Laut dem Bundesarbeitsministerium arbeiten über eine Millionen Menschen aktuell in Deutschland, die älter als 67 Jahre sind. Die Graphiken auf der Seite des Ministeriums zeichnen ein klares Bild und zeigen, dass die Erwerbstätigenquote insbesondere der 60 bis 64-Jährigen sich im Vergleich zu den übrigen Erwerbstätigen seit dem Jahr 2000 verdreifacht hat.
Das Land steht vor einem Problem, dass sich „Fachkräfteparadox“ nennt und stetig zunimmt. Schuld daran ist der Strukturwandel von der traditionellen zur digitalen Gesellschaft und hin zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Es führt zu einem Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt, indem es in einigen Branchen und Regionen zu wenige Fachkräfte gibt, in anderen zu wenige Arbeitsplätze. Insbesondere die demografischen Veränderungen tun ihre Wirkung. Die sogenannte Babyboomer-Generation scheidet zunehmend aus dem Erwerbsleben aus. Vakant werdende Arbeitsplätze können nicht mit ausreichenden Nachwuchskräften nachbesetzt werden, insbesondere bleiben Ausbildungsberufe unbesetzt. Zugleich verändern sich durch den digitalen Wandel viele Berufsfelder, sodass es in einigen Branchen und Regionen zu Arbeitsplatzabbau kommt.
Insbesondere im Bildungswesen gibt es massive Defizite. Offene Lehrerstellen können kaum nachbesetzt werden, sodass bis 2025 mindestens 25.000 Lehrkräfte fehlen werden. Viele Bundesländer versuchen daher Lehrkräfte dafür zu gewinnen, ihren Eintritt in Pension oder Rente hinauszuschieben oder stundenweise aus dem Ruhestand in den Schulunterricht zurückzukehren. Auf diese Weise konnten laut dem Deutschen Schulportal bereits mehr als 5.000 Lehrkräfte bundesweit für einen Verbleib oder Wiedereinstieg in den Schuldienst gewonnen werden. Allerdings gemessen an den knapp 800.000 Lehrerinnen und Lehrern im Schulsystem macht das nicht einmal ein Prozent aus.
Die Motivation der Älteren
Der wohlverdiente Ruhestand kommt für viele trotz Erreichen der Altersgrenze nicht immer in Frage. Zu fit, zu wenig Rente oder zu viel Spaß bei der Arbeit sind Gründe, die ältere Arbeitnehmer motiviert weiterzumachen. Die Unternehmen profitieren in vielerlei Hinsicht davon. Sie können auf die langjährige Erfahrung ihrer älteren Mitarbeiter bauen, sparen sich Einarbeitungszeit und Bewerbungsverfahren und können so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Es gilt zwar eine gesetzlich festgelegte Regelaltersgrenze, aber die ist nicht in Stein gemeißelt. Das Erreichen dieser Grenze führt nicht automatisch zur Beendigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Dazu bräuchte es erst eine Aufhebungsvereinbarung oder die Kündigung. Das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze allein ist kein Grund, der eine Kündigung erlaubt oder rechtfertigt. In der Regel wird die Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsvertraglich oder tariflich geregelt. Kommt es zur Erreichung der Regelaltersgrenze, so endet der Vertrag dann automatisch. Möglich ist es, über diesen Zeitpunkt hinauszuarbeiten in Abstimmung mit dem Arbeitgeber und ihn auch mehrfach über den Rentenbeginn hinauszuschieben.
