Der Klimaschutz erobert jetzt allmählich auch die Immobilienwirtschaft. Das wird aus dem RICS-Report 2023 deutlich. Mehr als die Hälfte der Befragten weltweit berichtet, dass die Nachfrage der Mieter nach grünen und nachhaltigen Gebäuden in den letzten 12 Monaten zugenommen hat.
Aus den geführten Interviews geht aber auch hervor, das insbesondere der Mangel bei den Messungen die Baubranche daran hindert, die Netto-Null-Ziele der Dekarbonisierung auch wirklich zu erreichen.
Bauwirtschaft hat zu lange traditionell gebaut
Die Immobilien- und Bauwirtschaft ist einer der größten Verursacher von C02-Emissionen weltweit. Das der Klimawandel hier ein Umdenken erfordert, spricht sich allerdings viel zu langsam herum. „Die Bauwirtschaft ist eine zähe Branche“, sagt Susanne Eickermann-Riepe, Europa-Vorsitzende des weltweit tätigen Verbandes von Immobilien-Experten RICS. Die Beharrungskräfte der Firmen seien enorm. „Die Branche hat insbesondere in Deutschland zu lange sehr traditionell gebaut“, kritisiert Eickermann-Riepe. Entsprechend schwer falle es vielen Unternehmern nun, sich auf die veränderten Anforderungen des neuen Bauens anzupassen. Zum Bespiel, dass die Digitalisierung endlich auch auf den Baustellen eingeführt werden muss.
Kaum zu schaffen: 50 Prozent weniger Emissionen bis 2030
Das politische Ziel der Dekarbonisierung ist gesetzt: Bis 2050 soll diese bei netto Null im Immobilienbereich liegen. Bis 2030 sollen die Emissionen von grauem Kohlenstoff im Gebäudebereich um 50 Prozent reduziert werden. Nach Einschätzungen der RICS-Experten dürfte diese Zeile kaum mehr rechtzeitig zu erreichen sein. Die Immobilienwirtschaft reagiere „zu langsam und nicht ausreichend effektiv“, bemängelt Susanne Eickermann-Rispe. Ihr Kollege Jens Böhnlein von der Commerz Real AG kennt auch den Grund: „Andere Themen dominieren derzeit.“ Der Fortschritt lässt auf sich warten.
Große Hoffnungen setzen die RICS-Experten deshalb in den Kapitalmarkt, dass Bauherren und Investoren gänzlich neue Bedingungen und Regeln aufstellen. Wer in Zukunft nicht hinreichend dokumentieren kann, dass er umweltschonende Baustoffe verwendet, die Kreislaufwirtschaft beim Recycling und der Wiederverwendung von Baumaterialien beherzigt und sein geplantes Gebäude von vornherein möglichst Energie-effizient plant und ausrichtet, der werde am Markt das Nachsehen haben und seine Gebäude nicht ohne erhebliche Abschläge veräußern können. Das beweist auch die RICS-Report: In Europa sind 27 Prozent der Befragten der Meinung, dass grüne Merkmale einen erheblichen Einfluss auf den Kapitalwert einer Immobilie haben.
Die Angst vor der zweiten Miete schärft das Bewusstsein
Auch die Nutzer stimmen inzwischen mit den Füßen ab, in welchen Gebäude sie künftig arbeiten und leben wollen. Die Indoor-Quality steht dabei an der Spitze, das Raumklima, die Belüftungsverhältnisse. Aber auch die Biodiversität im Umfeld ist zunehmend gewünscht. Die ausgewerteten Daten bestätigen ein wachsendes Bewusstsein, vor allem in Europa. Firmen oder institutionelle Mieter stellen klare neue Anforderungen.
Am Markt werden Wärmepumpen verlangt bei neuen Gebäuden - und auch Solaranlagen goutiert. „Die Mieter werden über kurz oder lang verstärkt Warmnieten von ihren Hauseigentümern verlangen - das Pauschalieren von Kosten ist im Trend“, so die Einschätzung Eickermann-Riepes. Da zeichne sich vor allem am gewerblichen Immobilienmarkt ein Paradigmenwechsel ab.
