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Grüner Wasserstoff: Chance und Risiko für die Dekarbonisierung Deutschlands

Lesezeit: 10 min
24.06.2024 11:26
Deutschland setzt auf grünen Wasserstoff als zentralen Bestandteil der Energiewende. Er soll Stromengpässe ausgleichen und die Industrie dekarbonisieren. Das Potential von Wasserstoff ist groß, doch die Infrastruktur hinkt hinterher und es gibt wirtschaftliche Hürden.
Grüner Wasserstoff: Chance und Risiko für die Dekarbonisierung Deutschlands
Die deutsche Industrie setzt auf Wasserstoff-Technologien, um die klimaneutrale Zukunft voranzutreiben (Foto: iStockphoto.com/audioundwerbung).
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Klimaneutral hergestellter „grüner“ Wasserstoff soll im Energiesystem der Zukunft eine tragende Rolle spielen. Die Energiedichte von Wasserstoff ist enorm (33,3 Kilowattstunden je Kilogramm), rund dreimal so hoch wie Benzin. H2 soll in neuen Wasserstoff- oder alten umgerüsteten Gas-Kraftwerken Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. So sollen Angebotsschwankungen im Stromnetz ausgeglichen werden. In der Industrie soll er Kohlenstoff ersetzen, insbesondere bei der Stahlerzeugung. Brennstoffzellen-basierte Fahrzeuge sollen ihren Teil dazu betragen, das klassische Verbrenner-Auto zu marginalisieren.

Grüner Wasserstoff kann die Treibhausgas-Emissionen von Energie-, Industrie- und Verkehrssektor deutlich verringern. Der Nationale Wasserstoffrat resümiert in einem Bericht, dass im Jahr 2050 durch den Einsatz klimaneutral herstellten Wasserstoffs in verschiedenen Sektoren (Stahl, Chemie, Mobilität) knapp 270 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Vergleich zu heute vermieden werden können.

Das Potential in der Wärmeversorgung wurde hierbei nicht berücksichtigt. Mehrere Forschungsprojekte kommen zu dem Ergebnis, dass in Deutschlands bestehenden Gasleitungen schon heute ein Wasserstoff-Anteil zwischen 10 und 20 Prozent theoretisch möglich wäre. Dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) zufolge könnten durch eine Beimischung von 10 Prozent Wasserstoff jährlich 6,5 Millionen Tonnen CO2 eingepart werden. Zum Vergleich: Dies entspricht dem jährlichen CO2-Austoß von rund drei Millionen Autos mit Verbrennungsmotor und etwas mehr als ein Prozent der gesamten Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland im Jahr 2023.

Energie-Verband fordert mehr Subventionen für Wasserstoff-Infrastruktur

Die Bundesregierung setzt sich ambitionierte Ziele bezüglich des Kapazitätswachstums von Wasserstoff-Kraftwerken und Elektrolyse-Anlagen. Deutschland verfolgt als eines der ersten Länder seit 2020 eine nationale Wasserstoff-Strategie inklusive Aufbau eines weitläufigen Leitungsnetzes. Stand heute dürften jedoch alle Zielmarken deutlich verfehlt werden.

Der BDEW ist unglücklich über den langsamen Ausbau der Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland und drängt auf einen schnelleren Aufbau von Anlagen für den Import und Transport. „Umstellung und Neubau von Pipelines und Importterminals sowie der Anschluss an die jeweiligen Infrastrukturen sollten schnellstmöglich und zeitgleich angegangen werden“, heißt es in einem Positionspapier zur geplanten Wasserstoff-Importstrategie der Bundesregierung.