Fachkräftestrategie der Bundesregierung
In der neuen Fachkräftestrategie der Bundesregierung werden alle Register gezogen, um auch diesem Problem entgegenzuwirken. Ältere Erwerbstätige spielen dabei eine Rolle. Jeder zweite Bürger in Deutschland ist aktuell bereits älter als 45 Jahre und jeder fünfte ist älter als 66 Jahre. Der Staat möchte die Möglichkeiten reifere Erwerbstätige zu beschäftigen in Zukunft noch besser ausschöpfen. Seit Januar 2023 kann daher zu der Altersrente unbegrenzt hinzuverdient werden. Dies gilt auch, wenn eine vorgezogene Altersrente bezogen wird. Bisher galt für letzteres eine Hinzuverdienstgrenze von 6300 Euro im Jahr. Somit können Betroffene den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibler gestalten. Rente und Arbeitsentgelt parallel stellen keinen Widerspruch mehr da und gefährden nicht den Rentenanspruch. Im Gegenteil, es gibt sogar Vorteile bei der Rente. Werden weiter Versicherungsbeiträge bezahlt, erhöht sich dadurch einmal im Jahr die Rente. Wird der Rentenbeginn hinausgezögert, bekommt man Zuschläge. Ab Erreichen der Regelaltersgrenze ist man grundsätzlich versicherungsfrei. Es müssen selbst keine Beiträge zur Rentenversicherung mehr gezahlt werden. Davon unberührt bleiben die Beiträge des Arbeitsgebers, die weiterhin abgeführt werden müssen. Wird auf die Versicherungsfreiheit verzichtet und weiter auch eigene Rentenversicherungsbeiträge gezahlt, dann erhöht sich die Rente in doppelter Hinsicht, durch die eigenen Beiträge und durch die des Arbeitgebers. Ein anderer Vorteil, den es für jeden Monat, der über die Regelaltersgrenze hinaus gearbeitet wird gibt, ohne Rente zu beziehen, ist ein Rentenzuschlag von 0,5 Prozent. In einem Jahr kommen so schnell 6 Prozent hinzu.
Neue Pläne der Politik
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann plädierte Ende September für eine sogenannte „Aktivrente“. Diese sieht vor, dass für Beschäftigte im Rentenalter bis zu 2000 Euro im Monat ihres Einkommens steuerfrei bleiben. In Summe wären das bis zu 24.000 Euro steuerfreies Einkommen im Jahr. Der Vorschlag wurde allerdings von Politikern der Linken und der Regierungsparteien SPD und FDP abgelehnt. Wirtschaftsminister Robert Habeck schlägt vor, dass die bisherigen Beiträge der Arbeitgeber zur Renten- und Arbeitslosenversicherung an die älteren Beschäftigten ausgezahlt werden. Das Thema ist noch nicht zu Ende gedacht. Die SPD sieht Anreize für ältere Arbeitnehmer als den falschen Weg, da bestimmte schwer körperlich arbeitende Berufe wie Pflegepersonal oder Bauarbeiter aufgrund von eigenen körperlichen Einschränkungen nicht davon im Alter profitieren könnten. Im Gegenteil, sie wäre eher benachteiligt durch Abschläge wegen eines früheren Renteneintritts und weil Erwerbsfähige durch die Steuerfreiheit bevorzugt würden.
Nicht jeder will länger arbeiten
Doch die Vorschläge finden ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Wünsche der Betroffenen statt. Denn laut einer deutschlandweiten Umfrage unter 2500 Erwerbstätigen des Demographie Netzwerks (ddn) möchten knapp zwei Drittel, wenn sie es sich frei aussuchen könnten, nicht länger als bis 63 Jahre arbeiten. Ein gutes Drittel würde sogar bereits mit 61 Jahren oder früher aufhören wollen. Insgesamt zeigt die Befragung, dass im Vergleich zu den Vorjahren die Bereitschaft länger zu arbeiten etwas gestiegen ist. Unterschiede gibt es je nach beruflicher Qualifizierung. Insbesondere leitende Angestellte sind zu einer Weiterarbeit bereit. Geld ist zwar motivierend, aber laut der Befragten würden 41,1 Prozent bei der freien Wahl der Arbeitszeit klar ihre Präferenzen für eine Weiterbeschäftigung sehen. Erst dann (40 Prozent) kommt das Thema Geld bei ihnen in Form von „mehr Gehalt“ zur Sprache. Ebenso wichtig für eine Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus sind eine freie Wahl des Arbeitspensums und die Wertschätzung durch Vorgesetze.