Klima-Fußabdruck versteckt sich im Gebäudebestand
Dass die CO2-Preise die Energiekosten immer weiter antreiben, diese Erkenntnis habe sich weitgehend herumgesprochen. Die „Angst vor der zweiten Miete“ stehe bei den Nutzern „weit oben auf der Agenda“. Sie ahnen, dass die Anpassungen der Politik hier erst am Anfang stehen und die Rechnung in Zukunft noch viel teurer ausfällt. Da gilt es, Weichen zu stellen und vorzusorgen.
Aus Sicht der RICS-Experten wäre allerdings „sehr wünschenswert“, dass der Öffentlichkeit endlich bewusst wird, dass der C02-Fussabdruck zu 98 Prozent im Bestand versteckt liegt - in sogenannten embedded Carbon-Molecules. Nicht der Neubau bereitet die großen Sorgen, obwohl er die politischen Debatten bestimmt, sondern die Notwendigkeit des Retro-Fittings bestehender Gebäude.
Insbesondere Büro-Gebäude und Gewerbe-Immobilien aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahre, die in puncto Energieeffizienz inzwischen wie Dinosaurier anmuten und am Immobilienmarkt nur noch erschwert abzusetzen sind, sind in Deutschland das eigentliche versteckte Problem. RICS-Experte Böhnlein wünscht sich, dass dies von Eigentümern als Chance wahrgenommen wird und vor allem die Nutzer die Umwandlung entsprechender Gebäude „als neues Sexy entdecken“ mögen. Durch Abriss und Neubau verdoppeln und verdreifachen sich die CO2-Werte.
Auch deshalb erwartet Böhnlein, dass die CO2-Bepreisung als Steuerungsgröße noch erheblich angepasst werden muss. „Der Preis ist immer noch deutlich zu niedrig und spielt in der Bilanz eines Gebäudes bislang keine entscheidende Rolle“, glaubt Böhnlein. Dies wird von den Umfrage-Ergebnissen des RICS-Reports gedeckt. Die Immobilienwirtschaft weltweit sieht bislang „weder Belohnung noch Repressalien“ auf sie zukommen.
Erst mit einer effektiven Digitalisierung im gesamten Bauprozess werde dies allmählich offen zu Tage treten und das Bewusstsein aller Akteure gründlich schärfen.
Warum Investoren der Vorwurf der Gewerblichkeit ausbremst
Eine ganz wesentliche Rolle als Antreiber spielt bei den Dekarbonisierungs-Anstrengungen der mündige Bürger und schlaue Anleger, der mit seinem Kapital längst bereit wäre, die erforderlichen Maßnahmen zum Klimaschutz zu unterstützen. Zum Beispiel durch mutige Investitionen in Photovoltaik oder Geothermie. Wobei die Politik leider immer noch nicht das Problem ausgeräumt hat, dass sich diese Pioniere des Klimaschutzes ganz schnell vom Fiskus dem Vorwurf der Gewerblichkeit aussetzen.
Die RICS wollen hierbei als Interessenverband „jetzt einen zweiten Anlauf nehmen“, verspricht Europa-Board-Chefin Eickermann-Riepe. Die steuerlichen Rahmenbedingungen sollten sich ändern und Anreize geschaffen werden - es müsse nicht immer nur das Füllhorn der Förderungen ausgeschüttet werden. Die Verantwortlichen müssten sich vielmehr fragen, ob mehr Solar-Panels auf dem Dach nicht viel schneller zum Ziel führen, als finanziell vornehmlich die ökologisch fragwürdige Fassaden-Dämmung zu unterstützen.
Insgesamt geben sich die RICS-Experten zuversichtlich: „Gute Lage, gutes Gebäude, dann müsse man sich keine Sorge machen“, glaubt Susanne Eickermann-Riepe und macht Investoren Mut. Die Anstrengungen würden vom Markt langfristig sicher belohnt.