Am Ende des Wahlkampfes standen die Grünen in Bremen allein auf weiter Flur. Selbst das notorisch links-grüne „Radio Bremen“ hatte sich von den Grünen abgewandt. Ihre Chefredakteurin Katja Pietsch spottete am Wahlsonntag in einem Kommentar über die Performance der Ökopartei, dass es schon ein bemerkenswerter Vorgang sei, in einer Stadt, die den Grünen in so besonderer Weise zugeneigt sei, eine Wahl derart zu vergeigen – das müsse man „erst einmal hinbekommen“.
Eine Hochburg der Grünen ist gefallen
In der Tat ist Bremen nicht nur seit jeher eine Hochburg der Grünen, sondern auch eine Art Geburtsort der Partei. 1979 gelang es der Bremer Grünen Liste (BGL), die zuvor aus einer Bürgerinitiative gegen ein Verkehrsprojekt des SPD-Senats entstanden war, bei den Wahlen in die Bremer Bürgerschaft einzuziehen. Damit war die BGL die erste Grüne Liste überhaupt, die in Deutschland in ein Landesparlament gezogen war.
Standen noch die Grünen in Bremen zu Beginn des Jahres in den Umfragen bei 20 Prozent so ist der Absturz auf nun 11,7 Prozent in ihrer Hochburg geradezu dramatisch. Verloren haben die Grünen an diesem Sonntag in alle Richtungen, wie Untersuchungen der Wählerwanderungen ergaben. Denn nach einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Infratest-Dimap haben die Grünen sowohl nach links als auch nach rechts verloren: So gaben sie rund 9000 Stimmen an die SPD ab, rund 3000 an die Linkspartei; jedoch auch 2000 Stimmen an die CDU und 500 an die FDP sowie – man mag es kaum glauben – auch 500 Stimmen an die neue Partei „Bürger in Wut“ ab.
Grüne Verkehrspolitik eine Ursache des Debakels
Bei der Forschung der Ursache stößt man in Bremen schnell auf einen Namen: auf den der grünen Verkehrssenatorin und Spitzenkandidatin Maike Schaefer. Tatsächlich hatte Schaefer es geschafft, mit ihrer Verkehrspolitik am Ende alle gegen sich aufzubringen: In der Innenstadt ließ sie die vielbefahrene vierspurige Tangente Martinistraße im Zuge eines Verkehrsversuchs auf zwei Spuren zurückbauen. Der „Erlebnisraum Martinistraße ist das Reallabor für die zukünftige Stadt“, ließ Schaefer in einer offiziellen Erklärung verlauten. Dass dabei Anwohner wie Gewerbetreibende wenig Neigung hatten, Versuchskarnickel in einem „Reallabor“ zu sein, hatten die Grünen nicht wirklich bedacht.
Dazu kam noch die Debatte um die Bremer „Brötchentaste“. Gemeint ist damit eine besondere Einrichtung an Parkautomaten, dass das kostenlose Parken für 15 Minuten in der Innenstadt ermöglicht. Die Zeitspanne von 15 Minuten soll rasche Besorgungen wie beispielsweise den Gang zum Bäcker ermöglichen, daher auch der Name. Was die Grünen dazu trieb, die in der Hansestadt beliebte Möglichkeit abzuschaffen – und das auch noch kurz vor der Wahl, weiß im Nachhinein so recht keiner. Dabei hätten die Grünen aus den Fehlern ihrer Berliner Parteifreunde lernen können. Denn in der Bundeshauptstadt hatte es zuvor die Verkehrssenatorin Bettina Jarasch mit ihren Versuchen in der Friedrichstraße geschafft, für größtmögliche Verwirrung und damit für maximalen Unmut zu sorgen.
Es hat sich mächtig Ärger über die Grünen aufgestaut, zumal sie seit nunmehr 16 Jahren in Bremen das Verkehrsressort führen – doch die Bilanz ist wenig beeindruckend: Außer, dass die Namen der Senatoren sich geändert hätten, sei nicht allzu viel passiert, wie ein Kommentator von Radio Bremen die Bilanz Grüner Verkehrspolitik bissig zusammenfasste.
Doch neben dem Verlust von ihrer früheren Frontfrau Schaefer könnte es für Bremens Grüne noch schlimmer kommen: Inzwischen hält man es in der Hansestadt für durchaus möglich, dass der Sieger der Wahl, Bürgermeister Bovenschulte (SPD), das bisherige Bündnis mit Linkspartei und Grünen aufkündigt – und eine Koalition mit der CDU anstrebt. Für diese Überlegung spräche, dass es für die SPD leichter wäre, mit nur einem Partner zu koalieren statt mit zweien. Zumal wenn dann der eine Partner – die Grünen - nach einem solchen Wahldebakel auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigt sein dürfte, um die Niederlage zu verdauen.
Filz-Affäre in Habecks Haus setzt sich fort
Doch auch auf Bundesebene steht den Grünen Ungemach ins Haus. Der dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in nachhaltiger Abneigung verbundene Parteifreund Anton Hofreiter hatte schon am Wahlabend klar gemacht, wo die Ursachen für das Debakel im Norden zu suchen seien: Zwar habe es auch in Bremen Fehler gegeben, konzedierte er, um sogleich den Fokus auf die Bundespolitik zu legen: Die Debatten der jüngsten Zeit um den Heizungstausch und um Wirtschafts-Staatssekretär Patrick Graichen „waren nicht hilfreich“ gewesen.
Doch dem Hause Habeck könnten neue Probleme drohen. Der Staatssekretär Udo Philipp, zuständig im Wirtschaftsministerium für die Bereiche Digitalpolitik, Künstliche Intelligenz, Innovationspolitik und für die deutschen Start-up-Unternehmen hatte mit den Beamten seines Hauses die erste Startup-Strategie der Bundesregierung entworfen. Philipp aber war zuvor auch Deutschlandchef von EQT, einem der größten Private Equitiy Fonds in Europa, und hatte, so Berichte, privates Geld in mehrere Startup-Unternehmen investiert.
Damit könnte der Staatssekretär zum Profiteur der Politik geworden sein, die er als Beamter selbst konzipiert hatte. Träfe dies zu, läge ein klarer Interessenskonflikt vor. Dann allerdings hätten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Grünen ein neues Problem.