Politik

Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten

Lesezeit: 3 min
23.04.2024 17:49  Aktualisiert: 23.04.2024 17:49
Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für einen umstrittenen Kompromiss aus. Zufrieden sind jedoch nicht alle.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Das Europäische Parlament hat den Weg für neue Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden in der EU frei gemacht. Die Abgeordneten stimmten am Dienstag in Straßburg mehrheitlich einem umstrittenen Kompromiss für die Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts zu. Demnach sollen künftig etwa klare Mindestanforderungen für das Senken von Schuldenstandsquoten für hoch verschuldete Länder gelten. Gleichzeitig soll bei EU-Zielvorgaben die individuelle Lage von Ländern stärker berücksichtigt werden.

Bundesfinanzminister Christian Lindner nannte den Beschluss wertvoll. „Europa bekommt klare Regeln für stabile Staatsfinanzen“, sagte der FDP-Politiker. Deutschlands zentrales Anliegen - „finanzpolitische Stabilität“ - finde sich in den Gesetzestexten wieder. „Wir bekommen klare Regeln für den Schuldenabbau, die dann auch mit einer realistischen Perspektive durchgesetzt werden können.“

Grundsätzlich soll in der EU unter den neuen Vorschriften auch weiterhin gelten, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem soll das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gehalten werden.

Schutzmaßnahmen für hoch verschuldete Länder

Darüber hinaus sind unter anderem Schutzmaßnahmen geplant: Hoch verschuldete Länder (Schuldenstand von über 90 Prozent) sollen ihre Schuldenquote jährlich um einen Prozentpunkt senken müssen, Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent um 0,5 Prozentpunkte.

Gleichzeitig soll die für die Aufsicht zuständige EU-Kommission in einem Übergangszeitraum bei der Berechnung der Anpassungsanstrengungen den Anstieg der Zinszahlungen berücksichtigen können. Wenn Mitgliedstaaten glaubhafte Reform- und Investitionspläne vorlegen, die Widerstandsfähigkeit und Wachstumspotenzial verbessern, soll auch der Zeitraum zur Schuldenverringerung verlängert werden können.

Der CSU-Abgeordnete Markus Ferber, wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, begrüßte die Annahme. „Mit den neuen EU-Schuldenregeln kehren wir zu einer verantwortungsvollen EU-Haushaltspolitik zurück. Das neue Regelwerk schaffe mehr Klarheit und stelle die Wirtschafts- und Währungsunion auf ein solides Fundament.“

Kritiker: Investitionen werden stark gehemmt

Kritiker hingegen betonten stets, dass die Regeln nötigen Investitionen etwa in Klimaschutz oder in den sozialen Bereich die Luft abschnürten. Eine Analyse vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) war Anfang April zu dem Ergebnis gekommen, dass bei Einhaltung der geplanten Regeln ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage seien, sich notwendige Ausgaben zu leisten. Auch in Deutschland würden demnach Investitionen stark gehemmt, hieß es.

Auch die Grünen kritisierten die Reformpläne. „Anstatt Schuldentragfähigkeit, nachhaltige Finanzen und ausreichend Raum für Investitionen in die grüne Transformation zusammenzurechnen, setzten die neuen Regeln trotz gebotener Vorsicht beim Thema Gegenfinanzierung auf einen Schuldenabbau, der den Bedürfnissen dieser Zeit nicht gerecht wird“, sagte die Europaabgeordnete Henrike Hahn nach der Abstimmung.

Der Chef der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber, sagte, die Grünen spielten mit dem Feuer. „Sie haben nichts aus der Euro-Krise gelernt.“ Es reiche nicht, nur bei Sonntagsreden pro-europäisch zu reden, entscheidend sei das politische Handeln.

