Inflationsprämien, höherer Mindestlohn und nachlassende Teuerung haben die Kaufkraft der deutschen Arbeitnehmer im Frühjahresquartal erstmals seit zwei Jahren steigen lassen - wenn auch nur minimal. Von April bis Juni wuchsen ihre Bruttomonatsverdienste einschließlich Sonderzahlungen mit 6,6 Prozent zum Vorjahreszeitraum so kräftig wie noch nie seit Beginn dieser Statistik im Jahr 2008. Die Verbraucherpreise zogen mit 6,5 Prozent etwas langsamer an, wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte. Daraus ergibt sich ein leichter Anstieg der Reallöhne von 0,1 Prozent.
"Damit sind sie zum ersten Mal seit insgesamt zwei Jahren wieder leicht gestiegen", so das Fazit der Statistiker. Zu Jahresbeginn waren die Reallöhne noch um 2,3 Prozent gefallen, im dritten und vierten Quartal 2022 sogar um jeweils 5,4 Prozent.
Seither hat die Inflation - die im Januar und Februar noch bei 8,7 Prozent lag - merklich nachgelassen, auch wenn sie auf hohem Niveau verharrt. Zum leichten Kaufkraftgewinn "haben auch die Auszahlungen der Inflationsausgleichsprämie beigetragen", erklärten die Statistiker. Diese kann bis zu 3000 Euro betragen und ist steuer- und abgabefrei. Auch die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde im Oktober 2022 habe einen positiven Effekt auf das gesamtwirtschaftliche Lohnwachstum, so die Statistiker.
KONSUMLAIUNE BLEIBT IM KELLER
Ob die Reallöhne auch im Jahresschnitt steigen, ist dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zufolge noch nicht ausgemacht. "Ein leichtes Plus ist dabei ebenso denkbar wie ein leichtes Minus", sagte IfW-Experte Dominik Groll. "Spätestens im kommenden Jahr werden die Nominallöhne dann aller Voraussicht nach aber deutlich stärker steigen als die Verbraucherpreise." Mit etwas Glück könnten die Reallohnverluste, die sich zwischen 2020 und 2022 aufsummiert haben, dann sogar wettgemacht werden. "Vom Vorkrisentrend – also dem Reallohnniveau, das ohne Pandemie und Energiekrise realistisch wäre – wäre man allerdings auch im kommenden Jahr noch weit entfernt", erwartet Groll.
Als Konjunkturmotor dürfte der private Konsum ungeachtet der leichten Kaufkraftzuwächse vorerst ausfallen. Die realen Konsumausgaben dürften 2023 den Vorjahreswert um rund 1,25 Prozent unterschreiten, erwartet das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) in seiner neuen Konjunkturprognose. Darauf deutet auch die schlechte Stimmung unter den Verbrauchern hin: Die GfK-Konsumforscher sagen für September einen Rückgang ihres Barometers um 0,9 auf minus 25,5 Punkte voraus. "Die Chancen, dass sich die Konsumstimmung noch in diesem Jahr nachhaltig erholen kann, schwinden damit mehr und mehr", prophezeit GfK-Experte Rolf Bürkl. "Anhaltend hohe Inflationsraten, vor allem für Lebensmittel und Energie, sorgen dafür, dass das Konsumklima derzeit nicht vorankommt."
GASTGEWERBE MIT GRÖSSTEM LOHNPLUS
Geringfügig Beschäftigte wiesen mit 9,7 Prozent den stärksten Nominallohnanstieg auf. Dies sei vor allem auf die seit dem 1. Oktober 2022 gültige Erhöhung der Minijob-Verdienstgrenze von monatlich 450 auf 520 Euro sowie auf die Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro zurückzuführen. Bei Teilzeitkräften (+7,2 Prozent) und Auszubildenden (+8,4 Prozent) wurde ebenfalls ein starker Lohnanstieg verzeichnet. Die Nominallöhne von Beschäftigten in Vollzeit stiegen mit 6,3 Prozent leicht unterdurchschnittlich: Hier hatte das Fünftel mit den geringsten Verdiensten mit 11,8 Prozent die stärksten Lohnzuwächse.
Im Gastgewerbe kletterten die Nominallöhne im abgelaufenen Quartal mit 12,6 Prozent besonders deutlich, ebenso im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung mit 11,9 Prozent. Auch die Beschäftigten in den Bereichen Verkehr und Lagerei profitierten von einem überdurchschnittlichen Lohnanstieg (+10,0 Prozent). Hierzu zählt beispielsweise die Luftfahrt. "Bei diesen Anstiegen handelt es sich auch um auf Aufholeffekte, da die Sektoren in der Corona-Krise besonders stark vom Lockdown und Kurzarbeit betroffen waren", so die Statistiker. (Reuters)