Wichtigste Voraussetzung sind laut Energieverband das H2-Kernnetz mit seinen Importpunkten, aber auch die Hafeninfrastruktur mit Terminals, Flächen für Tanklager, oberirdischen Speichern sowie Ammoniak-Crackern. In solchen Anlagen wird der in Ammoniak gebundene Wasserstoff wieder freigesetzt, um dann weiterverarbeitet werden zu können. Nötig seien auch langfristig planbare Liefermengen, um Bau und Auslastung der Importinfrastruktur zu realisieren, so der BDEW. Um eine Wasserstoff-Versorgung im ganzen Land zu gewährleisten, müssten sowohl das Strom-Verteilernetz als auch Wasserstoffspeicher an das zukünftige Wasserstoffnetz angeschlossen sein.

Auf europäischer Ebene geht scheinbar mehr voran. Vor zwei Monaten verkündete die EU-Kommission, dass sieben Projekte insgesamt 720 Millionen Euro an Subventionen für die Herstellung von Wasserstoff erhalten haben. Die Mittel sollen aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandels stammen. Die Förderung läuft über eine neu geschaffene „Wasserstoffbank“ und vergibt zwischen 0,37 und 0,48 Euro pro Kilogramm grünem Wasserstoff. Den Großteil der Fördergelder vereinnahmten Wasserstoff-Projekte in Spanien und Portugal, ein kleiner Teil landet in Norwegen und Finnland. 21 deutsche Projekte nahmen an der Auktion teil - ohne Erfolg. Bald soll eine weitere Ausschreibung folgen, diesmal im Umfang von 1,2 Milliarden Euro.

Dekarbonisierung: Deutsche Großindustrie investiert in Wasserstoff

Wasserstoff-Energie wird teilweise kritisch beäugt und Investoren sind mitunter zurückhaltend, aber etliche große deutsche Konzerne positionieren sich in diesem Zukunftsmarkt und investieren massiv. Linde unterhält bereits mehrere Elektrolyse-Anlagen in den USA und Südamerika. Nun plant man gemeinsam mit dem norwegischen Erdgaskonzern Equinor gewaltige Wasserstoffproduktions-Kapazitäten in den Niederlanden. Ein Großteil des hierbei anfallenden CO2 soll unter dem Meeresboden eingelagert werden. Diese sogenannte „Carbon-Capture-Technologie“ dürfte bald auch in Deutschland erlaubt sein.

Auch Bosch steckt Milliarden in verschiedene Wasserstoff-Technologien. Seit knapp einem Jahr läuft die Serienproduktion eines Brennstoffzellen-Antriebs für Lastwagen, deren Kosten laut Frauenhofer-Institut innerhalb der nächsten zehn Jahre auf das Niveau von Diesel-Lkw sinken werden. Im Lkw-Segment sind Wasserstoff-Antriebe besonders interessant, weil sie viel größere Reichweiten ermöglichen als klassische batteriebetriebene E-Lkw und, falls doch ein Zwischenstopp nötig ist, die Tankzeit sehr gering ist – dies gilt in ähnlicher Weise für den schwer elektrifizierbaren Flugzeug- und Schiffsverkehr. Außerdem entwickelt Bosch Elektrolyse-Komponenten zur Wasserstofferzeugung und einen eigenen Wasserstoff-Motor (direkte Wasserstoff-Verbrennung zur Fortbewegung anstelle des Umwegs über Strom bei Brennstoffzellen).

Eine ADAC-Studie kam zu dem Ergebnis, dass Brennstoffzellen-basierte Wasserstoff-Autos über einen gesamten Lebenszyklus von 240.000 Kilometer Fahrleistung (inklusive Herstellung, Wartung und Entsorgung) mit einem Treibhausgas-Ausstoß von 67 Gramm CO2-Äquivalent pro Kilometer nur grob ein Drittel bis ein Viertel so klimaschädlich sind wie E10-Benziner (244 Gramm CO2) und Diesel-Fahrzeuge (244), aber leicht schlechter abschneiden als Elektroautos (62). Dabei wurde die Annahme getroffen, dass Wasserstoff- und E-Autos zu hundert Prozent mit Windstrom gespeist werden.

