Weltwirtschaft

Chinas Westen: die neue Werkbank der Welt?

Lesezeit: 3 min
31.10.2023 11:08  Aktualisiert: 31.10.2023 11:08
Chinas Wirtschaft ist ins Wanken geraten. Um ihre „Erholung zu festigen“, werden große Schuldenberge aufgenommen. Doch auch eine Neuausrichtung der Produktion wird von Peking geplant. Wie sehen diese Pläne aus und können sie funktionieren?

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Chinas Wirtschaftskraft geriet zuletzt heftig ins Wanken. Die Gründe dafür waren vielfältig, eine riesige Immobilienblase, die Spätwirkungen der Corona-Pandemie und eine grassierende Jugendarbeitslosigkeit bei gleichzeitiger Alterung der Bevölkerung sind nur einige der Hauptprobleme. Doch China greift zu verblüffend simplen Lösungen, die diese Probleme beenden könnten.

Lange Zeit galt China als die Werkbank der Welt. Doch im Zuge der Multipolarisierung der Welt und der steigenden Lohnkosten vor Ort könnte sich dieses Verhältnis verändern. Denn Chinas ehemals günstigen Miet- und Lohnkosten für Produzenten sind gestiegen, die Firmen suchen nach günstigeren Arbeitskräften und Standorten und ziehen sich aus der Ostküste des Landes sukzessive zurück.

Lange sah es so aus, als ob China seine Fabriken verlagern und in Afrika die neue Werkbank der Welt etablieren wolle. Das seit 2000 bestehende Forum für China-Afrika-Kooperation führte dazu, dass heute über 10.000 chinesische Firmen in Afrika produzieren. Doch dabei geht es eher um die Ernährungssicherheit und die Versorgung Chinas mit Seltenen Erden und weiteren wichtigen Rohstoffen, die in großer Menge von afrikanischen Arbeitern abgebaut werden. Die großen Investitionen, die den Kontinent stabilisieren und eine Partnerschaft auf Augenhöhe schaffen sollen, stellen aber keine Verlagerung der klassischen Werkbank dar.

Chinas Werkbank wird verlegt

Tatsächlich ist es das Inland Chinas, das sich in den letzten Jahren weiterentwickelt hat und jetzt von Peking als verlängerte Werkbank genutzt wird. So kann der Rote Riese seine Dominanz in der globalen Fertigung behaupten und sogar ausbauen. Die Exporte aus Chinas Mitte und Westen wachsen seit 2021 schneller als die der chinesischen Küste, aber auch deutlich stärker als die rivalisierender Standorte wie Vietnam, Indien oder Mexiko. 15 der Provinzen in Chinas Hinterland konnten ihre Exporte seit 2018 sogar um 94 Prozent steigern.

Durch die Schaffung neuer Lieferketten vonseiten US-amerikanischer Importeure profitierten auch Länder wie Vietnam, Indien und Mexiko, die aber lediglich Exportsteigerungen von durchschnittlich 47 Prozent erreichen konnten. Aber auch Chinas Ostküste bleibt ein sogenanntes Powerhouse. So wurden in Provinzen wie Guangzhou, Shanghai und Shenzhen Waren im Wert von 2,7 Billionen Dollar zwischen August 2022 und August 2023 gefertigt und in den Westen exportiert.

Dass nun Chinas Zentrum und Westen an wirtschaftlicher Bedeutung zunehmen, hat unterschiedliche Gründe. Während in den 1990er- und 2000er-Jahren chinesische Arbeitnehmer an die Küste zogen und dort zu harter Arbeit in den Fabriken bereit waren, ist die nachfolgende Generation besser gebildet und erhofft sich bessere Arbeitsbedingungen. Um aber die Werkbank am Laufen zu halten, braucht es günstige und disziplinierte Arbeitskräfte. Diese finden sich im Zentrum und im Westen des Landes, wo viele rurale Gebiete einen deutlich geringeren Wohlstand aufweisen, dafür aber eine gute Infrastruktur und viele potenzielle Arbeitskräfte, die dem bäuerlichen Leben entkommen wollen.

Günstigere Fabrikflächen, Arbeitskosten und lockere Bestimmungen etwa zum Umweltschutz erleichtern die Übersiedlung für Unternehmen in Provinzen wie Hunan oder Guangxi. Diese können hier um bis zu 30 Prozent günstiger produzieren als an der Küste. Dieser Trend wird sich in Zukunft verstärken. So produziert die zentrale Provinz Hubei mit 58 Millionen Einwohnern seit 2018 im großen Stil Textilien, schwerindustrielle Waren, Chemie, Fahrzeuge und Metalle.

Wächst Chinas Wirtschaft weiter?

Viele westliche Staaten versuchen, ihre Lieferketten zu diversifizieren und Abstand von China zu nehmen. Dabei wird beinahe schon zwanghaft nach Lösungen gesucht, wie die Volksrepublik vermieden werden kann. Jüngste Zahlen suggerieren zudem, dass sich Pekings Wirtschaft nur langsam von der Corona-Pandemie und dem Handelskrieg mit den USA erholt. Xi Jinpings Aufnahme riesiger Kredite zur Wiederbelebung des chinesischen Wirtschaftsmotors wird von einigen Beobachtern als Akt der Hilflosigkeit begriffen. Doch es wäre verfrüht, den Abstieg des Reichs der Mitte vorherzusehen.

Auch wenn China vor großen Herausforderungen steht — die rückläufige Geburtenrate, Konkurrenz in Indochina und das wachsende Misstrauen vonseiten westlicher Handelspartner bilden nur die Spitze des Eisbergs — zeigt sich aufs Neue, dass das Land robuster ist, als viele Beobachter in Europa und den USA es zunächst vermutet hatten. Denn China lernt derzeit, Sanktionen zu umgehen und sich selbst vom Westen zu entkoppeln. Auch schafft Peking es, mit der Nutzung des eigenen Hinterlandes seinen Status als günstige und effektive Werkbank beizubehalten.

Während die meisten großen Volkswirtschaften im Zuge der Industrialisierung ihr produzierendes Gewerbe schrittweise abbauten, behielt China es bei. „China produziert alles. Von Halbleitern bis hin zu Schuhen und Kleidern“, sagt Louise Loo, Chefökonomin von Oxford Economics. Eine hervorragende Infrastruktur, günstige Logistik und enorm niedrige Standortkosten im Zentrum und Westen des Landes beflügeln erneut die chinesische Wirtschaftskraft.

Es liegt nun am Westen, diesem Handelspartner auf Augenhöhe zu begegnen oder nach vermeintlichen Alternativen zu suchen. Diese Alternativen, seien es Mexiko, Indien, Bangladesch oder Vietnam, stehen aber derzeit vor der Herausforderung, die gigantische Kraft und Flexibilität Chinas auch nur ansatzweise zu imitieren. Ob ihnen das gelingt, bleibt fraglich.

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Virgil Zólyom, Jahrgang 1992, lebt in Meißen und arbeitet dort als freier Autor. Sein besonderes Interesse gilt geopolitischen Entwicklungen in Europa und Russland. Aber auch alltagsnahe Themen wie Existenzgründung, Sport und Weinbau fließen in seine Arbeit ein.


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