Politik

Migrationskrise außer Kontrolle - aber Mehrheit der EU-Staaten nimmt keinen einzigen Migranten auf

Während eine Mehrheit der EU-Länder keinen einzigen Migranten aufnimmt, gerät die Situation in Deutschland und Italien außer Kontrolle. Rom spricht von einem "Akt des Krieges". Die "Invasion" sei gut organisiert.
18.09.2023 14:01
Aktualisiert: 18.09.2023 14:01
Lesezeit: 3 min
Migrationskrise außer Kontrolle - aber Mehrheit der EU-Staaten nimmt keinen einzigen Migranten auf
Innenministerin Faeser. In Deutschland herrscht eine neue Migrationskrise. (Foto: dpa) Foto: Bernd von Jutrczenka

Eine Mehrheit der EU-Staaten hat im laufenden Jahr keinen einzigen Migranten aufgenommen. Dies berichtet der EU Observer. In Deutschland und Italien hingegen gerät die Situation langsam außer Kontrolle. Im Fokus steht die Mittelmeerinsel Lampedusa.

Der stellvertretende Premierminister Italiens, Matteo Salvini, spricht angesichts von rund 7.000 angekommenen Migranten in nur drei Tagen von einem "Kriegsakt". Die Ankünfte seien offenbar organisiert, finanziert und vorbereitet und drohten, die italienische Gesellschaft zu destabilisieren.

Söder: "Völlige Überforderung des Landes" droht

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat eine Wende in der Migrationspolitik gefordert und sich für eine Integrations-Obergrenze ausgesprochen. Es drohe die "völlige Überforderung des Landes", sagte Söder am Montag nach einer Sitzung des CSU-Parteivorstands.

Viele Kommunen klagten seit Monaten, dass eine Integration nicht zu schaffen sei. Gebe es keine Lösung, bestehe die Gefahr, dass sich die Demokratie destabilisiere.

Lesen Sie dazu: Landkreise: „Es gibt kein Land, dass sich in der Migrationspolitik so verhält wie Deutschland“

Wenn man die Lage mit anderen Ländern Europas vergleiche, handele es sich nicht nur um eine europäische Frage, sondern insbesondere ein Thema für Deutschland. Während die Zahl der Asylbewerber in Österreich sinke, steige sie in Deutschland an. In dem Zusammenhang forderte Söder eine Vereinheitlichung der Sozialstandards in Europa.

Zugleich sprach sich Söder für einen Stopp der Sonderaufnahmeprogramme und für verstärkte Rückführung von Straftätern aus. Die Bundesregierung müsse in den Maghreb reisen, um mit Ländern wie Tunesien zu sprechen und die Situation im Mittelmeer zu entspannen. Zudem müssten weitere Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.

Auch führende CDU-Politiker hatten zuletzt eine Kehrtwende in der Migrationspolitik gefordert. Söder hatte kürzlich angesichts steigender Migrantenzahlen und hoher Umfragewerte für die AfD vor einer Destabilisierung des politischen Systems gewarnt. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.

In der Bundesregierung bahnt sich neuer Streit an

Die FDP dringt angesichts der zugespitzten Flüchtlingslage darauf, die Maghreb-Staaten Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer zu klassifizieren. "Damit würden wir die Verfahren so beschleunigen, dass sich Asylanträge, die nur auf Sozialleistungen ausgerichtet sind, nicht mehr lohnen", heißt es in einem Präsidiumsbeschluss der Liberalen vom Montag.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte in Berlin, ihm sei bewusst, dass es dabei einen Konflikt innerhalb der Koalition gebe, vor allem mit den Grünen. Dennoch sei der Schritt mit Blick auf die Zahl der ankommenden Menschen dringend notwendig.

Deshalb werde die FDP "diese intensive Auseinandersetzung innerhalb der Koalition auch so austragen", sagte Djir-Sarai. Menschen aus den Maghreb-Staaten hätten ohnehin nur eine geringe Chance darauf, in Deutschland als Asylsuchende anerkannt zu werden. Wenn allein Tunesien und Marokko auf die Liste der sicheren Herkunftsländer genommen würden, würden zehn Prozent weniger Migranten nach Deutschland kommen.

Zugleich bekräftigte Djir-Sarai, die FDP sei dagegen, Migranten direkt von der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa in Deutschland aufzunehmen. "Sollte es anders kommen, werden wir hier ein Problem in der Koalition bekommen", sagte er.

FDP-Chef Christian Lindner betonte: "Wir brauchen Migration, aber von Fachkräften in den Arbeitsmarkt". Via Nachrichtendienst X, vormals Twitter, schrieb Lindner weiter: "Irreguläre Migration hingegen müssen wir wirksam angehen - durch Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten, konsequentere Rückführung, mehr Sach- statt Geldleistungen und zügige Umsetzung des neuen EU-Asylsystems."