Wasserstoff ist nicht nur die Autobauer und deren Zulieferer interessant. Die Chemieindustrie könnte sich durch eine Umstellung vom aktuell dominierenden „grauen“ H2 – also aus Erdgas mittels Dampfreformierung gewonnen und damit CO2-belastet – auf grünen Wasserstoff signifikant dekarbonisieren. Auch Prozesse in einer weiteren deutschen Schlüsselindustrie, der Stahlproduktion, lassen sich durch Wasserstoff klimaschonender gestalten. Der Stahlsektor verursacht rund 30 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen der gesamten deutschen Industrie. „Grüner Stahl könnte hier laut Studien bis zu 25 Tonnen CO2 pro Tonne eingesetzten grünen Wasserstoff einsparen. In keinem anderen Industriezweig ist der „Vermeidungsfaktor“ von Wasserstoff derart groß.

Die Produktion von grünem Stahl ist in den Plänen der alteingesessenen Stahlkonzerne fest vorgesehen. Die Branche kann auf staatliche Unterstützung zählen, weil die Umrüstung von mit Kohle betriebenen Hochöfen auf Wasserstoff beziehungsweise der Aufbau von brandneuen Stahlfabriken sehr kostspielig ist und die Politik den urdeutschen Industriezweig erhalten will.

Thyssenkrupp baut gerade in Duisburg eine sogenannte „Direktreduktionsanlage“ zur Stahlherstellung mit Wasserstoff, die Ende 2026 in Betrieb gehen soll – zwei Milliarden Euro Zuschüsse gibt es dafür von Bund und Nordrhein-Westfalen. Die Salzgitter AG hat sich hingegen für die Umrüstung entschieden. Der Hochofen am Heimatstandort soll für den Einsatz von Wasserstoff und Erneuerbaren Energien umgebaut werden – ein Riesenprojekt, das vom Staat mit rund einer Milliarde Euro unterstützt wird. Ziel ist es, bis 2033 den Kohlendioxid-Ausstoß um 95 Prozent zu senken. In einer Übergangsphase wird teilweise noch „grauer“ Wasserstoff verwendet, aber langfristig sollen ausschließlich Elektrolyseure auf Basis von Solar- und Windstrom den benötigten Wasserstoff liefern.

Bei der Raffinerie Heide in Norddeutschland läuft derweil das Projekt „Hyscale 100“. Bis 2026 ist der Bau von Elektrolyse-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von 500 Megawatt angedacht, obwohl dort bereits ein Pilotprojekt scheiterte. Der produzierte Wasserstoff soll dann auch mit gespeichertem Kohlendioxid aus einer nahe gelegenen Zementfabrik zu E-Methanol vermischt werden.

Methanol ist eine farblose Flüssigkeit, die durch eine Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid entsteht. Es wird vor allem als Vorprodukt für eine breite Palette von chemischen Erzeugnissen verwendet, kann jedoch auch als Kraftstoff eingesetzt werden. Manche Experten fordern sogar, dass sich Deutschland bei seiner Wasserstoff-Strategie auf Methanol statt Wassergas fokussieren sollte, weil es einfacher in flüssiger Form transportierbar ist.

In anderen Bereichen sieht die Zukunft noch ziemlich vage aus. Eine zentrale Herausforderung der kommenden Jahre dürfte die Entwicklung von neuartigen Speichertechnologien für Wasserstoff sein. Konventionellen Druckgasspeicher sind komplex und teuer. Bislang existieren allerdings nur Pilotprojekte. Dazu zählen die vom staatlichen Energiekonzern Uniper in Nordwestdeutschland geplanten Salzkavernen zur großvolumigen Wasserstoff-Speicherung unter der Erdoberfläche. 2030 sollen die Speicher einsatzbereit sein. Bei diesem Großprojekt wirkt auch der Industriedienstleister Bilfinger mit, der zudem an der LOHC-Speichertechnik forscht – Wasserstoff soll dabei als Teil von Trägeröl leichter transportierbar gemacht werden.

