Politik

Schwere Kämpfe in Tripolis ausgebrochen

In Libyen flammen wieder Kämpfe auf. Bemerkenswert ist die Annäherung der US-Regierung an einen bislang ungeliebten Protagonisten des Stellvertreterkriegs.
15.08.2023 13:33
Aktualisiert: 15.08.2023 13:33
Lesezeit: 4 min
Schwere Kämpfe in Tripolis ausgebrochen
In Libyen dauert der Stellvertreterkrieg an. (Bild: istockphoto.com/Enrique Ramos Lopez) Foto: Enrique Ramos Lopez

In der libyschen Hauptstadt Tripolis ist es in der Nacht zum Dienstag zu den schwersten Kämpfen zwischen rivalisierenden Gruppen seit Jahresbeginn gekommen. Damit wächst in dem seit Jahren gespaltenem Land die Furcht vor einer Eskalation des Bürgerkrieges. Ausgelöst wurden die Gefechte durch die Festnahme des Kommandeurs der 444. Brigade, Mahmud Hamsa, wie ein Vertreter dieser militärischen Gruppierung mitteilte. Demnach wurde er auf dem Flughafen der Hauptstadt von Mitgliedern der Special Deterrence Force in Gewahrsam genommen.

Beide Gruppierungen sind die größten Machtfaktoren in Tripolis. Obwohl die 444. Brigade und die Special Deterrence Force vergangenes Jahr zeitweise zusammen die Übergangsregierung der Nationalen Einheit unterstützten, kam es in diesem Jahr in Tripolis immer wieder zu Zusammenstößen zwischen beiden Gruppierungen.

Über Teilen von Tripolis sei am Morgen dunkler Rauch zu sehen gewesen, berichtete ein Reuters-Reporter. Der Lärm schwerer Waffen sei zu hören gewesen. Anwohner und lokale Medien berichteten von Kämpfen in verschiedenen Teilen der Stadt. Das Gesundheitsministerium rief zu Blutspenden auf. Nach Angaben des Rettungsdienstes wurden mindestens 19 Menschen in der Hauptstadt verletzt. 26 Familien seien aus den Kampfzonen evakuiert worden.

Libyen ist seit 2014 zwischen verfeindete Ost- und Westfraktionen aufgespaltet, nachdem die USA, Frankreich und Großbritannien im Jahr 2011 Langzeit-Machthaber Gaddafi gewaltsam gestürzt hatten. Seitdem herrscht in Libyen ein Stellvertreterkrieg, in den unter anderem die Türkei, Russland, Katar und Ägypten verwickelt sind. Die östliche Bürgerkriegs-Fraktion unter dem ehemaligen Armee-General Chalifa Haftar scheiterte 2020 mit einem Sturm auf Tripolis. Es folgte ein Waffenstillstand, aber eine politische Lösung des Konflikts scheint in weiter Ferne.

2021 waren als Teil des von den UN beaufsichtigten Friedensprozesses Wahlen vorgesehen. Allerdings zerstritten sich die rivalisierenden Fraktionen über die Wahlregeln. Erschwerend für eine Friedenslösung ist, dass die Bürgerkriegs-Lager nicht homogen sind, sondern das verschiedene bewaffneten Gruppierungen miteinander konkurrieren.

Der karge Wüstenstaat in Nordafrika hat große Öl- und Gasvorkommen. Im Land selbst ist der Treibstoff aber mitunter knapp. In der Vergangenheit kam es häufig zu Stromausfällen und Stromabschaltungen, oft war das Netz überlastet. Die Lage hat sich aber inzwischen verbessert, auch weil seit einigen Jahren wieder mehr ausländische Unternehmen an Reparaturen sowie der Stabilisierung des libyschen Stromnetzes beteiligt sind.

Washingtons Annäherung an Haftar

Die dpa berichtete Anfang April in einer Reportage an die ungewöhnliche Annäherung der Biden-Administration an den von Russland unterstützten Haftar:

Der General lächelt. Chalifa Haftars militärgrüne Uniform sitzt, die vielen Orden an der Brust auch. Mit der Rechten umschließt er die Hand von Barbara Leaf, Vize-Staatssekretärin der USA für den Nahen Osten. Zufrieden blickt Haftar in die Kamera, Leaf wirkt eher unbequem. Aber in Libyen, so der Eindruck, führt für die USA am General und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Chalifa Haftar kaum ein Weg vorbei. Auch wegen seiner Verbindungen zu Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Rückblick zum 4. April 2019: Haftar befehligt Truppen seiner selbst ernannten Libyschen Nationalarmee (LNA), die Hauptstadt Tripolis einzunehmen, Sitz der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung. «Mit Gottes Hilfe werden wir unseren Siegeszug beenden», sagte Haftar, der sich inzwischen als Feldmarschall betiteln lässt, obwohl es diesen Rang in Libyen gar nicht gibt. Erst nachdem die Türkei militärisch eingreift, werden Haftars Truppen im Sommer 2020 vertrieben.

