Finanzen

Anleger ignorieren Warnungen der EZB, wetten auf Zinssenkung

Entgegen allen Warnungen der EZB wetten die Märkte auf baldige Zinssenkungen. Damit stellen sie die Geldpolitik auf eine harte Probe. Gibt Lagarde dem Druck nach?
Autor
01.12.2023 10:15
Aktualisiert: 01.12.2023 10:15
Lesezeit: 2 min
Anleger ignorieren Warnungen der EZB, wetten auf Zinssenkung
Mit Zinswetten stellen die Märkte EZB-Präsidentin Christine Lagarde vor ein Problem. Soll sie sich dem Druck beugen. (Foto: dpa) Foto: Boris Roessler

In Deutschland lag die Inflationsrate im November nur noch bei 3,2 Prozent. Und auch in anderen Staaten der Eurozone lag die Inflation überraschend niedrig. In der Folge wetten Händler nun nicht nur auf einen früheren Start der Zinssenkungen, sondern zudem auf tiefere Zinswerte. Die eindringlichen Warnungen der EZB, dass solche voreiligen Wetten das genaue Gegenteil bewirken würden, möglicherweise sogar einen weiteren Zinsanstieg, werden an den Märkten ignoriert.

Eine Senkung des Einlagensatzes der EZB um 0,25 Prozentpunkte ist nun für April vollständig eingepreist, und die Wahrscheinlichkeit einer Senkung bereits im März liegt nun bei fast 50 Prozent, berichtet Bloomberg mit Verweis auf die Swaps, die an die Sitzungstermine der Europäischen Zentralbank gebunden sind. Vor etwas mehr als einem Monat war man noch davon ausgegangen, dass die erste Zinssenkung erst im Juni eingeleitet werden wird.

Zudem wetten die Märkte derzeit auf vier Lockerung um jeweils 0,25 Prozentpunkte im Verlauf des kommenden Jahres. Und die Wahrscheinlichkeit einer fünften Senkung um weitere 0,25 Prozentpunkte wird an den Märkten derzeit mit 70 Prozent bewertet. Mit fünf Senkungen würde der Einlagensatz von seinem derzeitigen Rekordwert von 4 Prozent wieder auf 2,75 Prozent zurückgehen. Noch letzte Woche wurde auf nur drei Zinssenkungen gewettet.

Die Anpassung der Zinswetten folgt auf Daten vom Donnerstag, die zeigen, dass die Inflation in Frankreich stärker zurückgegangen ist, als von allen von Bloomberg befragten Ökonomen erwartet worden war. Die später veröffentlichten Zahlen für den gesamten Euroraum bestätigen die starke Verlangsamung der Inflation. Die Verbraucherpreise in der Eurozone insgesamt stiegen im November um 2,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Märkte wetten gegen die EZB

Die Überzeugung der Märkte, dass die EZB ihre restriktive Politik aufgeben wird, wächst trotz aller Warnungen von hohen Vertretern der Notenbank, dass die Kreditkosten noch für einen längeren Zeitraum hoch bleiben werden. Daher hat etwa das belgische EZB-Ratsmitglied Pierre Wunsch jüngst damit gedroht, dass die Wetten des Marktes auf eine „Lockerung“ das genaue Gegenteil bewirken könnten, dass nämlich die EZB die Zinsen noch weiter erhöht.

Auch europäische Anleihen profitierten von den allgemeinen Erwartungen am Markt, dass die Zinsen früher wieder sinken werden. Die Anleihekurse setzten damit eine starke monatliche Rallye fort, die dazu führte, dass die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen um 40 Basispunkte fiel, so viel wie seit Juli 2022 nicht mehr. Auch der Euro verzeichnete leichte Verlusten gegenüber anderen Währungen, da die erwartete „Lockerung“ seinen Wert mindern würde.

Die zehn aggressiven Zinserhöhungen der EZB seit Sommer 2022 belasten weiterhin das Wirtschaftswachstum der Eurozone. Zudem sind die Energiepreise im Verlauf der letzten zwölf Monaten sogar wieder etwas gesunken, nachdem sie durch den Konflikt mit Russland stark angestiegen waren, sodass sich die Inflationsrate nun wieder dem EZB-Ziel von 2 Prozent nähert. Der nächste Zinsentscheid der EZB steht am 14. Dezember an.

Die Märkte wetten auch auf frühere Zinssenkungen durch Federal Reserve, indem sie eine erste Senkung bereits im Mai voll einpreisen und für das gesamte nächste Jahr eine Lockerung um insgesamt 121 Basispunkte vorhersagen, gegenüber 84 Basispunkten am Freitag letzter Woche. Fed-Gouverneur Christopher Waller sagte Anfang der Woche, dass das derzeitige Zinsniveau gut geeignet sei, die Wirtschaft zu bremsen und die Inflation zu senken.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Politik
Politik Venezuela-Manöver: Maduro reagiert auf US-Flugzeugträger in der Karibik
12.11.2025

Während die USA ihren größten Flugzeugträger in die Karibik schicken, reagiert Venezuela mit einem massiven Militärmanöver....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grüner Wasserstoff aus Dänemark: Export nach Deutschland eröffnet Chancen für die grüne Transformation
12.11.2025

Dänemark produziert grünen Wasserstoff im Überfluss, doch der heimische Markt bleibt hinter den Erwartungen zurück. Kann das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft "Wirtschaftsweise": Auch 2026 kein spürbarer Aufschwung
12.11.2025

Die deutsche Wirtschaft kommt auch 2026 kaum voran. Der Sachverständigenrat warnt vor fehlendem Aufschwung, kritisiert den Einsatz des...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kontrolle von Krankschreibungen: Wie Unternehmen Fehlzeiten effektiv prüfen
12.11.2025

Die Kontrolle von Krankschreibungen wird für Unternehmen zunehmend wichtiger, um Fehlzeiten und Missbrauch effektiv zu managen. Doch wie...

DWN
Finanzen
Finanzen Bayer-Aktie: Milliardenschwere Glyphosat-Klagen belasten Konzern
12.11.2025

Die Bayer-Aktie steht erneut unter Druck: US-Rechtsstreitigkeiten um Glyphosat und PCB zwingen den Konzern zu hohen Rückstellungen,...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis-Prognose 2026: Rohstoffexperten sehen weiteren Kursanstieg
12.11.2025

Laut aktuellen Prognosen dürften 2026 sowohl Edelmetalle als auch Industriemetalle weiter ihren Wert steigern. Analysten und Händler...

DWN
Politik
Politik COP30 in Brasilien: So sollen Milliarden die grüne Transformation und das Klima sichern
12.11.2025

Auf dem Klimagipfel COP30 in Belém stehen nicht nur ökologische Ziele im Mittelpunkt, sondern vor allem die Finanzierung der globalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation: Keine Entlastung für Verbraucher in Sicht
12.11.2025

Die Inflation in Deutschland verliert an Tempo – doch im Alltag spüren viele davon wenig. Zwar sind Energie und manche Lebensmittel...