Neue Ansätze und Wertschöpfer aus Deutschland

Uniper, Linde, Salzgitter und Bosch sind klassische Großunternehmen der „Old Economy“, die sich nun unter anderem mit Wasserstoff-Technologien für die Zukunft rüsten und modernisieren wollen.

Es gibt aber auch zahlreiche Jungfirmen, die in diesen Markt einsteigen. Ein Beispiel ist der Dresdner Elektrolyse-Spezialist Sunfire, der im März eine Finanzierungsrunde im Volumen von 315 Millionen Euro abschloss. Dessen Elektrolyseure verwenden heißen Wasserdampf, welcher bei vielen Prozessen als Abwärme entsteht, und eignen sich deshalb vor allem für den Einsatz in Stahlwerken oder Raffinerien. Zu den ersten Großkunden von Sunfire zählt der Energieriese RWE.

Andere Startups erforschen neue innovative Ansätze. So arbeitet etwa „Green Hydrogen Technology“ (GHT) an einem Verfahren, das mithilfe von Flugstromvergasung nicht recyclebare Abfälle zur Wasserstoff-Herstellung nutzt. Das dabei anfallende Kohlendioxid soll abgefangen und in der Chemieindustrie wiederverwertet werden.

Schon deutlich länger aktiv ist das nähe München sitzende Energie-Unternehmen SFC Energy, das sowohl Wasserstoff- als auch Methanol-basierte Brennstoffzellen in verschiedenen Dimensionen und Mobilitätsgraden produziert. Zum Produktportfolio zählen außerdem Spannungsumwandler und Schaltnetzteile. Anhand der ziemlich stabilen Aktienkursentwicklung der letzten fünf bis zehn Jahre lässt sich bereits erahnen, dass es sich hier um keine der typischen defizitären jungen börsennotierten Wasserstoff-Unternehmungen handelt, deren Kurs vom Vorcorona-Hype nach oben gezogen wurde und die danach reihenweise um bis zu 90 Prozent kollabierten.

SFC Energy ist ein echter Wertschöpfer. Im ersten Quartal 2024 stieg der Umsatz im Vorjahresvergleich um 31,5 Prozent auf 40 Millionen Euro und der Nettogewinn um 61 Prozent auf 5,25 Millionen. Letztes Jahr wurden insgesamt 118 Millionen Euro umgesetzt – bei einer operativen Marge von 8,2 Prozent. Der wichtigste Absatzmarkt ist Nordamerika, dicht gefolgt von Europa. Deutschland macht einen Umsatzanteil von knapp einem Zehntel aus. SFC produziert unter anderem in den Niederlanden, Rumänien, Kanada und Indien.

Eine wirtschaftlich profitables Geschäft ist im Wasserstoffsektor aber noch eine Seltenheit. Auch deshalb hat die Bundesregierung vor einigen Jahren das Innovations- und Technologiezentrum für Wasserstoff (ITZ) mit sechs über das ganze Land verteilten Standorten geschaffen. Es setzt sich zum Ziel, eine Entwicklungs-, Zertifizierungs- und Standardisierungseinrichtung für Projekte zu sein, die aufgrund der frühen Marktphase und den damit verbundenen hohen Kosten nicht ohne Unterstützung durch die öffentliche Hand verwirklicht werden könnten. Das Zentrum soll insbesondere KMUs und Start-Ups eine Entwicklungsumgebung bieten, um sich für den internationalen Wettbewerb vorbereiten zu können.

China dominiert den Zukunftsmarkt Elektrolyse

Die aktuelle Größe des globalen Wasserstoffmarktes wird von Analysten auf rund 200 Milliarden Euro geschätzt. Besonders Elektrolyse ist ein rasant wachsender Markt mit riesigem Potential. Manchen Schätzungen zufolge wird die weltweite Produktion von Elektrolyseuren bis zum Ende des Jahrzehnts um grob das Zehnfache steigen müssen, um die Nachfrage danach decken zu können.

