Ratgeber

ESG-Trend: „Nachhaltiges Investieren bewirkt wahrscheinlich nichts“

Anleger wollen mit ESG-Investments etwas Gutes für die Umwelt tun. Doch der Nutzen grüner Finanzprodukte ist umstritten. 
Autor
05.10.2023 09:28
Aktualisiert: 05.10.2023 09:28
Lesezeit: 3 min
ESG-Trend: „Nachhaltiges Investieren bewirkt wahrscheinlich nichts“
Als nachhaltig klassifizierte Kapitalmarktanlagen sind äußerst beliebt. (Foto: iStock.com/Khanchit Khirisutchalual) Foto: Khanchit Khirisutchalual

Als nachhaltig beworbene Finanzprodukte haben massiven Zulauf. Während das Volumen aller Fonds und Mandate zum Jahresende 2022 um 16 Prozent sank, wuchs der Markt für nachhaltige Geldanlagen um 12 Prozent, wie aus dem Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2023 hervorgeht.

Insgesamt lag der Marktanteil von nachhaltigen Publikumsfonds, Mandaten und Spezialfonds bei 12,5 Prozent (578 Mrd. Euro). Als nachhaltig gelten dabei Finanzprodukte, die unter Artikel 8 oder 9 der EU-Offenlegungsverordnung fallen und Einlagen bei Nachhaltigkeitsbanken.

Anlageberater müssen sich seit August 2022 sogar erkundigen, ob Kunden soziale Aspekte, Umweltschutz oder Prinzipien guter Unternehmensführung wichtig sind (kurz ESG, also Environment, Social and Governance). Die EU hat entsprechende Vorschriften erlassen.

Nutzen von ESG-Produkten ist umstritten

Experten sind sich indes uneins, ob ESG-Produkte die sozialen und ökologischen Probleme lösen helfen, etwa in puncto Umweltverschmutzung oder Kinderarbeit. Der Finanzprofessor Hartmut Walz hält kapitalmarktbasierte Nachhaltigkeitsprodukte für wirkungslos. „Akzeptieren Sie, dass nachhaltiges Anlegen auf den globalen Kapitalmärkten unter den jetzigen Rahmenbedingungen wahrscheinlich nichts bewirkt“, rät er Verbrauchern in einem Beitrag auf der Internetseite des Bundes der Versicherten.

Laut Falko Paetzold gleichen ESG-Anlagen einem Placebo. Der Professor an der EBS-Universität in Oestrich-Winkel hat im Jahr 2021 eine Studie zur Wirkung von ESG-Investments veröffentlicht. „Die Produkte geben den Käufern ein gutes Gefühl und beruhigen ihr Gewissen. Doch ein großer Teil davon schafft es nicht, eine messbare Veränderung herbeizuführen“, sagte Paetzold der NZZ.

Der Finanzprofessor Christian Rieck bescheinigt nachhaltigen Fonds und ETFs hingegen eine positive Wirkung. „Ein einzelner privater Investor ist fast immer so klein, dass er keinen messbaren Einfluss hat“, erklärt der Frankfurter auf DWN-Anfrage. „In der Summe tragen die Privatanleger aber deutlich bei.“

Laut Hartmut Walz schaffen es ESG-Produkte nicht, die Finanzierungskosten von nachhaltigen Unternehmen zu senken und/oder von gewöhnlichen Unternehmen zu erhöhen. Das sei aber nötig, damit ESG eine Wirkung entfalte.

Sobald ESG-Investoren die Finanzierungskosten von nachhaltigen Unternehmen minimal unter die von gewöhnlichen Unternehmen drückten, setze eine Gegenbewegung ein. Andere Investoren, denen Nachhaltigkeitsaspekte egal seien, würden die Renditeunterschiede abschöpfen. „Ihr Investitionsverhalten kann nur dort eine Wirkung entfalten, wo Ihre Aktivität etwas bewirkt, was ansonsten nicht entstanden wäre“, erklärt Walz daher.

ESG-Experte Falko Paetzold bemängelt vor allem fehlende Standards. „Viele Fonds begnügen sich damit, aus besonders umstrittenen Branchen wie Waffen oder Tabak auszusteigen.“ Laut dem Analysten Daniel Welter weichen ESG-Ratings stark voneinander ab, wie aus dem NZZ-Artikel weiter hervorgeht. Etwa bekomme der Pharmakonzern Roche eine Topnote von S&P, während er bei Morningstar im hinteren Drittel lande.

Sündeninvestments rentierten am höchsten

Historisch gesehen rentierten Aktien von Unternehmen, deren Geschäft als moralisch fragwürdig gilt, mit am höchsten. Laut Forschern der London Business School war die Tabakindustrie zwischen 1900 und 2015 die Branche mit der besten Performance an den US-Börsen (14,6 Prozent pro Jahr). In Großbritannien lagen die Alkoholhersteller vorne.

Das Flossbach von Storch Research Institute berichtet von einer Studie des Yale-Finanzprofessors Frank Fabozzi, wonach Sündenaktien zwischen 1970 und 2007 um 19 Prozent pro Jahr stiegen. Das sei mehr als doppelt so viel wie die allgemeine Marktentwicklung gewesen (7,9 Prozent).

