Die trübe Stimmung zeichnete sich schon im Herbst an der französisch-spanischen Grenze ab, als auf der A9 bei Le Boulou 380 französische Winzer Autoreifen anzündeten und so zwei Tankwagen stoppen konnten, um hektoliterweise spanischen Rotwein auf dem Asphalt zu kippen. Man hätte ihn auch trinken können - es ging nicht um die Qualität, sondern wohl um den zu niedrigen Preis der Konkurrenz. Zum Schluss ging den wütenden Weinbauern auch noch ein Sattelschlepper mit Cava der Firma Freixenet in die Fänge. Sie zertrümmerten die Sekt-Flaschen und schleuderten sie auf den Boden.
Worum es geht? Der Protest richtet sich dagegen, dass französische Supermärkte wie E. Leclerc, Carrefour oder Intermarche zuletzt als 650 Millionen Kisten spanischen Weins importiert haben, während die einheimischen Winzer teils unter massiven Absatzschwierigkeiten leiden. Frederic Rouanet, Präsident des Winzerverbands Aude, nannte die Situation einen „explosiven Cocktail“ als Folge ausgelöst der schlechten Ernte insbesondere im Süden Frankreichs (aufgrund der extremen Hitze), gestiegene inflationsbedingte Kosten und gleichzeitig der sehr gesunkenen Weinpreise.
Die Lage ist vertrackt: Zum einen ist der Weinkonsum in Frankreich schon lange rückläufig. Zum anderen geht der Preiskampf der billigen Massenweine zu Lasten der französischen Winzer aus, weil die Spanier einfach viel billiger anbieten. Das ging so weit, dass sich Spaniens Außenminister einschaltete. Und selbst die EU, um die schwelenden Konflikte mit Subventionen zuzukleistern.
Wenn Rotwein zu Putzmittel und Parfum wird
Die Europäische Union hat 2023 mehr als 105 Millionen Euro bewilligt, um überflüssigen Wein, der nicht verkauft werden kann, in Industrie-Alkohol zu verwandeln. Der Alkohol aus vernichtetem Wein wird an Unternehmen verkauft und für Desinfektions-Flüssigkeit, Reinigungsmittel und Parfüm verwendet. Vor allem französische Winzer haben von dieser „Krisen-Destillation" profitiert. Die südwestliche Region Languedoc, das größte Weinanbaugebiet Frankreichs, das für seine vollmundigen Rotweine bekannt ist, wurde vom Rückgang der Weinnachfrage besonders hart getroffen.
Aber auch Portugiesen und Italiener gelten als Empfänger der EU-Unterstützung. Und neuerdings nun die ersten deutschen Winzer - und zwar im Schwabenland. Das sorgte natürlich für erregte Debatten auf dem diesjährigen Branchentreff am Rhein, der am Dienstag zu Ende ging und einige ratlose Gesichter zurückließ.
Auch in Deutschland ist reichlich Rotwein übrig - vor allem die traditionell schweren Trollinger und Lemberg aus den württembergischen Anbaugebieten. Auch sie werden nun faktisch zu Putzmittel verarbeitet - die Frage, ob es gute Tropfen fragen stellt sich da nicht mehr. Die Deutschen bestellen zum Abendessen neuerdings lieber billigen Primitivo. Ende 2023 wurden jedenfalls acht Millionen Liter deutscher Rotwein zur Destillation angemeldet – für brutto 65 Cent je Liter.
Erinnerungen an die Glykolwein-Krise werden wach
Dies weckt Erinnerungen an vergessen geglaubte Krisenzeiten wie beim Glykolwein-Skandal anno 1985, als beim Großvertrieb Pieroth und anderen Händlern mit Frostschutzmittel gepanschte Weine aus Deutschland und Österreich in Umlauf gebracht wurden. Experten bezeichnen den Fall noch heute als die „Mutter aller Lebensmittel-Skandale“ . Die daraus resultierenden Image-Probleme haben das Ansehen des deutschen Weins Jahrzehnte schwer belastet, bis endlich eine neue Generation junger Nachfolger für sich wieder das Winzer-Handwerk entdeckte und den Nimbus zu überwinden half.