In den letzten Jahren haben chinesische Unternehmen die Marktdominanz bei der Herstellung von grünem Wasserstoff errungen – laut Internationaler Energieagentur liegt deren Anteil an den globalen Elektrolyse-Kapazitäten bei rund 50 Prozent. Sie profitieren von niedrigen Stromkosten, einem gewaltigen Überschuss an verfügbarer Solarenergie und der überlegenen Rohstoffversorgungskette in der Heimat und kompensieren damit die Effizienznachteile gegenüber westlichen Firmen. Daneben sind die USA und Deutschland die wichtigsten Akteure. Subventioniert werden die chinesischen Elektrolyseur-Produzenten übrigens kaum, das ist in den USA anders (Stichwort: „Inflation Reduction Act“).

Bislang produzierten chinesische Hersteller hauptsächlich sogenannte alkalische Elektrolyseure, die sich durch niedrigere Anschaffungskosten auszeichnen, aber für die Wasserstofferzeugung viel Strom benötigen. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich US-amerikanische und europäische Unternehmen mehr auf „Festoxid“- und „Protonenaustauschmembran“-Elektrolyseure (PEM). Diese sind zwar in der Anschaffung teurer und technisch weniger stark ausgereift, brauchen aber weniger Strom und können sich schnell einer veränderten Stromzufuhr anpassen (kurze Start- und Stoppzeiten), was für Regionen mit höheren Strompreisen und unsteter Stromversorgung vorteilhafter ist.

Herausforderungen einer grünen Wasserstoffwirtschaft

Dass sich Wasserstoff trotz historischer Verwendung als Bestandteil von Stadtgas bis weit ins 20. Jahrhundert hinein und der bereits 1838 erfundenen Brennstoffzelle nicht als universeller Energieträger etablierte, hat vor allem kostentechnische Gründe. So setzten sich stattdessen die fossilen Brennstoffe Erdöl und Erdgas durch.

In der Theorie ist es simpel: Wasserstoff hat eine sehr hohe Energiedichte und Salzwasser ist auf der ganzen Welt im Überfluss verfügbar. Mithilfe von günstiger erneuerbarer Energie, etwa Solarstrom, isoliert man durch das Elektrolyse-Verfahren Wasserstoff von Sauerstoff. Diesen Wasserstoff verwendet man dann direkt als nachhaltigen Energieträger oder als zusätzlichen Energiespeicher bei Überproduktion der Erneuerbaren für Flautephasen. Die CO2-Bilanz ist im Vakuum betrachtet grandios.

In der Praxis ist es komplexer. Um die im Wasserstoff-Atom schlummernde Energie anzuzapfen, muss es zunächst unter hohem Energieaufwand vom Sauerstoff getrennt werden, denn in größeren Mengen existiert Wasserstoff auf der Erde nur als Molekül-Bestandteil von Wasser. Das gilt unabhängig davon, ob der Wasserstoff letztlich als Strom- oder Wärmequelle eingesetzt werden soll. Die wirtschaftlicheren Alternativen zur Elektrolyse, das „Verkoken“ von Steinkohle und die „Dampfreformierung“ von Erdgas, liefern keinen grünen Wasserstoff, weil im Prozess Kohlendioxid freigesetzt wird.

Für grünen Wasserstoff muss man also erst sehr viel Strom (Energie) einsetzen, um Strom (Energie) zu bekommen. Der Energieverlust alleine durch die Elektrolyse beträgt circa 40 bis 50 Prozent. Durch die notwendige Wasseraufbereitung, Reibungsverluste, Verwendung in der Brennstoffzelle sowie Transport und Lagerung des Wasserstoffs summieren sich die Energieverluste auf etwa 80 Prozent – also ein Wirkungsgrad von 20 Prozent. Zum Vergleich: Elektroautos kommen auf einen Wirkungsgrad von circa 70 Prozent, hier geht also nur rund 30 Prozent der Leistung flöten.

