Spätestens seit 2020 reihte sich eine Krisenmeldung an die nächste, um Deutschlands schwächelnde Wirtschaft zu erklären. Und durchaus waren und sind die Covid-Pandemie, der Ausbruch des Ukrainekriegs und der Eintritt großer Teile der Baby-Boomer-Generation ins Rentenalter disruptive Ereignisse, die die Wirtschaftsleistung Deutschland nachhaltig beeinflussen.
Auch Spannungen im Nahen und Mittleren Osten, die den Handel zwischen Asien und Europa beeinträchtigen, bedrohen die wirtschaftliche Dynamik. Doch es gibt Mechanismen, die das Wachstum der Bundesrepublik Deutschland unnötigerweise hemmen, und damit nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas Stellung in der Welt gefährden.
Wirklich besorgniserregend war die Meldung des Statistischen Bundesamts, dass das reale Bruttoinlandsprodukt Deutschlands zwischen Dezember 2022 und Dezember 2023 um 0,3 Prozent gesunken sei. Damit liegt die Bundesrepublik hinter großen Wirtschaftskräften der Eurozone wie Frankreich, Italien und Spanien zurück. Die Gründe für den Abschwung sind vielfältig: Eine schwache Konjunktur in China, sinkende Absätze des Automobilsektors, horrende Energiepreise und ein Anstieg von Fehltagen und Bevorzugung der Teilzeitarbeit unter Arbeitnehmern gehören dazu. Doch was droht Europa, wenn sich der Trend in Deutschland zum Abschwung fortsetzt?
„Europas Wachstumsmaschine ist kaputt“
Welche Folgen hätte ein langfristiger Abstieg Deutschlands für die europäische Wirtschaft? Es lohnt sich, die Perspektive zu erweitern und einen Blick auf das wirtschaftliche Gefüge der EU 27 zu werfen. Denn die Verflechtung ist eng, und wenn Deutschlands Wirtschaft stagniert, droht sich dieser Trend auch auf die Nachbarstaaten auszuweiten. So schrieb das Wall Street Journal kürzlich, Europas Wachstumsmaschine ist kaputt gemeint war die Bundesrepublik.
Demnach sei die Produktion etwa in der Autoindustrie um 25 Prozent niedriger als noch in den 2010er-Jahren, zudem schrumpfe sie kontinuierlich. Hohe Energiepreise, eine wachsende Konkurrenz aus China und den USA, Firmenabwanderungen und besonders hohe Standortkosten, insbesondere für Energie, verschärften diesen Trend. Infolgedessen meldete das Nürnberg Institut für Marktentscheidungen (NIM), das deutsche Konsumklima sinke überraschend stark, wodurch wiederum Profite der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) bedroht werden.
Die deutsche Wirtschaft hatte zwar schon schwerere Krisen überwunden. Unvergessen sind etwa der starke wirtschaftliche Abschwung in den Jahren 2008 und 2009, aber auch die 90er-Jahre, in denen die ostdeutsche Wirtschaft in die Bundesrepublik Deutschland integriert werden musste, standen für Zeiten voller Ungewissheiten und Pessimismus. Diesmal ist aber der gesamteuropäische Handel stärker betroffen als je zuvor.
Die Bedeutung der deutschen Wirtschaft für die EU
In Deutschland leben 19 Prozent der Bevölkerung der EU 27, hier werden insgesamt 25 Prozent des BIP des Wirtschaftsraums erarbeitet. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 17 Prozent, in Italien 12 und in Spanien acht. Fällt dieser wirtschaftliche Motor, droht die gesamte EU zu schrumpfen. Denn Deutschland bezieht 52 Prozent seiner Importe aus der EU, gefolgt von Asien mit 23,2 Prozent und Resteuropa mit 10,9 Prozent, wobei das Vereinigte Königreich ein wichtiger Handelspartner ist. Die Bundesrepublik ist zum wichtigsten Absatzmarkt für Länder wie Tschechien, Polen, Ungarn, Rumänien und die Slowakei avanciert.
So heißt es in einer von Prognos veröffentlichten Studie zur Bedeutung der deutschen Wirtschaft in Europa:
„Insgesamt erwirtschaften die EU-Mitgliedstaaten 2,2 Prozent ihrer Bruttowertschöpfung (rund 290 Milliarden Euro) durch Exporte nach Deutschland. Eine stagnierende wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland hätte erhebliche Auswirkungen auf die europäischen Nachbarn – weit mehr als ein Nullwachstum in Frankreich und Italien, deren Handelsbeziehungen mit anderen EU-Ländern weniger ausgeprägt sind.“
Zwischen 25 und 33 Prozent der Exporte dieser Länder gingen nach Deutschland und stünden somit in besonderer Abhängigkeit von der Bundesrepublik. Schließlich würden insbesondere die Länder Zentral- und Mitteleuropas von einem Wirtschaftswachstum Deutschlands profitieren, wiederum sei ihr Beitrag zum ökonomischen Erfolg der EU signifikant.
Deutschland — wieder der kranke Mann Europas?
Zwar sind einige Ökonomen trotz der beunruhigenden Meldungen optimistisch, so sei die Arbeitslosenrate in der Bundesrepublik und auch die Staatsverschuldung besonders niedrig. Etwa der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, konstatiert, Deutschland habe sich schon auf höhere Energiekosten und ein langsameres Wachstum in China eingestellt und die BRD könnte einen überproportionalen Aufschwung erfahren, wenn der Welthandel sich erholt. Doch nicht alle Experten teilen diese Ansicht.
Immerhin war es in großen Teilen China, das den neuerlichen ökonomischen Aufschwung Deutschlands ermöglichte. Doch seit der Covid-Pandemie im Jahr 2020 erwuchs in der ehemaligen Werkbank der Welt ein zuweilen gefährlicher Konkurrent, der zunehmend die westlichen Kernindustrien übernimmt und die globale Weltordnung zu seinen Gunsten auslegt. Parallel dazu fahren auch die USA einen protektionistischen Kurs, der, unabhängig vom amtierenden Präsidenten, einen immer größeren Keil in die wirtschaftliche Kooperation Europas und der USA treiben dürfte. Um Europas Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren, führt letztlich kein Weg daran vorbei, seine Wachstumsmaschine zu stärken. Andernfalls könnte die BRD wieder den Status des „kranken Mann Europas“ erhalten, was mittlerweile eine Gefahr für die gesamte EU bedeuten würde.