit 4.581 US-Dollar pro kW im Jahr 2020, so Fitch unter Berufung auf Daten der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien.

Geothermie ist stabil und zuverlässig

Einer der entscheidenden Vorteile der Geothermie ist, dass sie im Gegensatz zu den führenden erneuerbaren Energiequellen nicht variabel ist. Die Solarenergieproduktion variiert je nach Tages- und Jahreszeit und je nach Wetterlage. Die Windenergieerzeugung hängt von atmosphärischen Variablen ab, die sich der menschlichen Kontrolle entziehen.

Das bedeutet, dass die Geothermie eine äußerst stabile und zuverlässige Energiequelle darstellt, die keine komplexen intelligenten Netze erfordert, wie sie bei der Sonnen- und Windenergie zunehmend erforderlich sind. Damit könnte die Geothermie als „Grundlaststrom“ in Betracht gezogen werden, der zurzeit vor allem durch Nuklearenergie, Kohle- und Gasverstromung gedeckt wird.

Wichtige Bedeutung für die Energiewende

Es gibt jedoch noch weitere Punkte, die für die Geothermie sprechen. Geothermische Energie ist nicht nur ein Grundlaststrom, sondern auch erneuerbar, im Inland verfügbar, sauber und hat einen kleinen Fußabdruck. Laut einem Merkblatt des United States Office of Energy Efficiency and Renewable Energy zur Geothermie sind geothermische Kraftwerke besonders kompakt und benötigen weniger Land pro Gigawattstunde (404 m2) als Kohle- (3.642 m2), Wind- (1.335 m2) und Photovoltaik-Kraftwerke (3.237 m2) mit vergleichbarer Kapazität.

Dies ist auch für eine mögliche Energiewende von enormer Bedeutung, da große Solar- und Windparks der US-Strategieberatung McKinsey zufolge auf potenziell unüberwindbare Probleme stoßen, wenn es darum geht, genügend Grundstücke zu sichern.

Die Geothermie könne allen Anschein nach allen großen Herausforderungen zu umgehen, mit denen die vorherrschenden grünen Energietechnologien konfrontiert sind. Verbesserte geothermische Energiesysteme kosteneffizient und skalierbar zu machen, wird keine Patentlösung für die Energieprobleme der Welt sein, jedoch möglicherweise ein Schritt, um diese zu meistern.

Bis 2030 zusätzliche geothermische Projekte in Deutschland

In Deutschland hat man einen Plan, der im Januar 2022 von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorgestellt wurde. Das Ministerium erklärt den Plan wie folgt: „Bis 2030 sollen fünfzig Prozent der Wärme klimaneutral erzeugt werden. Der Plan beinhaltet das konkrete Ziel, in der Mitteltiefen und Tiefen Geothermie bis zum Jahr 2030 ein geothermisches Potenzial von 10 TWh so weit wie möglich zu erschließen und die derzeitige Einspeisung in Wärmenetze aus dieser Quelle damit zu verzehnfachen. Um dies zu erreichen, wollen wir bis 2030 mindestens 100 zusätzliche geothermische Projekte anstoßen, an Wärmenetze anschließen und die Geothermie in Wohngebäuden, Quartieren und industriellen Prozessen nutzbar machen. Regionen, wo sich Geothermie eignet, sollen daher in einer Explorationskampagne ermittelt werden und die Informationen den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Zugleich sollen von Anfang an alle Fragen von Sicherheit und Umweltschutz mitgedacht werden und Berücksichtigung finden.“

Zur Explorationskampagne gehört ein Eckpunktepapier aus acht verschiedenen Maßnahmen, um das vorgegebene Ziel zu erreichen. Die Maßnahmen lauten, den Austausch mit Akteuren zu fördern, eine Datenkampagne ins Laufen zu bringen, eine Explorationskampagne zu realisieren, Optimierungspotentiale zu realisieren, Förderprogramme ins Leben zu rufen, Risikoabfederung sicherzustellen, Fachkräftesicherung herzustellen und die Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Es bleibt abzuwarten, wie und ob das Bundeswirtschaftsministerium diese Ziele erreichen kann.


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