Politik

China lernt bei Russland, wie man Sanktionen überwindet

Lesezeit: 5 min
22.10.2023 08:05  Aktualisiert: 22.10.2023 08:05
Bei der Vorbereitung auf eine Eskalation des Konflikts mit dem Westen greift China auf die Erfahrungen Russlands zurück. Gold spielt dabei eine wichtige Rolle.
China lernt bei Russland, wie man Sanktionen überwindet
Die Präsidenten Wladimir Putin und Xi Jinping beim Belt and Road Forum am Mittwoch in Peking mit Gold-Ansteckern. (Foto: dpa)
Foto: Sergey Savostyanov

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Der starke Anstieg der Zinsen seit letztem Jahr hat erhebliche Opportunitätskosten für Gold mit sich gebracht. Denn das Edelmetall wirft keinerlei Zinsen ab, sondern verursacht meist sogar Kosten für die sichere Lagerung. Vor diesem Hintergrund müsste der Goldpreis unter normalen Umständen sinken. Doch Gold handelt stabil, und mit dem Rückenwind des Gaza-Kriegs ist der Preis mit 1.990 Dollar pro Feinunze gerade auf den höchsten Stand seit Mai gestiegen.

Hintergrund für den ungewöhnlich stabilen Goldpreis trotz hoher Zinsen sind geopolitische Notwendigkeiten. Die Nachfrage nach Gold kommt dabei nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten. Dies zeigt sich daran, dass börsengehandelte Gold-Fonds in Europa und Nordamerika seit einigen Monaten Abflüsse verzeichnen, während Gold-ETFs aus Asien den siebten Monat in Folge Zuflüsse registrieren.

Hinzu kommen die starken Goldkäufe der östlichen Zentralbanken seit dem vergangenen Jahr, allen voran China. Um das Gold möglichst billig zu erwerben, manipuliert die chinesische Notenbank sogar den Goldpreis, indem sie die Goldimporte für den heimischen Einzelhandel begrent. Die so begrenzte Nachfrage hat den Goldpreis gedrückt, wovon die Notenbank profitierte. Ihre jüngsten Daten zeigen, dass sie die offiziellen Goldreserven bereits elf Monate in Folge erhöht hat.

Auch der jüngste Preisanstieg vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs ist wahrscheinlich zu einem erheblichen Teil auf Goldkäufe im Osten verursacht. Vor allem China ist wahrscheinlich weiterhin ein starker Käufer. Denn Gold spielt eine wichtige Rolle in den Vorbereitungen des Landes auf einen Krieg mit den USA um Taiwan vor, der von erheblichen Sanktionen des Westens gegen China begleitet würde – ähnlich wie der laufende Krieg gegen Russland.

China rüstet sich gegen Sanktionen des Westens

Wegen der Sanktionen gegen Moskau haben zahlreiche chinesische Ökonomen und geopolitische Analysten sich damit beschäftigt, wie China mit ähnlichen Extremszenarien umgehen sollte. Dies geht aus einer von Reuters durchgeführten Überprüfung von mehr als 200 in chinesischer Sprache verfassten Grundsatzpapieren und akademischen Artikeln hervor, die seit Februar 2022 veröffentlicht wurden, als der Ukraine-Krieg begann.

Die chinesischen Ökonomen und geopolitischen Analysten haben das westliche Vorgehen gegen Russland im Ukraine-Krieg eingehend untersucht. Zu den von ihnen vorgeschlagenen Strategien gehören die Schaffung eines globalen Netzwerkes von Unternehmen, die von den USA mit Sanktionen belegt worden sind, die Beschlagnahmung amerikanischer Vermögenswerte in China und die Ausgabe von auf Gold lautenden Anleihen.

„Vor dem Hintergrund des verschärften strategischen Wettbewerbs zwischen China und den USA und des Konflikts um die Straße von Taiwan sollten wir uns davor hüten, dass die USA dieses Modell der Finanzsanktionen gegen China wiederholen“, schreibt Chen Hongxiang, ein Forscher der chinesischen Notenbank. China sollte sich darauf vorbereiten, seine finanzielle und wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen, so der Ökonom.

Die Diskussionen über mögliche Reaktionen auf US-Sanktionen sind in den zwölf Monaten nach Beginn des Ukraine-Kriegs im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres um etwa 50 Prozent angestiegen, wie eine Auswertung der größten chinesischen Datenbank für akademische Literatur zeigt. Allerdings erklärte Chinas Notenbank gegenüber Reuters, dass die von ihren Mitarbeitern verfassten Studien nur deren persönliche Ansichten wiedergeben.

Die nützlichen Erfahrungen aus Russland

Im Zuge der Sanktionen gegen Russland hat der Westen Russlands Devisenreserven in Höhe von 300 Milliarden Dollar eingefroren. Zudem wurden russische Banken aus dem SWIFT-System ausgeschlossen. Für China wäre das Problem jedoch um ein Vielfaches größer. Denn China hält trotz der anhaltenden Reduzierung seiner Dollarreserven weiterhin massiv US-Staatsanleihen, und seine wichtige Exportwirtschaft nutzt weiterhin in großem Umfang SWIFT.

„Das Risiko, dass Chinas Auslandsreserven eingefroren werden, scheint immer näher zu rücken“, schrieb Wang Yongli, Geschäftsführer von China International Futures, einem der größten Vermittler von Rohstoff- und Finanztermingeschäften des Landes. Wang und mehrere Forscher der Notenbank schreiben, dass China im Falle von Sanktionen US-Investment- und Pensionsfonds einfrieren und das Vermögen von US-Unternehmen beschlagnahmen sollte.