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang sagte, nötig seien Fortschritte bei den Rückführungsabkommen. Die Maghreb-Staaten dürften allerdings nicht als sichere Herkunftsländer deklariert werden, fügte sie hinzu und nannte zur Begründung "systematische Menschenrechtsverletzungen" in Algerien, Marokko und Tunesien. "Das ist übrigens nicht nur unsere Position, sondern so ja auch innerhalb der Regierung beschlossen."

Lang mahnte eine Wende in der EU-Asylpolitik an und forderte mehr Solidarität ein. "Wir wollen, dass andere Länder auch endlich ihrer Verantwortung gerecht werden." Italien müsse die Flüchtlinge zuverlässig registrieren, die Verteilung dann aber fair gestaltet werden.

Lampedusa: 10.000 Neuankömmlinge in einer Woche

Hintergrund der Diskussion sind die jüngsten Entwicklungen auf Lampedusa, wo allein in der vergangenen Woche fast 10.000 Migranten angelandet sind. Die süditalienische Insel liegt nur etwa 140 Kilometer von der tunesischen Küste entfernt. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni forderte bei einem Besuch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa ein gemeinsames Vorgehen der 27 EU-Staaten sowie Migrationsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten.

Wie aus Kreisen der Bundesregierung verlautete, dauerten Gespräche zwischen Deutschland, Italien, Spanien und Frankreich mit der EU-Kommission über das weitere Vorgehen an. Am 28. September kommen die EU-Innenminister zu ihrem nächsten Treffen zusammen.

Italiens Regierung unter Meloni steht innenpolitisch unter Druck, weil sie zwar einen harten Kurs gegen illegale Migration angekündigt hat, die Zahlen der aus Nordafrika ankommenden Menschen aber immer weiter steigen.

In diesem Jahr sind laut Innenministerium in Rom rund 126.000 Migranten illegal eingereist, fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. In italienischen Regierungskreisen geht man davon aus, dass es sich bei den meisten Ankommenden um Wirtschaftsflüchtlinge handelt, die keine Aussicht auf einen erfolgreichen Asylantrag haben. Dazu wollte die Regierung in Rom noch am Montag schärfere Gesetze auf den Weg bringen, wie etwa eine Verlängerung der maximalen Abschiebehaft.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Babyboomer verlassen die Bühne: Jetzt kommt das große Chaos am Arbeitsmarkt
29.06.2025

Die Babyboomer verabschieden sich in Scharen – und mit ihnen verschwinden Loyalität, Erfahrung und Arbeitsdisziplin. Zurück bleibt ein...

DWN
Panorama
Panorama Ersatzpflege: Was sich für pflegende Angehörige ab dem 1. Juli ändert
29.06.2025

Pflegende Angehörige stemmen den Großteil der häuslichen Pflege in Deutschland – oft bis zur Erschöpfung. Doch was passiert, wenn sie...

DWN
Immobilien
Immobilien Heizkosten: Vergleich der Kosten für verschiedene Heizungslösungen - Tipps
29.06.2025

Heizöl, Pellets, Gasheizung oder Wärmepumpe: Wer 2025 neu heizt, muss weiterhin hohe Kosten einpreisen. Doch welche Heizungslösung ist...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Elon Musks X wird zur Bank: Der Angriff auf das Finanzsystem
29.06.2025

Elon Musks Plattform X will mehr sein als ein soziales Netzwerk. Mit eigenen Finanzdiensten und digitaler Geldbörse kündigt sich eine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Pandora und Amazon decken globales Fälschernetzwerk auf
29.06.2025

Pandora und Amazon decken ein globales Netzwerk von Produktpiraten auf. Die Drahtzieher in China sitzen nun im Gefängnis – doch die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Verteidigungsbranche boomt: Diese fünf Aktien setzen Analysten jetzt auf die Watchlist
29.06.2025

Der globale Rüstungsboom bietet Anlegern neue Chancen. Fünf Aktien stehen bei Analysten hoch im Kurs – von Hightech-Zulieferern bis zu...

DWN
Panorama
Panorama Unwetterwarnungen: Was sie können und was nicht
29.06.2025

Unwetterwarnungen sollen Leben retten – und das möglichst rechtzeitig. Doch nicht immer klappt das. Warum ist es trotz modernster...

DWN
Politik
Politik Bundeswehr: Rüstung auf dem Papier – Defizite auf dem Feld
29.06.2025

Die Bundeswehr bleibt trotz 100-Milliarden-Sondervermögen kaum einsatzfähig. Es fehlt an Ausrüstung, Personal und Struktur. Ist das...