Vertreter des Europaparlaments und der Regierungen der Mitgliedstaaten hatten sich Anfang Februar nach langer Debatte auf den umstrittenen Kompromiss verständigt. Nach der Abstimmung im Plenum des Europaparlaments müssen auch noch die EU-Staaten die neuen Regeln bestätigen. Das ist in der Regel Formsache und für kommende Woche vorgesehen.

Das bisherige Regelwerk zur Überwachung und Durchsetzung dieser Vorgaben wird von Kritikern seit langem als zu kompliziert und zu streng angesehen. Deswegen soll es reformiert werden. Bei Übertreten der Obergrenzen können Schulden-Strafverfahren, sogenannte Defizitverfahren, eingeleitet werden. Dann muss ein Land Gegenmaßnahmen einleiten, um Verschuldung und Defizit zu senken. Damit soll vor allem die Stabilität der Eurozone gesichert werden.

Zuletzt waren die Strafverfahren wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgesetzt. Vor allem 2020 lagen die Defizite in fast allen EU-Ländern deutlich über der Drei-Prozent-Marke. Ab diesem Frühjahr sollen die Defizitverfahren wieder eröffnet werden können. Nach jüngsten Daten des EU-Statistikamtes Eurostat brachen mehrere Länder im vergangenen Jahr die Regeln.

Grundlage der nun getroffenen Einigung für die Reform der aus den 1990er Jahren stammenden Regeln waren Vorschläge der EU-Kommission. Vor allem von der Bundesregierung waren diese allerdings als zu weitreichende Aufweichung des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts kritisiert worden. Die Regierungen der EU-Staaten hatten sich deswegen nach monatelangen Verhandlungen auf etliche Veränderungen verständigt.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Bahn Infrastruktur: Rekordinvestitionen von 17 Milliarden Euro in 2024
02.01.2025

Die Deutsche Bahn investiert 2024 knapp 17 Milliarden Euro in ihre Infrastruktur – ein Rekord. Mit erneuerten Gleisen, modernisierten...

DWN
Politik
Politik US-Industriepolitik: Warum Biden und Trump unterschiedliche Wege zur Industrieankurbelung wählen
02.01.2025

Die US-Industriepolitik steht im Fokus der wirtschaftlichen Debatten zwischen Trump und Biden. Während die Biden-Regierung mit...

DWN
Politik
Politik Russland stoppt Gaslieferungen: Moldau unter Druck, Rumänien hilft aus
02.01.2025

Russland setzt Moldau mit einem Gaslieferstopp unter Druck. Vor allem Transnistrien, die prorussische Separatistenregion, spürt die Folgen...

DWN
Politik
Politik Estlink 2: Kabelschäden ohne Folgen für Anschluss an EU-Stromnetz
02.01.2025

Estlink 2: Der Ausfall des Unterseekabels sorgt für Unsicherheit in den baltischen Staaten. Dennoch bleibt die litauische Regierung...

DWN
Finanzen
Finanzen Strompreise 2025: Wie sich Kosten durch Netzentgelte und Umlagen entwickeln
02.01.2025

Strompreise 2025 bleiben ein heißes Thema: Verbraucher:innen erwarten steigende Kosten durch höhere Netzentgelte und CO2-Preise. Doch...

DWN
Politik
Politik CSU verschärft Ton in der Migrationspolitik
02.01.2025

Zur CSU-Winterklausur gehören traditionell lautstarke Forderungen an die Bundesregierung. Dieses Mal hofft die Partei, viele davon nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis anno 2025: Konflikte und Verschuldungen bleiben die Hauptsorgen der Anleger
02.01.2025

Die Gold-Verwalter von BullionVault in London haben mal wieder seine Kunden befragt, warum sie in Gold und Edelmetalle investieren....

DWN
Panorama
Panorama New Orleans und ein explodierter Cybertruck vor Trumps Hotel: Gibt es einen Zusammenhang?
02.01.2025

Mit voller Absicht soll der Attentäter in die Menge gerast sein und 15 Menschen getötet haben. Das FBI geht von einem Terroranschlag aus,...