Politik

Magazin „Economist“ sieht schwarz für Deutschland

Das einflussreiche britische Magazin „Economist“ widmet diese Woche seinen Aufmacher Deutschland, den es heute wieder als den „kranken Mann Europas“ betrachtet.
19.08.2023 17:49
Aktualisiert: 19.08.2023 17:49
Lesezeit: 3 min
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Das britische Magazin «The Economist» hat in seiner jüngsten Ausgabe (19. August) Deutschlands wirtschaftliche Lage in den Fokus genommen. Auf dem Titelblatt der weltweit in den Führungsetagen gelesenen Zeitschrift heißt es: «Ist Deutschland der kranke Mann Europas?» Dazu ist ein Berliner Ampelmännchen zu sehen, das am Tropf hängt - ein wenig versteckter Seitenhieb auf die Regierungskoalition in der Bundeshauptstadt. In ihrer Analyse führen die Autoren eine ganze Reihe von Argumenten an, die aus ihrer Sicht für ein Bejahen der Frage sprechen.

"Europas größte Volkswirtschaft hat sich von einem Wachstumsführer zu einem Nachzügler entwickelt. Zwischen 2006 und 2017 übertraf sie ihre großen Konkurrenten und hielt mit Amerika Schritt. Doch heute verzeichnet sie gerade ihr drittes Quartal der Schrumpfung oder Stagnation und könnte die einzige große Volkswirtschaft sein, die im Jahr 2023 schrumpft. Die Probleme liegen nicht nur im Hier und Jetzt. Nach Angaben des IWF wird Deutschland auch in den nächsten fünf Jahren langsamer wachsen als Amerika, Großbritannien, Frankreich und Spanien."

Verantwortlich gemacht werden in dem Leitartikel «Selbstgefälligkeit und eine Besessenheit von fiskalischer Umsicht». Das habe dazu geführt, dass es zu wenig staatliche Investitionen gegeben habe und Infrastruktur sowie Digitalisierung auf der Strecke geblieben seien. Hinzu komme eine ausufernde Bürokratie. Zudem sei Deutschland wie kein anderes Land abhängig von Exporten nach China, von dem sich der Westen jedoch aus Sicherheitsgründen in einigen Bereichen zunehmend entkopple.

"Die Geopolitik bedeutet, dass das verarbeitende Gewerbe möglicherweise nicht mehr der Goldesel ist, der es einmal war. Von allen großen westlichen Volkswirtschaften ist Deutschland am stärksten gegenüber China exponiert. Im vergangenen Jahr belief sich der Handel zwischen den beiden Ländern auf 314 Milliarden Dollar. Früher wurde diese Beziehung durch das Profitmotiv bestimmt, heute sind die Dinge komplizierter. In China verlieren die deutschen Autohersteller den Kampf um Marktanteile gegen die einheimische Konkurrenz."

Hart ins Gericht geht der «Economist» mit der Berliner Energiepolitik, welche die deutsche Wirtschaft zusätzlich in Probleme bringe.

"Der deutsche Industriesektor verbraucht fast doppelt so viel Energie wie der nächstgrößte in Europa, und die Verbraucher in Deutschland haben einen viel größeren CO2-Fußabdruck als die in Frankreich oder Italien. Billiges russisches Gas ist keine Option mehr, und das Land hat sich in einem spektakulären Eigentor von der Kernenergie abgewendet. Fehlende Investitionen in die Netze und ein träges Genehmigungssystem behindern den Übergang zu billigen erneuerbaren Energien und drohen die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller zu beeinträchtigen."

Was Einwanderung betreffe, sei das von Überalterung geplagte Land zwar offener geworden, aber es tue sich leichter damit, Flüchtlinge willkommen zu heißen als die dringend benötigten Fachkräfte. Daher fehle es Deutschland zunehmend an den benötigten Arbeitskräften.

"Der Babyboom nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutet, dass in den nächsten fünf Jahren netto 2 Millionen Arbeitnehmer in den Ruhestand gehen werden. Obwohl das Land fast 1,1 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat, sind viele von ihnen Kinder und nicht erwerbstätige Frauen, die vielleicht bald in ihre Heimat zurückkehren. Schon jetzt sagen zwei Fünftel der Arbeitgeber, dass sie Schwierigkeiten haben, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden."

Auch das Fazit fällt schlecht aus. Notwendig, um das Ruder herumzureißen, sei eine Reform wie die Agenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Das Magazin schlägt vor, neue Unternehmen, die Infrastruktur und Talente zu fördern. Eine digitalisierte Bürokratie würde für kleinere Unternehmen, die nicht die Kapazität haben, Unmengen von Papierkram auszufüllen, Wunder bewirken, so die Autoren. Doch zu all dem fehle es der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sowohl an Einsicht als auch an Mut.

"Nur wenige in der heutigen Regierung, die sich aus den Sozialdemokraten, den liberalen Freien Demokraten und den Grünen zusammensetzt, geben zu, wie groß die Aufgabe ist. Selbst wenn sie es täten, ist die Koalition so zerrissen, dass die Parteien sich nur schwer auf eine Lösung einigen könnten. Außerdem liegt die Alternative für Deutschland [...] in Umfragen bundesweit bei 20 Prozent und könnte im nächsten Jahr einige Landtagswahlen gewinnen. Nur wenige in der Regierung werden einen radikalen Wandel vorschlagen, aus Angst, ihr in die Hände zu spielen." (dpa/gu)

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