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China will chinesisch bleiben - trotz fehlender Arbeitskräfte

Lesezeit: 5 min
06.05.2023 11:23  Aktualisiert: 06.05.2023 11:23
Nach jahrzehntelanger Ein-Kind-Politik verzeichnet China einen erheblichen Mangel an Arbeitskräften. Doch Zuwanderung ist für das Land keine akzeptable Option.
China will chinesisch bleiben - trotz fehlender Arbeitskräfte
Die Schulen in China spiegeln die nicht-existente Zuwanderung wider. Und daran soll sich auch nichts ändern. (Foto: dpa)
Foto: Zhang Chi

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Im April wurde China von Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholt, und dahinter steckt eine längerfristige demografische Entwicklung. Die chinesische Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter schrumpft bereits seit einem Jahrzehnt. Die Bevölkerung ist im vergangenen Jahr zurückgegangen. Zugleich altert China schnell. Politiker im Westen würden vor diesem Hintergrund umgehend mehr Zuwanderung fordern und ermöglichen. Doch in China spielen derartige Ideen keine Rolle, wie der Economist berichtet.

China hat nur wenige im Ausland geborene Einwohner. Von den 1,4 Milliarden Einwohnern des Landes sind nur etwa 1 Million Einwanderer. Das entspricht einem Anteil von 0,1 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil bei 19 Prozent und in den USA bei 15 Prozent. Nach Daten der UN sieht es auch in den meisten anderen asiatischen Ländern ähnlich wie in China aus, wenn auch weniger extrem. In Japan beträgt der Anteil der Ausländer immerhin 2 Prozent und in Südkorea 3 Prozent.

Im Januar hat die chinesische Regierung eine Liste mit 100 Berufen veröffentlicht, in denen es an Personal mangelt, darunter Verkäufer und Reinigungskräfte. Einer Umfrage zufolge werden über 80 Prozent der Hersteller im Jahr 2022 einen Arbeitskräftemangel haben. Fast die Hälfte der 400 Millionen Arbeiter in China ist über 40 Jahre alt, wie eine Studie im Dezember ergab. Dies deckt sich mit einer offiziellen Schätzung, wonach China bis 2025 Probleme haben wird, fast 30 Millionen Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe zu besetzen.

Früher konnten diese Stellen mit einer Fülle junger und billiger Arbeitskräfte besetzt werden. Doch da China altert und die Bevölkerung schrumpft, versiegt dieses Angebot an Arbeitskräften. Die Unternehmen beklagen ein Missverhältnis zwischen den von jungen Menschen, von denen immer mehr einen Hochschulabschluss haben, gesuchten und den verfügbaren Arbeitsplätzen. Viele junge Chinesen wollen nicht in Fabriken arbeiten, beklagt China Daily, ein Sprachrohr der Kommunistischen Partei. Das erklärt auch, warum fast 20 Prozent der 16- bis 24-Jährigen in den chinesischen Städten arbeitslos sind.

China: Zuwanderung nicht erwünscht

Selbst junge Migranten aus ländlichen Gebieten scheinen weniger geneigt zu sein als in der Vergangenheit, in die Städte zu ziehen, um dort in der Produktion zu arbeiten. In vielen anderen Ländern erledigen Einwanderer die Jobs, die zu schlecht bezahlt sind, um Einheimische anzuziehen. Einwanderer haben auch dazu beigetragen, die Belastungen dort zu verringern, wo die Bevölkerung immer älter wird. Japan beispielsweise hat ausländischen Krankenschwestern erlaubt, sich um seine Senioren zu kümmern.

Und China steht in dieser Hinsicht vor einer noch größeren Herausforderung. Im Gegensatz zu Japan ist das Land nicht erst reich geworden, bevor es alt wurde. Die Kosten für Gesundheit und Pflege werden in die Höhe schnellen. China räumt ein, dass es mehr junge Menschen bräuchte. Die Regierung hat versucht, die Bürger dazu zu bewegen, mehr Kinder zu bekommen, aber mit wenig Erfolg. Chinesische Frauen bekommen im Durchschnitt weniger als 1,2 Kinder, weit weniger als die 2,1, die nötig wären, um die Bevölkerung stabil zu halten.

Dennoch hat China kaum Anstrengungen unternommen, um Menschen aus dem Ausland anzuziehen. Im Jahr 2016 wurde ein dreistufiges, punktebasiertes System für Bewerber um ein Arbeitsvisum eingeführt. Die niedrigste Stufe, Klasse C, umfasst Personen mit relativ geringer Ausbildung und Berufserfahrung. Diese Genehmigungen sind schwer zu erhalten. „Die Spitze fördern, die Mitte kontrollieren und die Unteren einschränken“, lautete ein staatlicher Slogan, als das System eingeführt wurde.

Doch selbst die Spitzenkräfte stehen vor großen Hindernissen. Das 2004 eingeführte Green-Card-System des Landes ist begrenzt und komplex. Wohlhabenden oder hoch qualifizierten ausländischen Arbeitnehmern sollte erspart werden, jedes Jahr ein neues Visum beantragen zu müssen. In der Praxis wurden von 2004 bis 2016, dem letzten Jahr, in dem solche Daten veröffentlicht wurden, nur etwa 11.000 zehnjährige Aufenthaltsgenehmigungen ausgestellt. Im selben Zeitraum stellten die USA, die nur ein Viertel der chinesischen Bevölkerung haben, fast 12 Millionen Green Cards aus.