So entwickelt sich allmählich auch eine Trendwende beim Kunden-Geschmack: Die Nachfrage nach trockenen Weinen steigt. Süßlicher Wein gerät zunehmend ins Hintertreffen, was nun offenkundig auch den Württemberger Winzern das Leben schwer macht. Droht nun also eine neue Krise des deutschen Weinbaus?
Dass diese Gefahr real ist, zeigt die Tatsache, dass selbst die angeblich so begehrten Bordeauxweine im Nachbarland Frankreich stillschweigend in erheblichen Mengen vom Markt genommen werden, um die teuren Tropfen vor all zu viel Renommee-Verlust zu bewahren. Die französische Regierung zahlt unterdessen sogar Rodungs-Prämien, wenn Winzer Weinberge stilllegen.
Im Juni kündigte das Landwirtschaftsministerium an, 57 Millionen Euro für die Rodung von 9.500 Hektar Rebfläche in der Region Bordeaux bereitzustellen. Insgesamt 200 Millionen Euro will der neue Premier Gabriel Attal in die Hand nehmen, um seinen erschütterten Winzern unter die Arme zu greifen. Erste Winzer im Süden sollen sogar auf andere Produkte wie Oliven umstellen.
Unvorstellbar, wenn man gedenkt, dass vor wenigen Jahren noch Schiffe voller Bordeaux-Flaschen nach Fernost verfrachtet wurden, weil die erdigen Rotwein-Tropfen als das Non-plus-ultra des guten Weins galten. Auch in den USA, wo die Winzer ihre Grand Crus de Bordeaux etwa in West-Hollywood ihren besten Kunden einmal im Jahr sogar persönlich verkosten.
In Deutschland hat man bislang noch keine Anbau-Flächen reduziert. Dafür gelten selbst Weinberge in Spitzenlagen wie dem badischen Markgräflerland als derzeit unverkäuflich. Statt dessen tauchen neuerdings immer mehr Randlagen aus nördlichen Gefilden wie Brandenburg auf Weinkarten auf - eine Folge des Klimawandels. Derweil wird in Rheinhessen, größten deutschen Weinanbaugebiet, erörtert, ob nicht wenigstens bereits gerodete Flächen für sechs Jahre brach liegen dürfen – bislang müssen sie nämlich spätestens nach drei Jahren neu bepflanzt werden.
Weininstitut meldet Absatz-Minus von neun Prozent
Mit gemischten Gefühlen dürften einige der 5400 Aussteller aus Düsseldorf abgereist sein diese Woche. Die Weinbranche war immerhin unter sich - Privatleute haben dort keinen Zugang, sondern nur Tausende Weinhändler. Sie haben gesehen, wie sich die Nachrichten aus der EU verbreiten und für Nervosität am Markt sorgen. Und wie schwierig die Lage für die deutschen Winzer allmählich wird. Laut dem Deutschen Weininstitut (DWI) ist in Deutschland 2023 zwar der Umsatz stabil geblieben, - freilich nur wegen der höheren Preise. Der Absatz ging um 4,5 Prozent zurück - bei deutschen Weinen sogar um merkliche neun Prozent.
Ein Lichtblick über den Weinbergen dürfte immerhin die Tatsache sein, dass das Qualitätsbewusstsein der Kunden weiter wächst. Der Absatz von Bioweinen ist stabil geblieben, wobei der Marktanteil mit nur vier Prozent immer noch sehr gering ausfällt. Deutsche Weine sind im Handel mit durchschnittlich 4,51 Euro je Liter teurer als ausländische Weine, für die Kunden im Schnitt 3,76 Euro ausgeben. Ob Weine in dieser Preisklasse Qualität haben, ist eine andere Frage. Über Geschmack lässt sich nur schwer streiten.