In Brennstoffzellen wird die Knallgasreaktion von Wasser- und Sauerstoff genutzt, um Strom zu erzeugen, aber den Namen Knallgas hat Wasserstoff nicht ohne Grund. Das Risiko von explosiven Unfällen ist enorm, entsprechend sorgfältig müssen die infrastrukturellen Sicherheitsvorkehrungen sein und das kostet. Auch Wasserstoffautos sind in erster Linie deshalb so teuer, weil der Herstellungsprozess viel komplexer ist als bei E-Autos oder den technisch ausgereiften Verbrennern.

„E-Fuels“ wie Methanol könnten Abhilfe schaffen, weil das Gemisch bei Normaltemperatur flüssig ist und sich daher über alle gängigen und heute schon verfügbaren Transportwege befördern ließe - ohne den Aufwand und die Sicherheitsrisiken, die bei Wasserstoff auftreten. Zudem hat Methanol eine deutlich höhere Energiedichte als verflüssigter Wasserstoff, der bei einer Temperatur von minus 252 Grad Celsius gehalten werden muss. Die fundamentalen Probleme kann jedoch auch Methanol nicht beseitigen. Bei der Umwandlung von Wasserstoff in Methanol geht ebenfalls eine Menge Energie verloren, sodass der Gesamt-Wirkungsgrad der Elektrolyse-Kette auf rund 10 Prozent schrumpft.

Eine Wasserstoff-Wirtschaft ist also energetisch ineffizient und folglich sehr teuer. Das gilt vor allem für Deutschland mit seinen exorbitant hohen Strompreisen und klimatisch nicht idealen Bedingungen für Solar- und Windkraft. Die Bundesregierung weiß darum und rechnet damit, dass rund zwei Drittel des in Zukunft benötigten Wasserstoffs aus dem Ausland importiert werden muss. Aktuell ist der Wasserstoff-Import allerdings alles andere als billig, sondern – wie eine Analyse des Frauenhofer-Instituts ergab – auch unter günstigen Bedingungen erheblich kostenintensiver als Erdgas. Stand heute wäre Heizen und Tanken mit Wasserstoff noch teurer als die Alternativen Strom, Gas und Öl.

Nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Herstellung von Wasserstoff mit Elektrolyse aus erneuerbaren Energiequellen ist ein Problem. Es muss eine ganze Infrastruktur für eine effiziente Verteilung (Pipelines) und Speicherung des Wasserstoffs (Tanks oder unterirdische Kavernen) entwickelt und vor allem bezahlt werden. Dies betrifft sowohl den Transport des Wasserstoffs zu den Verbrauchsorten als auch die Verfügbarkeit von Tankstellen für Wasserstofffahrzeuge.

Die wohl größte Herausforderung stellt die bis 2033 geplante Umrüstung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff dar. Wasserstoff-Atome weisen einen sehr geringen Durchmesser auf und begünstigen dadurch die Diffusion, also das Entweichen des Elements aus unter Druck stehenden Leitungen oder Tanks. Die Umrüstung ist technisch anspruchsvoll und wird ein Vermögen kosten – etwa, weil die Innenflächen der Gaskraftwerke mit Keramik ausgekleidet werden müssten, um den durch die Wasserstoffverbrennung erzeugten hohen Temperaturen standhalten zu können. Man wird also nur begrenzt auf die bestehende Gas-Infrastruktur zurückgreifen können und in großem Stil neue Pipelines und Kraftwerke bauen müssen.

Fazit: Die Zukunft von Wasserstoff ist unklar, obwohl der Markt zuletzt so stark gewachsen ist. Projektträger und Investoren hängen ein wenig in der Luft und die politisch ungeliebten fossilen Konkurrenzprodukte bleiben aus Kostensicht attraktiver – auch für die Verbraucher. Solange es keine bahnbrechenden Innovationen in der Elektrolyse sowie Methanol-Produktion gibt und/oder komplett neuartige klimaneutrale Methoden zur Gewinnung von Wasserstoff erfunden werden, ist die Realisation einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft für ganz Deutschland unrealistisch beziehungsweise ökonomisch unsinnig.

 

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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