Seitdem hat China eine nationale Einwanderungsbehörde eingerichtet und versucht, das Antragsverfahren für eine Aufenthaltsgenehmigung zu vereinfachen. Die Hürden sind jedoch nach wie vor hoch. Die Antragsteller müssen in drei aufeinanderfolgenden Jahren mindestens 500.000 Dollar in ein chinesisches Unternehmen investiert haben, mit einem chinesischen Staatsbürger verheiratet sein, einen bedeutenden Beitrag für das Land geleistet haben oder leisten oder über besonders benötigte Fähigkeiten verfügen. Nichts von alledem wird chinesischen Herstellern helfen, Arbeitsplätze zu besetzen.

Chinesische Staatsbürgerschaft nur für Chinesen

China kein Interesse an Einwanderern. Der hartnäckige Widerstand gegen den Multikulturalismus wird auch durch den Nationalstolz der Chinesen genährt. Staatliche Stellen rühmen sich mit einer einzigen chinesischen Blutlinie, die Tausende von Jahren zurückreicht. Im Jahr 2017 sagte Präsident Xi Jinping, Chinas oberster Führer, zu Donald Trump, dem damaligen US-Präsidenten: „Wir Menschen sind das ursprüngliche Volk: schwarzes Haar, gelbe Haut weiter vererbt. Wir nennen uns die Nachkommen des Drachens.“ Diese Einstellung beeinflusst auch die Einwanderungspolitik.

Ein überwältigender Anteil der chinesischen Green Cards geht an Ausländer chinesischer Abstammung. Ebenso erhalten im Ausland geborene Kinder chinesischer Staatsangehöriger eine Sonderbehandlung bei der Bewerbung an chinesischen Universitäten. Im Rahmen des Programms „Tausend Talente“, mit dem Akademiker aus dem Ausland angeworben werden sollen, wurden zwischen 2008 und 2018 insgesamt fast 8.000 Wissenschaftler und Ingenieure aufgenommen. Nach Angaben der US-Denkfabrik Brookings Institution waren bis auf 390 alle in China geborene Rückkehrer.

Die Staatsbürgerschaft ist Ausländern so gut wie verwehrt, es sei denn, sie sind die Kinder chinesischer Staatsbürger. Auch die chinesischen Greencards bieten keinen Weg zur Staatsbürgerschaft. Im Jahr 2020 wurden in China insgesamt nur 16.595 Bürger eingebürgert. Im relativ kleinen Deutschland hingegen wurden im Jahr 2021 rund 131.600 Ausländer eingebürgert, darunter allein 19.100 syrische Staatsangehörige. In Japan werden jedes Jahr etwa 7.000 neue Bürger eingebürgert. In den USA sind es jedes Jahr über 800.000 Personen.

Die öffentliche Meinung in China würde es auch schwer machen, mehr Ausländer ins Land zu lassen. Ein Vorschlag zur Erleichterung der Aufenthaltsgenehmigung für reiche oder qualifizierte Ausländer stieß 2020 auf eine Gegenreaktion. Chinas Männer versprachen, die Frauen des Landes vor den Einwanderern zu schützen. Der Staat fördert diese Denkweise. In einer Kampagne zur nationalen Sicherheit wurden chinesische Frauen gewarnt, dass ihre ausländischen Freunde Spione sein könnten, während Beamte vermeintliche soziale Missstände auf „ausländische Einflüsse“ zurückführen.

Ein-Kind-Politik macht Zuwanderung unpopulär

Die über Jahrzehnte verfolgte Ein-Kind-Politik hat die chinesische Demografie maßgeblich beeinflusst. Zwar durften Bauernfamilien ein zweites Kind haben, wenn das Erstgeborene ein Mädchen war. Doch dies trug nur zusätzlich zum extremen Männerüberhang in dem Land bei. Im Jahr 2009 kamen auf 100 neugeborene Mädchen mehr als 120 neugeborene Jungen, auch weil häufig Schwangerschaften mit weiblichen Embryonen und Föten abgebrochen wurden. China hatte eine der höchsten Abtreibungsraten der Welt. Im Jahr 2015 meldeten die Behörden etwa 13 Millionen Abreibungen.

Erst Anfang Jahr 2016 wurde die Ein-Kind-Politik aus Sorge vor einer Überalterung der Gesellschaft abgeschafft. Und da die Lockerung der Politik auf zwei Kinder pro Paar zu keinem nennenswerten Anstieg der Geburten führte, wurde 2021 eine weitere Lockerung auf drei Kinder beschlossen. Doch nur wenige Paare wollen drei Kinder, nachdem die chinesische Gesellschaft mit Gewalt vom Kinderreichtum entwöhnt worden ist. Positiv scheint sich das Ende der Ein-Kind-Politik aber auf die Abtreibungen auszuwirken. Für das Jahr 2020 ist die Zahl der Abtreibungen weiter gesunken, auf knapp 9 Millionen.

Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik ist es den Chinesen heute schwer vermittelbar, einen hohen Zustrom von Ausländern ins Land zu lassen. Der Economist betrachtet dies als eine „Schande“ und verweist auf die vermeintlichen Erfolge des Westens mit seiner massenhaften Zuwanderung. „Eine lockerere Einwanderungspolitik würde nicht nur Arbeitgebern helfen, die einen Arbeitskräftemangel haben. Sie würde auch die Innovation fördern. Google, LinkedIn und Tesla wurden alle von Einwanderern in Amerika mitbegründet.“

Heute studieren viele chinesische Studenten im Westen - und bleiben nach dem Abschluss dort. Aber jungen Ausländer, die an den chinesischen Universitäten studieren, haben es schwer, nach ihrem Abschluss in China ein Visum zu bekommen. Der Economist erwartet, dass der Arbeitskräftemangel in einigen Berufen die chinesischen Behörden bald dazu zwingen könnte, die Aufnahme von Neuankömmlingen zu erwägen. Doch dies ist unwahrscheinlich und würde auch den erklärten Zielen von Präsident Xi zuwiderlaufen. China wird einen anderen Weg einschlagen als der Westen.


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