Fabozzi führte die Outperformance in einer früheren Studie auf gesellschaftliche Ächtung und staatliche Regulierungen zurück. Diese erlaubten es den Sünden-Firmen, Monopolrenditen zu erzielen. In einer Studie aus dem Jahr 2017 kommt der US-Professor hingegen zum Schluss, Qualitätsmerkmale der Firmen in puncto Profitabilität und Investition würden die Überrenditen erklären, wie Flossbach von Storch in einer Analyse berichtet.

Hartmut Walz von der Hochschule Ludwigshafen rät daher von nachhaltigen Kapitalmarktanlagen ab. Denn die ESG-Produkte seien unnötig teuer. „Mit dem Versprechen von Nachhaltigkeit lassen sich höhere Kosten bei Anlage- und Vorsorgeprodukten durchsetzen.“

ESG-Produkte könnten sogar schädlich sein. „Dies ist dann der Fall, wenn Menschen ihr Gewissen mit bequemen und verzichtfreien pseudonachhaltigen Anlage- und Vorsorgeprodukten entlasten und dafür eben nicht weniger konsumieren oder ressourcenschonenden Konsumverzicht üben.“ Besser sei ein Investment in einen passiven, möglichst breit streuenden ETF, etwa auf die Indizes FTSE All-World oder MSCI ACWI IMI.

Einen Nutzen für die Umwelt stifte eine Investition bloß, wenn sie etwas bewirke, was ansonsten nicht entstanden wäre – etwa den Bau einer Zisterne oder eines Windkraftrades. Solche kapitalmarktfernen Investitionen stellten aber möglicherweise ein Klumpenrisiko dar. „Prüfen Sie, ob Sie dieses gut verkraften können“, rät Walz.

Der Publizist Max Deml sah gegenüber DWN nachhaltige Fonds, ETFs und börsengelistete Aktien kritisch. Wer etwas für die Umwelt tun wolle und Rendite dabei keine große Rolle spiele, solle außerhalb des etablierten Kapitalmarkts in ein bestimmtes Projekt investieren. „In der Regel hat man keinen Finanzierungs- oder Hebeleffekt – im Gegensatz zum Beispiel zu neuen Anteilen an Wind- oder Solarparkbetreibern sowie außerbörslichen Aktien“, erklärte der Experte für nachhaltige Geldanlage.

Ein Anleger, der zum Beispiel 10.000 Euro in eine Solarparkbetreiber-KG investiere, ermögliche eine um ein Vielfaches höhere Investition in weitere Solarmodule. Denn das Unternehmen könne dank des zusätzlichen Eigenkapitals einen höheren Kredit bei einer Bank aufnehmen. Außerdem fließe das Geld direkt an das Unternehmen und nicht an die Vorbesitzer der Aktien.

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.
Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

Elias Huber

Elias Huber arbeitet als freier Journalist und Honorar-Finanzanlagenberater. Der studierte Volkswirt schreibt vor allem über die Themen Wirtschaft und Geldanlage. 

DWN
Finanzen
Finanzen Europa-Aktien im Aufschwung: Welche Chancen Anleger jetzt nutzen können
23.11.2025

Die Kapitalmärkte befinden sich im Umbruch, Investoren suchen verstärkt nach stabilen Alternativen. Europa gewinnt dabei durch Reformen,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Autoindustrie in der Krise: Warum die Lage dramatisch ist
23.11.2025

Europas Autohersteller stecken in existenziellen Nöten und Beobachter sprechen schon von einem drohenden Niedergang. Neben den Problemen...

DWN
Technologie
Technologie Experten warnen vor 2035: Plug-in-Hybride sind ein Weg ins Nichts
23.11.2025

Ein neuer französischer Bericht rüttelt an der europäischen Autoindustrie. Plug-in-Hybride gelten darin als teurer, klimaschädlicher...

DWN
Unternehmen
Unternehmen NATO-Ostflanke: Drohnenhersteller Quantum Systems unterstützt die Bundeswehr-Brigade in Litauen
22.11.2025

Der deutsche Drohnenhersteller Quantum Systems expandiert nach Litauen und baut dort ein umfassendes Wartungs- und Logistikzentrum für...

DWN
Technologie
Technologie Digitale Souveränität: Wie Deutschland bei Breitband, 5G und Cloud die Abhängigkeit verringern kann
22.11.2025

Verpasst Deutschland die digitale Zeitenwende? Der Wohlstand von morgen entsteht nicht mehr in Produktionshallen, sondern in...

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz-Erfinder warnt: „Meine Schöpfung kann uns vernichten“
22.11.2025

Er gilt als einer der „Väter der Künstlichen Intelligenz“ – jetzt warnt Yoshua Bengio vor ihrer zerstörerischen Kraft. Der...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Zwischen Škoda-Erfolg und Chinas Einfluss: Was die Abhängigkeit für deutsche Autobauer bedeutet
22.11.2025

Elektromobilität ist längst kein Nischenphänomen mehr, sondern prägt zunehmend den europäischen Massenmarkt. Doch wie gelingt es...

DWN
Panorama
Panorama Weihnachtsmarkt-Sicherheit: Was bringen Beton, Kameras und Co. auf Weihnachtsmärkten wirklich?
22.11.2025

Deutsche Weihnachtsmärkte stehen für Atmosphäre, Tradition und Millionen Besucher. Gleichzeitig wächst die Debatte über Schutz,...