Auch unkonventionelle Lösungen für Chinas Abhängigkeit vom Dollar werden diskutiert. So hat etwa Sun Xiaotao, ein Forscher des Center for International Economic Exchanges (CCIEE), im Februar vorgeschlagen, dass China auf mehr Handel in Gold abwickeln sollte, um größere Schwankungen des Yuan zu verhindern. Vorbild ist die russische Zentralbank, die ihre Goldreserven seit Beginn des Ukraine-Krieges um eine Million Unzen aufgestockt hat.

Neben den Finanzsanktionen hat auch Russlands auch umfangreiche Erfahrungen mit Sanktionen gegen seine Rohstoffe gemacht, von denen China lernen kann. Mou Lingzhi von der Shanghaier Akademie für Sozialwissenschaften schrieb im Januar, dass China die Notierung von Rohstoffen wie Lithium, das für Batterien von Elektrofahrzeugen wichtig ist, in Yuan beschleunigen sollte. Vorbild ist die Forderung Russlands, sein Erdgas in Rubel zu bezahlen,

Xia Fan, ein Mitarbeiter der chinesischen Notenbank, schrieb bereits im November letzten Jahres, dass China den Übergang zur Energieabrechnung in Yuan beschleunigen sollte, um die Dominanz des US-Dollars auf dem Ölmarkt zu verringern. Ein entscheidender Fortschritt auf diesem Weg ist die jüngste Ännäherung zwischen China und Saudi-Arabien, mit auch die Verwendung der chinesischen Landeswährung in der saudischen Wirtschaft vorangetrieben wird.

Forscher der China Minmetals Corporation, eines der größten Bergbauunternehmen des Landes, schrieben im Juni dieses Jahres, dass Notfallpläne zur Gewährleistung der Versorgung mit Eisen, Kupfer, Nickel und anderen strategischen Metallen erforderlich seien. Sie wiesen darauf hin, dass russische Nickelprodukte als Folge des Krieges in der Ukraine von der Londoner Metallbörse ausgeschlossen wurden.

Andere Forscher forderten einen neuen Wirtschaftsverband zum Schutz gegen Sanktionen. Ye Yan, Ökonom bei der China National Oil and Gas Exploration and Development Company, schrieb im Januar, dass das billigere russische Öl, in dessen Genuss China infolge der Sanktionen gekommen ist, ein Modell für ein Netz von Unternehmen geschaffen habe, das den Mitgliedsländern den Handel mit verbilligten Waren ermöglichen würde.

Sanktionen würden dem Westen selbst schaden

Viele chinesische Forscher warnen, dass ein Sanktionsstreit mit dem Westen für China weitaus schädlicher sein könnte als für Russland. Denn die chinesische Wirtschaft ist abhängiger von ausländischer Spitzentechnologie und von Rohstoffimporten. Einige chinesische Forscher vertreten daher die Ansicht, dass eine Verstärkung der wechselseitigen Abhängigkeit zum Westen ein besserer Ansatz sein könnte, als ein Kappen der Abhängigkeit.

Yu, ein ehemaliger Berater der Notenbank, betrachtet es in seinem Papier als unwahrscheinlich, dass die USA Billionen von Dollar beschlagnahmen oder sich weigern würden, das Kapital und die Zinsen für die von China gehaltenen US-Staatsanleihen zu zahlen." Aufgrund der engen wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu China würden die USA nicht „tausend Feinde töten und achthundert eigene verletzen“, so Yu.

Wang, der Beamte von China International Futures, argumentierte letztes Jahr ähnlich und stellte fest, dass Gold aufgrund der Kosten und Risiken, die mit dem Transport und der Lagerung großer Mengen des Metalls verbunden sind, kein praktischer Ersatz für Dollarreserven sei. Daher schlagen viele Forscher vor, dass China seine Finanzmärkte weiter öffnet, um die Interessen der USA, ihrer Verbündeten sowie von Unternehmen aus diesen Ländern mit China zu verknüpfen.

China könnte sich auch Risse innerhalb der Staaten des Westens zunutze machen. „Einen breiten internationalen Konsens für eine Sanktionskoalition gegen China zu erreichen, wäre um Größenordnungen schwieriger als bei Russland, da das Investitionsvolumen dort viel größer ist und man auf den dortigen Markt angewiesen ist“, zitiert Reuters Martin Chorzempa vom Peterson Institute for International Economics in Washington.

Um ihre Abhängigkeiten von China zu verringern versuchen EU und USA derzeit, die Lieferketten zu diversifizieren und die benötigten Chips selbst zu produzieren. Doch auch China ist weniger abhängig geworden. China hätte mehr Möglichkeiten zur Umgehung der Sanktionen als Russland, sagt Chorzempa. „Und seine Fähigkeit, ausländische Technologien durch einheimische Produktion zu ersetzen, ist viel stärker als die Russlands.“

In Anbetracht der relativ guten wirtschaftlichen Entwicklung in Russland – trotz aller Sanktionen – scheinen die chinesischen Sorgen übertrieben. Denn Russland zeigt der Welt derzeit nicht nur, dass die militärische Macht des Westens Grenzen hat, sondern auch dass die Wirkung von Sanktionen begrenzt ist. Selbst wenn der Konflikt des Westens mit China nicht eskalieren sollte, stehen die Zeichen auf eine multipolare Welt. Gold spielt dabei eine wichtige Rolle.


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