Im April ging die Inflation in Deutschland auf 7,2 Prozent zurück. Doch beim Kauf von Lebensmitteln ist die Lage weiterhin deutlich schlimmer. Nahrungsmittel verteuerten sich binnen Jahresfrist um 17,2 Prozent, wie das Statistische Bundesamt berichtet. Ganz ähnlich sieht es überall in Europa aus, und der starke Anstieg der Lebensmittelpreise hat die Verbraucher längst dazu veranlasst, sich beim Einkaufen einzuschränken.
In Deutschland sanken die Verkäufe von Lebensmitteln bereits im März um 10,3 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Dies war der stärkste Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1994. Auch in Frankreich haben die Haushalte seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ihre Lebensmittelkäufe um mehr als 10 Prozent reduziert, während ihre Energiekäufe um 4,8 Prozent zurückgegangen sind.
Fleischkonsum bricht ein
Nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung war der Fleischkonsum im Jahr 2022 so niedrig wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1989. Der Einbruch beim Fleischkonsum ist sicherlich auch auf eine veränderte Einstellung der Bürger zum Fleisch zurückzuführen, aber die hohen Preise dürften eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Während die Bürger den Gürtel enger schnallen, schrumpfen die Gewinnspannen der Supermärkte, welche die Preiserhöhungen ihrer Lieferanten nicht vollständig an ihre Kunden weitergeben können. Markus Mosa, Geschäftsführer der Edeka-Supermarktkette, sagte jüngst, dass sein Unternehmen wegen der stark gestiegenen Preise keine Produkte mehr bei mehreren großen Lieferanten bestellt.
Auf Lebensmittel entfällt ein viel größerer Anteil des Konsums als auf Energie, sodass ein kleinerer Preisanstieg größere Auswirkungen auf die Budgets vor allem ärmerer Bürger hat. Die britische Resolution Foundation schätzt den Anstieg der Lebensmittelrechnungen seit 2020 bis zum Sommer auf 28 Milliarden Pfund, was den Anstieg der Energierechnungen übertrifft, der auf 25 Milliarden Pfund geschätzt wird.
Neue Phase der Inflation
"Die Krise der Lebenshaltungskosten ist nicht zu Ende, sie tritt nur in eine neue Phase ein", zitiert das Wall Street Journal Torsten Bell, den Leiter der Forschungsgruppe, in einem kürzlich erschienenen Bericht. Und der Gouverneur der Bank of England, Andrew Bailey, sagte der am Dienstag, dass die Lebensmittelpreise nun einen "vierten Schock" für die Inflation darstellen:
- Schock 1: Unterbrechung der Lieferketten während der Corona-Krise
- Schock 2: Anstieg der Energiepreise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg
- Schock 3: Überraschend angespannte Arbeitsmärkte
- Schock 4: Lebensmittelpreise
Als im letzten Jahr die Energiepreise in Europa plötzlich rasant in die Höhe schnellten, gaben die europäischen Staaten viel Geld aus, um die Haushalte zu beruhigen und die Unterstützung für den Kampf gegen Russland aufrechtzuerhalten. Nun jedoch machen die Staaten geltend, dass ihre Verschuldung seit den teuren Corona-Maßnahmen im Jahr 2020 stark angestiegen ist und sie daher keine Kredite aufnehmen können.
Einige Staaten, darunter die von Italien, Spanien und Portugal, haben immerhin die Mehrwertsteuern auf Lebensmittel gesenkt, um die Verbraucher zu entlasten. Andere Staaten üben Druck auf den Einzelhandel aus, damit dieser die Preise unter Kontrolle hält. So handelte die französische Regierung im März eine Vereinbarung mit führenden Einzelhändlern aus, Preiserhöhungen zu unterlassen, wenn dies möglich ist.
Auch einer Reihe anderer europäischer Länder, darunter Irland und Großbritannien, nehmen die Behörden den Einzelhandel ins Visier. "Da die Supermärkte nun stärker im politischen Rampenlicht stehen, halten wir es für wahrscheinlicher, dass sich die Preisdynamik im Lebensmittelkorb verlangsamt", zitiert das Wall Street Journal Sanjay Raja, Ökonom bei der Deutschen Bank.
Warum sind die Lebensmittelpreise so hoch?
Auf den Weltmärkten, welche die Preise für die Landwirte bestimmen, sind die Lebensmittelpreise seit April 2022 gefallen. Doch die Rohstoffkosten sind nur ein Teil des Endpreises. Die Verbraucher zahlen auch für Verarbeitung, Verpackung, Transport und Vertrieb, und der Preisunterschied zwischen dem Bauernhof und dem Esstisch ist derzeit ungewöhnlich groß.
BoE-Chef Bailey zufolge haben die Lebensmittelproduzenten zu Beginn des Ukraine-Kriegs längerfristige, aber relativ teure Verträge für Düngemittel und Energie abgeschlossen, um die Verfügbarkeit sicherzustellen. Die Politik hingegen geht offenbar davon aus, dass auch eine Erhöhung der Gewinnspannen im Einzelhandel eine Rolle gespielt haben könnte, nachdem diese zu Beginn des letzten Jahres unter Druck geraten waren.