Das faktisch zweigeteilte Libyen ist weiter festgefahren im Konflikt, in dem unzählige Milizen und ausländische Staaten um Ressourcen und Macht ringen. Waffen-, Drogen- und Menschenhandel haben den Eindruck eines gesetzlosen Wüstenstaats entstehen lassen. Der Bürgerkrieg war nach dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ausgebrochen. Dass eine eigentlich Ende 2021 geplante landesweite Wahl dieses Jahr endlich stattfindet, glaubt kaum jemand.

Haftars Überfall jährt sich in diesen Tagen erneut. Trotz des Angriffs und der Kriegsverbrechen, an denen Haftar beteiligt sein soll - darunter Hinrichtungen Gefangener -, bleibt der General für Washington ein wichtiger Gesprächspartner. Denn neben Ägypten und den Emiraten erhält er auch Unterstützung von Russland. Auf der anderen Seite sitzt die von der Türkei unterstützte Regierung in Tripolis.

In Libyen hat die kremlnahe Söldnerfirma Wagner Zugang zu Gas- und Ölfeldern des Landes - und einen strategisch wichtigen Standort für Aktivitäten in Nachbarstaaten. Der Knotenpunkt Libyen führt Wagner direkt oder indirekt nach Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad, Sudan, die Zentralafrikanische Republik.

«Die Amerikaner haben das gesamte Jahr 2022 in Afrika verpasst», sagt Jalel Harchaoui vom britischen Royal United Services Institute. Die USA hätten sich 2022 darauf konzentriert, die Ukraine zu bewaffnen - und gedacht, Russland würde wegen seiner Verluste in der Ukraine «auf magische Weise» den afrikanischen Kontinent verlassen. Das Gegenteil war der Fall: Die Wagner-Gruppe hat aggressiv expandiert. Dank der reichen Bodenschätze und dem afrikanischen Energiebedarf hilft sie dem Kreml laut Experten auch, westliche Sanktionen zu umgehen.

Libyen könne für Russlands Präsident Wladimir Putin dabei zur Trumpfkarte werden, schreibt das US-amerikanische Magazin «Foreign Policy». Das Land verfügt über 39 Prozent der Ölreserven ganz Afrikas. 63 Prozent der Exporte gingen im Jahr 2020 nach Europa - vor allem nach Italien, Spanien und Deutschland. Die derzeit etwa 1000 Wagner-Söldner in Libyen haben sich dort an Ölanlagen positioniert. Mit einem Würgegriff könnten sie im Nu eine Million Barrel Öl täglich vom Markt nehmen. Auch als mögliche Vergeltung für Aktivitäten des Westens in der Ukraine.

Wie dringlich die Lage geworden ist, zeigte der überraschende Besuch von CIA-Chef William Burns in Libyen im Januar. Burns machte Haftar dabei klar, dass die USA keine Zusammenarbeit mit Wagner mehr dulden würden. Nach dem Besuch erklärte Washington die Gruppe dann zur «transnationalen kriminellen Organisation» und verhängte Sanktionen. Experte Jalel Harchaoui kommentiert den Schritt: «Abgesehen von Sanktionen wissen (die USA) nicht so recht, was sie tun sollen.»

Besonders beliebt ist Haftar in Libyen nicht, sein Einfluss ist vor allem auf den Osten beschränkt. Bei einer Wahl würde er vielleicht fünf bis zehn Prozent der Stimmen holen, vermutet Harchaoui. Aber er hat mit einer Reihe von Auftritten und - wenn auch allgemein gehaltenen - Drohungen gezeigt, dass er in Libyen weiterhin eine ernstzunehmende Figur ist und dass er im Osten den Ton angibt. Sollte der 79-Jährige in den Hintergrund treten, wird schon jetzt darüber spekuliert, welcher seiner Söhne den Platz einnehmen könnte.

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